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Foto: Im KZ Sachsenhausen soll der heute 100-Jährige von 1943 bis 1945 als Wachmann gearbeitet haben © Adobestock/ Enrico Obergefäll
Foto: Im KZ Sachsenhausen soll der heute 100-Jährige von 1943 bis 1945 als Wachmann gearbeitet haben © Adobestock/ Enrico Obergefäll

Prozess in Hanau

Ehemaliger KZ-Wachmann möglicherweise doch vor Gericht

Ein 100-jähriger ehemaliger KZ-Aufseher soll nun möglicherweise doch in Hanau vor Gericht. Es könnte der letzte Prozess dieser Art werden.
In der Anklage gegen einen 100-jährigen ehemaligen SS-Wachmann am Landgericht Hanau gibt es neue Entwicklungen. Nachdem das Landgericht die Eröffnung eines Hauptverfahrens im Mai vergangenen Jahres abgelehnt hatte, hob das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) am vergangenen Dienstag den Beschluss wieder auf. Dem vorausgegangen waren Beschwerden durch die Staatsanwaltschaft und mehrerer Nebenkläger.

Dass das OLG nun das Landgericht zu Nachermittlungen auffordert, hängt mit einem Gutachten über die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten zusammen. In diesem wurde zwar festgestellt, dass der Mann nicht verhandlungsfähig sei. Jedoch gebe es mehrere Mängel, wie das OLG Frankfurt in seinem am Dienstag veröffentlichten Beschluss mitteilte. Das Landgericht habe die Einschätzung zu unkritisch übernommen, so der Senat. Der Sachverständige hätte außerdem selbst angegeben, dass er mit dem Angeschuldigten nicht gesprochen habe. Es sei daher zu überprüfen, ob das Gutachten den anerkannten Mindeststandards genüge

Das Landgericht Hanau teilte mit, dass die angeforderten Nachermittlungen einige Monate in Anspruch nehmen dürften. Eine erneute Entscheidung sollte also noch einige Zeit dauern.

Hintergründe der Anklage

Noch vor Erhebung der Anklage hatte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2022 aufgrund des hohen Alters des Beschuldigten einen Sachverständigen hinzugezogen. Dieser war im Oktober 2022 zu der Einschätzung gelangt, dass der Beschuldigte eingeschränkt verhandlungsfähig sei. Der Sachverständige empfahl jedoch eine zweite Begutachtung vor Eröffnung einer Hauptverhandlung. Als im vergangenen Jahr die Staatsanwaltschaft daraufhin Anklage gegen den Beschuldigten erhob, wurde die empfohlene zweite Einschätzung eingeholt. In dieser stellte der Sachverständige fest, dass der Beschuldigte aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Verschlechterung des körperlichen und psychischen Zustands nun nicht mehr verhandlungsfähig sei. Das Gericht folgte dieser Einschätzung und lehnte die Eröffnung eines Hauptverfahrens ab. Diese Entscheidung muss laut OLG nun neu bewertet werden.

Vorwürfe gegen den Beschuldigten

Vom 4. Juli 1943 bis zum 23. Februar 1945 soll der Mann als Aufseher im KZ Sachsenhausen gedient haben. In diesem Zeitraum wurden in dem Konzentrationslager mindestens 3 318 Häftlinge erschossen, durch den Einsatz von Giftgas getötet oder starben an den Folgen der Unterbringungsverhältnisse.

Dass eine Tat, die sich im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg ereignete, heute vor dem Landgericht Hanau verhandelt wird, hat juristische Gründe. Da der Beschuldigte zur Tatzeit 18 bis 20 Jahre alt war, greift das Jugendstrafrecht und damit auch das Wohnortprinzip. Nach diesem ist für den Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis die Jugendstrafkammer des Landgerichts Hanau zuständig.

Dienstausübung als Beihilfe zum Mord

Seit dem wegweisenden Urteil gegen den ehemaligen KZ-Wachmann John Demjanjuk im Jahr 2011 ist der Nachweis einer individuellen, direkten Beteiligung an Tötungen in diesen Fällen keine Bedingung mehr für die Strafverfolgung. Stattdessen kann bereits die allgemeine Dienstausübung in einem Konzentrationslager zur Anklage führen. Für die Strafverfolgung von NS-Verbrechern eröffnete dies in den vergangenen Jahren auch die Möglichkeit, weitere beteiligte Personen wegen Beihilfe zum Mord anzuklagen.

Aufgrund des hohen Alters vieler ehemaliger Mittäter wird die Zeit für eine juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen jedoch knapp. Das mögliche Verfahren in Frankfurt könnte sogar das letzte seiner Art sein, wie der Frankfurter Generalstaatsanwalt Torsten Kunze betont. Dies unterstreiche die historische Bedeutung des Verfahrens.


Info
Im Konzentrationslager Sachsenhausen, das nördlich von Berlin lag, waren ab 1936 mehr als 200 000 Menschen von den Nationalsozialisten interniert worden. Mittels gezielter Vernichtungsmaßnahmen, Hunger, Zwangsarbeit und Misshandlungen tötete die SS dort zehntausende Menschen. Weitere Tausende starben auf den Todesmärschen Ende 1945, als die Nationalsozialisten das Lager evakuierten.
Das KZ hatte außerdem einen Sonderstatus: Seit seiner Fertigstellung 1936 diente es als Vorbild für weitere KZ. Später wurde es zur Verwaltungszentrale des gesamten KZ-Systems und zu einem Schulungslager der SS.
 
Fotogalerie:
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5. Dezember 2024, 09.17 Uhr
Daniel Geyer
 
 
 
 
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