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Interview zur Frankreich-Wahl

Daniel Cohn-Bendit: "Le Pen wird 35 bis 40 Prozent bekommen"

Im Interview äußert sich der frühere Europaabgeordnete der Grünen, Daniel Cohn-Bendit, über die Chancen von Marine Le Pen, den Favoriten Emmanuel Macron und die Frage, was die Frankreich-Wahl für Deutschland bedeutet.
JOURNAL FRANKFURT: Ich habe mir mal notiert, was Sie vor ein paar Wochen bei uns im Heft prophezeiten: „Es könnte sein, dass in Frankreich das gleiche passiert wie in Österreich, dass nämlich zwei große Volksparteien, die die politischen Geschicke des Landes seit Jahrzehnten bestimmten, beide nicht im zweiten Wahlgang sind. Dann wird Macron gegen Le Pen haushoch gewinnen und die politische Landschaft Frankreichs durchläuft eine kopernikanische Revolution.“ Stehen wir nun vor dieser Revolution?
Daniel Cohn-Bendet: Sicherlich, doch es bleibt ein Problem.

Und das wäre?
Sicher, Macron wird gewinnen. Doch Le Pen wird ein weitaus besseres Ergebnis bekommen als einst ihr Vater. Das liegt unter anderem daran, dass viele Menschen mit beiden Kandidaten in der Stichwahl nichts anfangen können und zuhause bleiben – rechts wie links des politischen Spektrums. Es liegt auch daran, dass jene Wähler, die für Jean-Luc Mélenchon gestimmt haben, ohne Position gelassen werden. Dabei hatte Mélenchon 2002 dazu aufgerufen, den alten Le Pen als Präsidenten zu verhindern. Diesmal nicht.

Mit was wird Le Pen aus der Stichwahl herausgehen?
Mit 35, vielleicht sogar mit 40 Prozent. Das muss man sich mal vorstellen. Sie bekommt damit doppelt soviel wie der Front National vor 15 Jahren. Um es mal auf hiesige Verhältnisse zu übersetzen: Das wäre so, als würden 40 Prozent die AfD wählen. Das ist erschreckend.

Woran liegt der Aufwind der Rechtsradikalen in Frankreich?
Nun, in Frankreich gibt es eine rassistische Tradition, die zurückreicht bis in die Zeit der Kollaboration während des Zweiten Weltkriegs. Dazu gekommen ist eine Stimmung, die sich gegen Migranten wendet, dazu gekommen sind soziale Enttäuschungen. Dies alles bündelt der Front National in der Person Marine Le Pen zu einer politischen Strömung.
Marine Le Pen gibt in der Öffentlichkeit auch ein sympathischeres Bild ab als ihr Vater.
Sie erweckt den Anschein, harmlos zu sein.

Lässt sich ihr Erstarken abschwächen?
Macron wird versuchen, mit Deutschland zusammen die Europapolitik zu verändern. Er wird auch versuchen, zum Missfallen Schäubles, die Haushaltsdisziplin zugunsten von größerer sozialer Konvergenz aufzugeben. Kurzum: Die deutsche Politik wird sich an diesen neuen Partner gewöhnen müssen.

Interessant ist, dass sich die Rechte wie auch die Linke an Europa im Wahlkampf abgearbeitet haben.
Mit rechts und links hat das wenig zu tun, sondern mit populistischen Parolen. Die Linke redet nicht mehr von gesellschaftlichen Klassen, sie hat sich darauf versteift, vom Volk zu reden, oder von "den Leuten", deren Interessen sie vorgibt, durchsetzen zu wollen. So ähneln sie sich – und Leute wie Mélenchon tun sich schwer damit, für einen sozialliberalen Kandidaten wie Macron zu werben. Egal, wie düster seine Gegenkandidatin ist. Das ist der eigentliche Skandal.

Das Interview erschien zuerst in der Journal-Frankfurt-Ausgabe vom 2. Mai 2017.
 
Fotogalerie:
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3. Mai 2017, 10.44 Uhr
Nils Bremer
 
 
 
 
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