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Rechter Terror

„Rechtsterroristische Taten sind Botschaftstaten“

Die Vernehmungen beim Lübcke-Untersuchungsausschuss sind abgeschlossen. Der Frankfurter Journalist und Autor Martín Steinhagen spricht mit dem JOURNAL über rechten Terror, Einzelfallthesen und Tatenlosigkeit des Verfassungsschutzes.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Steinhagen, nach dem Mord an Walter Lübcke oder den Morden in Hanau heißt es von der politischen Rechten häufig, es handele sich um „Einzelfälle“. Was sagen Sie zur Einzelfall-These?
Martín Steinhagen: Wer von Einzelfällen redet, will meist vor allem eins: verharmlosen. Allein die bis heute oft verdrängte blutige Tradition des rechten Terrors in der Bundesrepublik macht deutlich, dass sich diese Taten leider in eine lange Reihe einfügen. Diese Taten lassen sich nur als Teil dieser Geschichte, als Teil der Strategie der Gewalt der militanten Rechten und im Kontext des gesellschaftlichen Klimas verstehen, nicht als Einzelfälle.

Was machte den CDU-Politiker Lübcke zum Ziel für Neonazis?
Walter Lübcke war als Regierungspräsident von Kassel auch für die Unterbringung von Geflüchteten verantwortlich. Bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden im Oktober 2015 hat er deutlich gegen eine Gruppe des lokalen Pegida-Ablegers „Kagida“ Position bezogen und etwa das Grundrecht auf Asyl verteidigt. Auch der spätere Mörder saß im Publikum.




© Peter Jülich

Lübcke wurde zur bundesweiten Hassprojektionsfläche

Sein damaliger Freund hat Lübckes Rede gefilmt, einen kleinen Clip herausgeschnitten und auf YouTube gestellt. In kürzester Zeit wurde so ein regionaler Beamter bundesweit zur Hass-Projektionsfläche als vermeintlicher „Volksverräter“. Das Video ging viral, übrigens in Kreisen weit über die klassische Neonazi-Szene hinaus. Später hat auch die frühere Frankfurter CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach mehrfach auf die Aussage von Lübcke von jenem Abend Bezug genommen. Ihre Follower posteten darunter Drohungen und Mordfantasien.

Also reicht ein Engagement für Geflüchtete bereits aus, Opfer von Rechtsterroristen zu werden?
Rechtsterroristische Taten sind Botschaftstaten. Und genau diese Botschaft sollte von dieser Tat ausgehen. Entscheidend ist, wie die Gesellschaft auf diese Versuche der Einschüchterung, des Terrors, reagiert. Die Familie von Walter Lübcke hat vor Beginn des Prozesses gesagt, sie möchten mit ihrer Präsenz im Gerichtssaal auch andere dazu ermutigen, keine Angst vor gesellschaftlichem und politischem Engagement zu haben.

Wie groß ist das Versagen des hessischen Verfassungsschutzes? Immerhin hatte der Lübcke-Mörder Stephan Ernst Kontakte zur militanten Neonaziszene ...
Die Einschätzung des Verfassungsschutzes, der spätere Mörder sei nach Jahrzehnten in der militanten Neonazi-Szene einfach „abgekühlt“, war offensichtlich falsch. Ein Fehler, der wohl auch auf analytische Leerstellen verweist. Denn tatsächlich war der Attentäter in den Jahren vor dem Mord nicht mehr in der klassischen Neonazi-Szene aktiv, sondern in einem viel breiteren Milieu: Er half der AfD beim Plakatieren, hörte Björn Höcke bei Demonstrationen zu, spendete für die „Identitäre Bewegung“. Er selbst hatte den Eindruck, jetzt Teil einer Bewegung zu sein, die immer größer wurde.

Welche Verantwortung trägt die Politik? Innenminister Beuth sagte vor dem Untersuchungsausschuss, der Anschlag sei nicht absehbar gewesen. War Wiesbaden nicht dennoch auf dem rechten Auge blind?

Das Innenministerium ist verantwortlich für das Landesamt für Verfassungsschutz. Probleme aus der Vergangenheit waren dort bekannt – nicht zuletzt durch einen Bericht, der 2012 in Auftrag gegeben wurde und der für die Öffentlichkeit einmal 120 Jahre geheim bleiben sollte. Für mein Buch „Rechter Terror“ konnte ich eine zugespielte Kopie auswerten.
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INFO
Der Mord an Walter Lübcke markiert eine weitere Eskalationsstufe des rechten Terrorismus in Deutschland. Er ist weder als Zufall noch als Einzelfall erklärbar, sondern zeigt wie unter einem Brennglas die gegenwärtige Dynamik dieses Terrors. Martín Steinhagen erzählt die Geschichte des Opfers, des Täters, der Tat und beleuchtet das gesellschaftliche Klima, im dem das Attentat möglich wurde. Zugleich legt er Strategie, Taktik und Tradition des Rechtsterrorismus in Deutschland offen.





Rechter Terror – Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt
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Dort stellt sich der hessische Verfassungsschutz nach der Selbstenttarnung des NSU ein desaströses Zeugnis aus: So wurde etwa Hinweisen auf Waffen in der Szene in den Jahren davor nicht nachgegangen. Der Geheimdienst war aber nicht schlicht auf dem rechten Auge blind. Auch das zeigt das Dokument. Es sind viele Informationen gesammelt, aber eben nicht analytisch eingeordnet worden. Und vor allem wurde nicht gehandelt.

Wie ordnen Sie den Rechtsterror als Bedrohung in Deutschland für die Demokratie ein?
Nach dem Mord an Walter Lübcke, den Anschlägen von Halle und Hanau, hat sich ja in Politik und Behörden langsam die Sprachregelung durchgesetzt, dass vom Rechtsextremismus die „größte Gefahr“ ausgehe. Das ist sicherlich eine späte Einsicht. Die Bedrohung beginnt aber nicht erst dort, wo tatsächlich demokratische Institutionen unter Druck geraten, sondern etwa bei Angriffen auf Minderheiten, auf Menschen, die von der radikalen Rechten zum Ziel gemacht werden. Da muss nicht zuletzt die Mehrheitsgesellschaft sich klar positionieren, um die rechtsterroristische Strategie zu durchkreuzen.

„Aspekte extrem rechter Ideologie in der vielzitierten 'Mitte der Gesellschaft' verbreitet“

Im konservativen Lager wird, geht es um Rechtsterrorismus, gerne auch auf radikale Linke verwiesen. Warum?
Das müssten Sie natürlich diejenigen fragen, die das tun. Oft dürfte dahinter die falsche Vorstellung eines sogenannten „Hufeisen-Modells“ stecken, demzufolge sich die politische Extreme rechts und links annähern. Das konstruiert eine vermeintlich durch und durch demokratische Mitte und verkennt, dass Aspekte extrem rechter Ideologie – beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Ressentiments – keineswegs nur an den Rändern des politischen Spektrums auftreten. Im Gegenteil: Das Gefährliche ist gerade, dass sie in der vielzitierten „Mitte der Gesellschaft“ verbreitet sind. Das zeigen Studien immer wieder.
 
Fotogalerie:
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10. März 2023, 10.10 Uhr
ktho
 
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. – Mehr von Katja Thorwarth >>
 
 
 
 
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