Am 26. Mai 2019 findet die neunte Direktwahl des Europäischen Parlaments statt. Mit dem JOURNAL FRANKFURT hat der SPD-Politiker Udo Bullmann über die Herausforderungen gesprochen, denen sich Europa zeitnah stellen muss.
Ronja Merkel /
JOURNAL FRANKFURT: Herr Bullmann, Sie sprechen sich für eine Politik aus, die „radikal und zugleich pragmatisch, visionär und zugleich realistisch“ ist. Wie funktioniert eine solche Politik konkret?
Udo Bullmann: Wir müssen uns wieder trauen, Großes anzupacken. Eine durchgreifende Bekämpfung von Kinderarmut und eine gute Ausbildung für alle sind solche großen Ziele. Oder europaweit armutsfeste Mindestlöhne. Unter konservativer Regie hat die EU da bisher viel zu wenig zu Wege gebracht. Aber solche neuen Ziele müssen auch verwirklicht werden. Das braucht Entschiedenheit bei der Durchsetzung, Luftnummern helfen hier nicht weiter. Das ist so ein bisschen das Problem der Grünen und natürlich auch der Linkspartei. Die stellen immer abstrakte Forderungen auf, solange sie nicht selbst regieren, und falls sie in die Verlegenheit kommen, etwas umsetzen zu können, hört man nichts mehr.
Sie wollen nicht nur Europa, sondern gleich den ganzen Planeten retten. Wie wollen Sie das schaffen?
Ich alleine werde ihn nicht retten, wir als SPD alleine leider auch nicht. Hier geht’s nun wirklich um das WIR. Wenn WIR nicht endlich konsequent umsteuern, wird der Klimawandel nicht aufzuhalten sein. Und in der Zeit bis dahin stelle ich mir das Leben nicht gerade erstrebenswert vor. Weil doch gerade das, was wir an unserer Heimat so schätzen, bedroht ist: die Natur, das Lebensumfeld, die Chance zur freien und fröhlichen Begegnung. Da wird sich an unserer Lebensweise noch das eine oder andere ändern müssen. Aber vor allem müssen wir in der Politik entschiedener werden. Europa ist auf diesem Weg übrigens schon große Schritte vorangekommen, wir sind für manche andere sogar schon Vorbild. Nur ein Beispiel: Wir gehen in der EU gegen das viele Wegwerfplastik vor. Aber das kann nur ein erster Mosaikstein sein.
„Wir sind Europa“ lautet eines Ihrer Credos. Warum ist ein geeintes Europa wichtig?
Wichtig ist es, weil es den Frieden sichert, weil wir weltweit nur gemeinsam gehört werden und wir auch wirtschaftlich nur eine Chance haben, wenn wir gemeinsam auftreten. Das lehrt uns schon der Blick auf die Bevölkerungszahl, verglichen mit Asien oder Afrika. Aber ich will es gar nicht auf diese starken rationalen Argumente reduzieren. Wenn wir als SPD jetzt sagen „Wir sind Europa“, dann meinen wir damit, dass die Menschen Europa sind. Das ist ja gerade der große Erfolg der Idee Europa: Wir alle sind auch in unseren Gefühlen Europäerinnen und Europäer geworden. Hessen, Deutsche UND Europäer. Wer da einen Gegensatz sieht, hat die Welt nicht verstanden – und die Menschen nicht. Für mich persönlich ist Europa längst ein Lebensgefühl geworden, ein sehr schönes übrigens. Eine Emotion: mein Leben.
Sie sehen die „Feinde der Freiheit“ wieder auf dem Vormarsch. Woher rührt der zunehmende Rechtsruck Ihrer Meinung nach und was können wir dem entgegensetzen?
Das hat viel mit Ängsten und Befürchtungen zu tun, die natürlich auch bewusst geschürt werden. Letzten Endes setzen die Rechten doch darauf, dass die Leute sich wieder einigeln und hoffen, dass dann alles so schön wird wie es angeblich früher war. Wobei der Denkfehler ja schon darin liegt, dass es früher gar nicht so schön war, wie man es manchmal rückblickend sieht. Mein Gefühl ist: Es gab immer einen kleineren Teil der Menschen, der für so etwas empfänglich war. Dieser kleinere Teil ist jetzt lauter geworden, auch die Medien haben das Thema entdeckt – und manchmal entsteht der Eindruck, als seien solche Leute schon nahe dran an einer Mehrheit. Das ist natürlich totaler Quatsch. Denn das Gegenteil stimmt ja auch: Die große Mehrheit entdeckt sich selbst, weil sie herausgefordert ist. Ich bin mir sehr sicher, dass das auch das Wahlergebnis zeigen wird.
Gibt es denn überhaupt noch Hoffnung für ein starkes Europa, das auch in Zukunft Bestand haben wird?
Europa wird überhaupt nur Bestand haben, wenn es stark ist. Das ist die Situation. Alle, die für Irritationen sorgen wollen und Europa lieber schwächer hätten, zerstören letzten Endes die Emotion und die Idee Europas. Und wir stehen – ich denke: mit einer großen Mehrheit – für ein stärkeres, entscheidungsfähigeres Europa. Meine Hoffnung ist deshalb, dass wir nach der Wahl vom 26. Mai sehr schnell eine neue Reformmehrheit im Europaparlament bilden und neue Impulse geben. Die Konservativen müssen sich dann entscheiden, ob sie weiter aus Rücksicht auf den rechten Rand bremsen wollen oder ob sie mit uns Europa reformieren. Juncker und Tusk, die beiden wichtigsten Männer in der EU derzeit, sind beides Konservative. Mit deren Schaukelpolitik muss Schluss sein.
Über Udo Bullmann:Jahrgang 1956, geboren und aufgewachsen in Gießen, seit 1975 SPD-Mitglied, seit 1999 Europaabgeordneter für Hessen in der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten, bei der Europawahl 2019 gemeinsam mit Bundesjustizministerin Katharina Barley Spitzenkandidat der SPD
Die Europawahl 2019 – gut zu wissen: * Wann: 26.5., 8-18 Uhr * Briefwahl: Beantragung des Wahlscheins bei der Gemeinde des Hauptwohnortes bis spätestens am Freitag vor dem Wahltag um 18 Uhr * Auf die Bundesrepublik Deutschland entfallen 96 Abgeordnete des Europäischen Parlaments * Weitere Infos und Interviews finden Sie in der aktuellen Ausgabe 05/2019 des JOURNAL FRANKFURT
Weitere Fragen an Udo Bullmann sowie die Kandidaten von CDU, Grüne, FDP und Linke finden Sie in der aktuellen Ausgabe 05/2019 des JOURNAL FRANKFURT sowie in den kommenden Tagen bis zur Wahl auf www.journal-frankfurt.de/europawahl.
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin.