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Radar-Kongress im Haus am Dom

Wohin mit der kreativen Klasse?

Solange man es nur auf die Formel bringt, Künstler und Kreative hätten in Frankfurt zu wenig Raum, bleibt es griffig. Ein Kongress im Haus am Dom zeigte: Es gibt keine einfachen Antworten.
Schon die Definition macht den Wissenschaftlern zu schaffen. Wer ist kreativ? Wer ist Künstler? Das Beispiel der Frankfurter Computerspielefirma Crytek wurde genannt, etliche hundert Mitarbeiter, Teil des weltweiten Spielekonzerns Electronic Arts. Die brauchen keine Atelierräume. Aber sie bezahlen über die Gewerbesteuer welche. "Der hohe Druck", sagte abends bei der Podiumsdiskussion Planungsdezernent Olaf Cunitz, "der hohe Druck, der auf den Immobilien Frankfurts lastet, bedeutet auch, dass die Unternehmen, die diese Flächen besetzen, der Stadt höhere Einnahmen bringen - und mit denen kann sie viel Gutes bewirken." Der Grünen-Politiker wurde nicht müde, aufzuzählen, welch zahlreichen Projekte die Stadt bereits unterstütze: das Atelierhaus Basis in der Gutleutstraße, die Leerstandsagentur Radar, die Umwandlung von Gewerbe- in Atelierräume, kleinere Projekte wie den Designmarkt in Frankfurt-Höchst.

Das sind die konkreten Fälle einer Debatte, die sich auf dem Radar-Kongress im Haus am Dom oftmals auf einer Meta-Ebene bewegte. Die kreative Klasse, einst von einem Ökonomen mit dem verheißungsvollen Namen Richard Florida aufs Podest gehoben, ist heute umstritten. Denn: Wer zählt zur kreativen Klasse? Und wenn es sie denn gibt: Kann sie Städten neuen Schwung verleihen? In den vergangenen Jahren habe es eine Inflation des Begriffs gegeben, so die Diagnose von Dieter Läpple von der HafenCity Universität Hamburg gleich zu Beginn der Tagung. Jede Stadt wolle gerne Kreativstadt sein, weil sie dahinter ökonomische Stabilität und Prosperität erwarte - auch über die Kreativbranche hinaus, denn: Kreative machen Städte lebenswerter, sie sind ein Standortvorteil, der auch Unternehmen aus der Industrie oder aus dem Finanzwesen anlockt. So zumindest die Theorie, eine Theorie übrigens, die so erfolgreich ihren Siegeszug in die Marketing- und Planungsabteilungen der städtischen Verwaltung angetreten hat, dass sie kaum noch hinterfragt wird.

Das macht mancherorts die Projekte auch weniger schillernd. Katharina Pelke von der Technischen Universität Dortmund freute sich darüber, dass ihre ebenfalls angereisten Berliner Kollegen begeistert von Projekten im Ruhrgebiet erzählten, etwa vom Urban Gardening, das sich auch dort breitmache. "Das, was in der eigenen Stadt passiert, sieht man nicht als besonders an - man schaut dann lieber in die Prinzessinnengärten nach Berlin und sieht sie als beispielhaft an."

Die Prinzessinnengärten sind auch ein Beispiel für ungeplante Kreativität, eine, die von unten heraus entsteht und nicht behördlich verordnet ist. Klaus Overmeyer von der Universität Wuppertal und Gründer von Urban Catalyst in Berlin, der als Landschaftsarchitekt vorgestellt wurde, sich selbst aber Gärtner bezeichnete, hatte viele Illustrationen im Gepäck, mit denen er wetterkartengleich deutlich machte, wie sich Kreative auch in Gebieten ausbreiten, in denen sie zunächst einmal kein optimales Umfeld wiederfinden. Seine Paradebeispiele stammten aus Städten, in denen die Verwaltung entweder kein mahnendes Auge auf Kreativprojekte warf, und die sich deswegen freier entfalten konnten oder in denen die Städte bei der Planung neuer Baugebiete ganz offen Freiräume ließen, ohne diese gleich einer bestimmten Nutzung zuzuführen. Etwas weniger Planung durch die Stadtplanung, bitte, so ließen sich die Thesen von Herrn Overmeyer zusammenfassen. Genau hier entzündete sich in der späteren Podiumsdiskussion auch die Debatte, denn natürlich muss die Stadt ihrerseits auch Rechenschaft ablegen über die Ausgaben, die sie tätigt. Sie tut dies oft genug mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche Stärke der Kreativwirtschaft, auf die Standortvorteile, die sie bringe. Doch ähnlich wie in der Imagewerbung lassen sich solche Argumente nur schwer quantifizieren. "Wenn ich heute Abend den Kreativen ein 14 Hektar großes Grundstück verspreche, dann muss ich morgen Abend bei einer Podiumsdiskussion über Wohnungsbau erklären, warum dort keine Wohnimmobilien gebaut werden", so Olaf Cunitz. Die Stadtpolitik müsse um Ausgleich bemüht sein und Prioritäten setzen. Derzeit, so ließ sich daraus schließen, liegen die Prioritäten weniger auf der Kultur im Allgemeinen, sondern auf der Frage, wie man genügend bezahlbaren Wohnraum und genügend Kindergartenplätze in einer wachsenden Stadt wie Frankfurt schaffen kann. "Dass wir das andere Feld nicht vernachlässigen, zeigt sich schon darin, dass Frankfurt gemessen an seiner Bevölkerung immer noch am meisten in Deutschland für Kultur ausgibt."

So spitzt sich am Ende alles auf die Ökonomie zu. Auch für Immobilienbesitzer, die ihren Leerstand ja für Kreative noch weitaus stärker als bisher öffnen könnten, wenn man sich die gut eine Million Quadratmeter Büroleerstand vor Augen führt, hätten ökonomische Vorteile - viele wissen es nur noch nicht. Beispielhaft wurde der Investor Ardi Goldman genannt, der seine Diamantenbörse vor dem Umbau als Zwischennutzung an Studenten der Städelschule und der HfG freigab, auch das Schauspiel Frankfurt nutzte das Bürohaus für eine Aufführung. Das Gebäude bekam den Nimbus eines irgendwie hippen Ortes, was sich auf die spätere Vermarktung positiv auswirken sollte. Ein ähnliches Beispiel ist die ehemalige Zentrale der Société Général, die mit dem Segen des Projektentwicklers als Partylocation genutzt wird. Gregor Maria Schubert vom Lichter Filmfestival ärgerte sich in einem Zwischenstatement über solcherart Vermarktung, etwa am Beispiel des Europaviertels, wo erst Institutionen wie die von ihm mitgegründete Freitagsküche das Viertel zu einem kreativen Treffpunkt gemacht hätten und jetzt menschenfeindliche Wohn- und Geschäfts-Architektur das Bild bestimme. Von der früheren kreativen Lebensfreude sei genau nichts geblieben.

Bastian Lange von der Berliner Humboldt Universität versuchte das Thema denn auch noch einmal auf eine andere Ebene zu heben. In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Was ist uns wirklich wichtig? Um dies erschöpfend zu klären, reichte aber auch ein langer Konferenztag im Haus am Dom nicht aus. Und dafür sind die Problemfelder, denen sich Kreative in Frankfurt zu stellen haben, vielleicht auch zu individuell. Die Definition, was Kreativität braucht, ist demgegenüber einfach: Raum. Und den kann man sich auch erstreiten. Nicht nur durch Konfrontation, sondern auch durch Kooperation - mit der Stadt, mit der Immobilienwirtschaft, mit den Kunst- und Kulturinstitutionen zusammen.
 
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20. Juni 2013, 09.56 Uhr
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