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Ein Gespräch mit Thorsten Schäfer-Gümbel
„Alles hat seine Zeit“
Vor einer Woche gab Thorsten Schäfer-Gümbel seinen Rückzug aus der Politik bekannt. Ende September wird er seine Ämter niederlegen. Mit dem JOURNAL FRANKFURT sprach TSG schon im vergangenen November, nur kurz nach der Wahlniederlage, über seine politische Zukunft.
„Ein großes Ziel ist geplatzt. Es fühlt sich an, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen – zurück bleibt im ersten Moment eine unfassbare Leere“, beschreibt Thorsten Schäfer-Gümbel den Moment, in dem ihm klar wurde, dass er verloren hatte. Schon wieder. Es ist der Abend des 20. Novembers 2018. Die Hessenwahl liegt knapp drei Wochen zurück. In Wiesbaden haben CDU und Grüne die Koalitionsverhandlungen aufgenommen. Währenddessen sitzt TSG, wie er meist genannt wird, alleine in einem Café im Frankfurter Nordend und liest in dem Buch „Leben mit Picasso“ von Françoise Gilot, vor ihm eine Tasse heißen Kaffees. Wir treffen uns zu einem Spaziergang durch das Viertel, um zu reden – über die Zukunft der SPD und über die Zukunft Thorsten Schäfer-Gümbels.
Vor fast genau zehn Jahren wurde der heutige stellvertretende Bundesparteivorsitzende der SPD Spitzenkandidat des hessischen Landesverbandes. In seine Rolle kam er nicht ganz freiwillig durch das Andrea Ypsilanti-Debakel. Das Ansehen seiner Partei nach der gescheiterten Regierungsbildung von 2008 wiederherzustellen, grenzte an einen Kraftakt. Heute steht er selbst vor einem Trümmerhaufen – von seiner Arbeit und der sozialdemokratischen Partei scheinen nur noch Scherben übrig zu sein. Vor wenigen Wochen musste Schäfer-Gümbel seine dritte Wahlniederlage in Folge bei einer Landtagswahl verkraften. Unter seiner Führung hat die SPD in Hessen das schlechteste Wahlergebnis seit 1946 geholt. Ein herber Schlag. Ihm ist anzumerken, dass ihm die Niederlage nahegeht, seine eigene Zukunft scheint ungewiss.
„Ich hadere mit mir“, antwortet er auf die Frage, ob er vorhabe, noch ein viertes Mal anzutreten. Ebenso hadert er mit seiner Rolle als stellvertretender Bundesparteivorsitzender. Er stellt sich schon länger die Frage, ob er aus dieser Rolle mehr hätte machen sollen in den vergangenen Wochen und Monaten. Erst im November 2019 will er sich auf dem Landesparteitag zu einer möglichen weiteren Kandidatur erklären.
„Ich habe jeden Tag, 1744 Tage lang, auf diese Wahl hingearbeitet. So eine Niederlage macht etwas mit einem.“ (Foto: Dirk Ostermeier)
Lange hatte er sich auf die Landtagswahl vorbereitet. Am 18. Januar 2014, dem Tag der Vereidigung Volker Bouffiers für die vergangene Legislaturperiode, hatte sich TSG einen Timer auf seinem iPad und Smartphone gestellt. 1744 Tage lang lief dieser Timer – das entspricht wahlweise 249 Wochen und einem Tag, 41 856 Stunden oder 2 511 360 Minuten. Die Uhr tickte – wenn sie abgelaufen war, wollte er der neue Ministerpräsident in Hessen sein. So der Plan. Es sollte anders kommen. „Ich habe jeden Tag, 1744 Tage lang, auf diese Wahl hingearbeitet. So eine Niederlage macht etwas mit einem. Das Ergebnis geht unabhängig von den Rahmenbedingungen mit mir nach Hause.“
Viele erwarteten nach der Niederlage seinen Rücktritt als Landesvorsitzender. Doch um einfach zu gehen, ist er zu diszipliniert. Er sieht es als seine Verantwortung an, die SPD neu zu organisieren. Unkten die Medien schon vor der Wahl mal mehr, mal weniger gut hörbar, die Sozialdemokratie sei am Ende, wurden spätestens mit dem niederschmetternden Ergebnis in Hessen die kritischen Stimmen unüberhörbar. Die FAZ schrieb, die SPD „stochere im Nebel“ und das Handelsblatt titelte nur einen Tag nach der Hessenwahl „Die SPD sieht ihrem Niedergang zu“ – dazu ein Foto von Thorsten Schäfer-Gümbel und Andrea Nahles.
Dass die SPD unter Druck steht, weiß auch TSG. Von einer dringend notwendigen Erneuerung ist in diesen Tagen immer häufiger die Rede. Das Wort kann er nicht mehr hören: „Das steht mir Unterkante Oberlippe. Es wird immer viel gelabert, aber zu wenig gemacht.“ Den offenen Brief, den Vorsitzende verschiedener hessischer Ortsvereine und der Jusos nach der Wahlniederlage an die „enttäuschten Wähler*innen“ geschrieben hatten, empfindet er als „anstrengend und unterkomplex“. Bestimmte Teile der Jusos lassen ihn ratlos zurück, auch, wenn er grundsätzlich den Ärger und Frust nachvollziehen könne: „Die Erneuerung fängt unten an. In der Internationalen heißt es ‚Uns rettet kein höheres Wesen‘. Aus Berlin wird kein Erlöser kommen, das packen wir nur zusammen.“ Der verhinderte Ministerpräsident ist wütend, es scheint sich einiges in ihm aufgestaut zu haben.
„In der SPD hat es schwere Fehler gegeben, beispielsweise im Falle Maaßen. Das weiß Andrea Nahles auch.“ (Foto: Dirk Ostermeier)
Deutliche Worte findet er insbesondere in Richtung der Bundesparteispitze. Die müsse endlich ihr Handwerk lernen, es passierten zu viele Fehler in den Führungsstäben. Wie fatal fehlende interne Absprachen sein können, zeigte zuletzt die Causa Hans-Georg Maaßen. „In der SPD hat es schwere Fehler gegeben, beispielsweise im Falle Maaßen. Fußballerisch gesprochen war das ein Sechs-Punkte-Spiel und dieses Spiel haben wir verloren – das weiß Andrea Nahles auch. Sie hat einen schweren Fehler in dieser ersten Entscheidung getroffen, indem sie einer Vereinbarung zugestimmt hat, in der Herr Maaßen befördert werden sollte. Das hat niemand nachvollziehen können, innerhalb und außerhalb der SPD“, sagt Schäfer-Gümbel. Das eigentliche Problem der SPD sei jedoch nicht in erster Linie Andrea Nahles, sagt TSG, sondern, dass die Abläufe zwischen Regierung und Fraktion nicht gelängen: „Das Handwerk muss besser werden. Es ist irre, dass wir an dem Tag, an dem der Mindestlohn im Kabinett erhöht wird, gleichzeitig eine Stunde vorher eine Debatte über zwölf Euro Mindestlohn beginnen. Kein Wunder, dass sich die Wähler fragen, was die SPD eigentlich treibt. Das ist der Punkt, der mich am meisten ärgert, denn das ist eine Frage der internen Abstimmung – und das ist reines Handwerk. So etwas ist eigentlich schnell zu lösen.“ Dafür gebe es regelmäßige Runden von Pressesprechern und Hausspitzen, die untereinander ihre Kommunikation abstimmen. Gegen welchen seiner Genossen in der Parteispitze die Kritik gerichtet ist, möchte er nicht sagen.
Dennoch: Dass die SPD die Wahl in Hessen mit einem katastrophalen Ergebnis verloren hat, ist nicht ausschließlich auf die Fehler der Bundesregierung zurückführen, muss auch TSG einräumen. Als Spitzenkandidat hat er die Wahlkampagne in wesentlichen Teilen mitentwickelt. Was also hat er dabei nicht bedacht? „Meine Strategie war, erst die hessische SPD möglichst gut aufzustellen – inhaltlich, strategisch, personell – und dann anschließend an den Erfolg in Hessen, die Probleme der Bundes-SPD anzugehen. Diese Strategie ist am 28. Oktober gescheitert.“ Der gewöhnliche Wähler unterscheidet, anders als ein Politiker, in der Regel nicht zwischen Landes- und Bundespartei. Macht die eine Seite Fehler, bekommt die andere das mit aller Härte bei der nächsten Wahl zu spüren. Dass er dies nicht rechtzeitig erkannt hat, sei der Fehler, den er sich am meisten vorhalte: „Ich hätte mich stärker in bestimmte bundespolitische Entscheidungen und Debatten einmischen müssen. Ich habe das zu sehr laufen lassen und mich zu stark auf Hessen beschränkt.“
„Die Grünen haben im hessischen Landtag keine strategischen Freunde
und Partner mehr.“ (Foto: Dirk Ostermeier)
Bis wenige Wochen vor der Landtagswahl ließen die Umfragewerte die SPD noch auf ein Ergebnis von über 20 Prozent hoffen, eine Platzierung vor den Grünen schien sicher. „Doch dann kam Maaßen, dann kam Seehofer, dann kam Bayern. Und das hat innerhalb von wenigen Wochen infrage gestellt, was wir aufgebaut hatten. Wir hatten kein emotionalisierungsfähiges Thema mehr, das wir dem zusätzlich hätten entgegensetzen können“, sagt Schäfer-Gümbel. Dazu hat irgendwann die Kraft gefehlt, organisatorisch wie auch finanziell. Ob er glaube, dass die Landtagswahl positiver ausgegangen wäre, wenn man im Fall Maaßen anders entschieden hätte? Die Antwort ist ein klares „Ja“. Für den Wähler war die Hessenwahl die passende Gelegenheit, die Bundes-SPD abzustrafen.
Thorsten Schäfer-Gümbel ist sich sicher, ohne Maaßen wären die Grünen aktuell nicht so erfolgreich. Doch dieser Erfolg werde nicht lange anhalten: „Der grüne Höhenflug hat ja erst mit Maaßen richtig begonnen. Aber der wird über kurz oder lang enden. Die Stunde der Wahrheit kommt für die Grünen in der der zweiten schwarz-grünen Legislaturperiode.“ Die Vorwürfe, die TSG gegenüber den Grünen erhebt, sind nicht minder schwer als die gegenüber der eigenen Parteispitze. Er spricht von einem Unvermögen der schwarz-grünen Landesregierung, bei harten Fragen Entscheidungen zu treffen und von einem arroganten Verhalten des grünen Führungsstabes während der vergangenen Legislaturperiode und der Sondierungsgespräche: „Die Grünen haben im hessischen Landtag keine strategischen Freunde und Partner mehr. Der Hochmut, mit dem Teile der grünen Führung in den vergangenen Jahren und Tagen durch den Landtag stolziert sind und der auch in den Gesprächen der vergangenen Wochen sehr präsent war, wird keine Ergebnisse produzieren.“
Tarek Al-Wazir und Priska Hinz wirft er außerdem „neunmalkluges“ Verhalten vor. Im nächsten Satz fügt er hinzu, eine Demokratie funktioniere nur, wenn man auch akzeptieren könne, dass das Gegenüber möglicherweise mit seinen Überzeugungen recht haben könnte. „Man darf sich auch mal selbst infrage stellen, das geht großen Teilen der grünen Führung einfach ab.“ Für sich selbst nimmt der SPD-Landesvorsitzende diese Fähigkeit in Anspruch. Er suche die Fehler zuerst immer bei sich selbst, sagt er. Im Interesse einer Reform sei er daher auch bereit gewesen, einen grünen Ministerpräsidenten zu wählen: „In der Sache gab es keinen Grund, der gegen eine Ampelkoalition sprach. Hätte man es wirklich gewollt, hätte man jede inhaltliche Hürde überwinden können. So kann man nur den Schluss ziehen, dass eine Ampel nicht gewollt wurde.“ In den phasenweise sehr gezwungen wirkenden Sondierungsgesprächen sei eine „emotionale Blockade“ bei den Grünen spürbar gewesen.
Wir sind zurück in dem Café. Thorsten Schäfer-Gümbel wirkt entspannt, als wäre eine große Last von ihm abgefallen. Er erzählt, dass er aktuell versuche, nur zwölf Stunden am Tag zu arbeiten statt der üblichen 16. Demnächst möchte er ein paar Tage zum Wandern in die Berge fahren. Daheim hat er gerade seinen Garten winterfest gemacht. Das Fahrrad muss noch repariert werden. Eines ist ihm noch wichtig zu betonen: Gegenüber Tarek Al-Wazir hege er trotz allem keine bitteren Gefühle. Im Gegenteil, viele Jahre sei man einander sogar freundschaftlich verbunden gewesen: „Bis zur Landtagswahl 2013 gab es viele persönliche Begegnungen, die allerdings mit der Wahl der ersten schwarz-grünen Landesregierung bis heute versandet sind.“ In den vergangenen fünf Jahren hat sich Thorsten Schäfer-Gümbel mehrfach um ein Treffen mit Al-Wazir bemüht. Zustande gekommen ist aber nur ein knapp 45-minütiger Termin. Dass an die einst so gute Beziehung nicht angeknüpft werden konnte, bedauert er sehr: „Wie heißt es so richtig im Alten Testament: Alles hat seine Zeit.“ An dem Freitag, an dem das amtliche Endergebnis der Wahl bekanntgegeben wurde, hat Thorsten Schäfer-Gümbel versucht, Tarek Al-Wazir und Angela Dorn telefonisch zu erreichen, um ihnen zu gratulieren. Keiner der beiden nahm das Gespräch an. Auf einen Rückruf wartet er noch immer.
(Foto: Dirk Ostermeier)
Dieser Artikel erschien erstmals in der Print-Ausgabe 12/2018 des JOURNAL FRANKFURT.
Vor fast genau zehn Jahren wurde der heutige stellvertretende Bundesparteivorsitzende der SPD Spitzenkandidat des hessischen Landesverbandes. In seine Rolle kam er nicht ganz freiwillig durch das Andrea Ypsilanti-Debakel. Das Ansehen seiner Partei nach der gescheiterten Regierungsbildung von 2008 wiederherzustellen, grenzte an einen Kraftakt. Heute steht er selbst vor einem Trümmerhaufen – von seiner Arbeit und der sozialdemokratischen Partei scheinen nur noch Scherben übrig zu sein. Vor wenigen Wochen musste Schäfer-Gümbel seine dritte Wahlniederlage in Folge bei einer Landtagswahl verkraften. Unter seiner Führung hat die SPD in Hessen das schlechteste Wahlergebnis seit 1946 geholt. Ein herber Schlag. Ihm ist anzumerken, dass ihm die Niederlage nahegeht, seine eigene Zukunft scheint ungewiss.
„Ich hadere mit mir“, antwortet er auf die Frage, ob er vorhabe, noch ein viertes Mal anzutreten. Ebenso hadert er mit seiner Rolle als stellvertretender Bundesparteivorsitzender. Er stellt sich schon länger die Frage, ob er aus dieser Rolle mehr hätte machen sollen in den vergangenen Wochen und Monaten. Erst im November 2019 will er sich auf dem Landesparteitag zu einer möglichen weiteren Kandidatur erklären.
„Ich habe jeden Tag, 1744 Tage lang, auf diese Wahl hingearbeitet. So eine Niederlage macht etwas mit einem.“ (Foto: Dirk Ostermeier)
Lange hatte er sich auf die Landtagswahl vorbereitet. Am 18. Januar 2014, dem Tag der Vereidigung Volker Bouffiers für die vergangene Legislaturperiode, hatte sich TSG einen Timer auf seinem iPad und Smartphone gestellt. 1744 Tage lang lief dieser Timer – das entspricht wahlweise 249 Wochen und einem Tag, 41 856 Stunden oder 2 511 360 Minuten. Die Uhr tickte – wenn sie abgelaufen war, wollte er der neue Ministerpräsident in Hessen sein. So der Plan. Es sollte anders kommen. „Ich habe jeden Tag, 1744 Tage lang, auf diese Wahl hingearbeitet. So eine Niederlage macht etwas mit einem. Das Ergebnis geht unabhängig von den Rahmenbedingungen mit mir nach Hause.“
Viele erwarteten nach der Niederlage seinen Rücktritt als Landesvorsitzender. Doch um einfach zu gehen, ist er zu diszipliniert. Er sieht es als seine Verantwortung an, die SPD neu zu organisieren. Unkten die Medien schon vor der Wahl mal mehr, mal weniger gut hörbar, die Sozialdemokratie sei am Ende, wurden spätestens mit dem niederschmetternden Ergebnis in Hessen die kritischen Stimmen unüberhörbar. Die FAZ schrieb, die SPD „stochere im Nebel“ und das Handelsblatt titelte nur einen Tag nach der Hessenwahl „Die SPD sieht ihrem Niedergang zu“ – dazu ein Foto von Thorsten Schäfer-Gümbel und Andrea Nahles.
Dass die SPD unter Druck steht, weiß auch TSG. Von einer dringend notwendigen Erneuerung ist in diesen Tagen immer häufiger die Rede. Das Wort kann er nicht mehr hören: „Das steht mir Unterkante Oberlippe. Es wird immer viel gelabert, aber zu wenig gemacht.“ Den offenen Brief, den Vorsitzende verschiedener hessischer Ortsvereine und der Jusos nach der Wahlniederlage an die „enttäuschten Wähler*innen“ geschrieben hatten, empfindet er als „anstrengend und unterkomplex“. Bestimmte Teile der Jusos lassen ihn ratlos zurück, auch, wenn er grundsätzlich den Ärger und Frust nachvollziehen könne: „Die Erneuerung fängt unten an. In der Internationalen heißt es ‚Uns rettet kein höheres Wesen‘. Aus Berlin wird kein Erlöser kommen, das packen wir nur zusammen.“ Der verhinderte Ministerpräsident ist wütend, es scheint sich einiges in ihm aufgestaut zu haben.
„In der SPD hat es schwere Fehler gegeben, beispielsweise im Falle Maaßen. Das weiß Andrea Nahles auch.“ (Foto: Dirk Ostermeier)
Deutliche Worte findet er insbesondere in Richtung der Bundesparteispitze. Die müsse endlich ihr Handwerk lernen, es passierten zu viele Fehler in den Führungsstäben. Wie fatal fehlende interne Absprachen sein können, zeigte zuletzt die Causa Hans-Georg Maaßen. „In der SPD hat es schwere Fehler gegeben, beispielsweise im Falle Maaßen. Fußballerisch gesprochen war das ein Sechs-Punkte-Spiel und dieses Spiel haben wir verloren – das weiß Andrea Nahles auch. Sie hat einen schweren Fehler in dieser ersten Entscheidung getroffen, indem sie einer Vereinbarung zugestimmt hat, in der Herr Maaßen befördert werden sollte. Das hat niemand nachvollziehen können, innerhalb und außerhalb der SPD“, sagt Schäfer-Gümbel. Das eigentliche Problem der SPD sei jedoch nicht in erster Linie Andrea Nahles, sagt TSG, sondern, dass die Abläufe zwischen Regierung und Fraktion nicht gelängen: „Das Handwerk muss besser werden. Es ist irre, dass wir an dem Tag, an dem der Mindestlohn im Kabinett erhöht wird, gleichzeitig eine Stunde vorher eine Debatte über zwölf Euro Mindestlohn beginnen. Kein Wunder, dass sich die Wähler fragen, was die SPD eigentlich treibt. Das ist der Punkt, der mich am meisten ärgert, denn das ist eine Frage der internen Abstimmung – und das ist reines Handwerk. So etwas ist eigentlich schnell zu lösen.“ Dafür gebe es regelmäßige Runden von Pressesprechern und Hausspitzen, die untereinander ihre Kommunikation abstimmen. Gegen welchen seiner Genossen in der Parteispitze die Kritik gerichtet ist, möchte er nicht sagen.
Dennoch: Dass die SPD die Wahl in Hessen mit einem katastrophalen Ergebnis verloren hat, ist nicht ausschließlich auf die Fehler der Bundesregierung zurückführen, muss auch TSG einräumen. Als Spitzenkandidat hat er die Wahlkampagne in wesentlichen Teilen mitentwickelt. Was also hat er dabei nicht bedacht? „Meine Strategie war, erst die hessische SPD möglichst gut aufzustellen – inhaltlich, strategisch, personell – und dann anschließend an den Erfolg in Hessen, die Probleme der Bundes-SPD anzugehen. Diese Strategie ist am 28. Oktober gescheitert.“ Der gewöhnliche Wähler unterscheidet, anders als ein Politiker, in der Regel nicht zwischen Landes- und Bundespartei. Macht die eine Seite Fehler, bekommt die andere das mit aller Härte bei der nächsten Wahl zu spüren. Dass er dies nicht rechtzeitig erkannt hat, sei der Fehler, den er sich am meisten vorhalte: „Ich hätte mich stärker in bestimmte bundespolitische Entscheidungen und Debatten einmischen müssen. Ich habe das zu sehr laufen lassen und mich zu stark auf Hessen beschränkt.“
„Die Grünen haben im hessischen Landtag keine strategischen Freunde
und Partner mehr.“ (Foto: Dirk Ostermeier)
Bis wenige Wochen vor der Landtagswahl ließen die Umfragewerte die SPD noch auf ein Ergebnis von über 20 Prozent hoffen, eine Platzierung vor den Grünen schien sicher. „Doch dann kam Maaßen, dann kam Seehofer, dann kam Bayern. Und das hat innerhalb von wenigen Wochen infrage gestellt, was wir aufgebaut hatten. Wir hatten kein emotionalisierungsfähiges Thema mehr, das wir dem zusätzlich hätten entgegensetzen können“, sagt Schäfer-Gümbel. Dazu hat irgendwann die Kraft gefehlt, organisatorisch wie auch finanziell. Ob er glaube, dass die Landtagswahl positiver ausgegangen wäre, wenn man im Fall Maaßen anders entschieden hätte? Die Antwort ist ein klares „Ja“. Für den Wähler war die Hessenwahl die passende Gelegenheit, die Bundes-SPD abzustrafen.
Thorsten Schäfer-Gümbel ist sich sicher, ohne Maaßen wären die Grünen aktuell nicht so erfolgreich. Doch dieser Erfolg werde nicht lange anhalten: „Der grüne Höhenflug hat ja erst mit Maaßen richtig begonnen. Aber der wird über kurz oder lang enden. Die Stunde der Wahrheit kommt für die Grünen in der der zweiten schwarz-grünen Legislaturperiode.“ Die Vorwürfe, die TSG gegenüber den Grünen erhebt, sind nicht minder schwer als die gegenüber der eigenen Parteispitze. Er spricht von einem Unvermögen der schwarz-grünen Landesregierung, bei harten Fragen Entscheidungen zu treffen und von einem arroganten Verhalten des grünen Führungsstabes während der vergangenen Legislaturperiode und der Sondierungsgespräche: „Die Grünen haben im hessischen Landtag keine strategischen Freunde und Partner mehr. Der Hochmut, mit dem Teile der grünen Führung in den vergangenen Jahren und Tagen durch den Landtag stolziert sind und der auch in den Gesprächen der vergangenen Wochen sehr präsent war, wird keine Ergebnisse produzieren.“
Tarek Al-Wazir und Priska Hinz wirft er außerdem „neunmalkluges“ Verhalten vor. Im nächsten Satz fügt er hinzu, eine Demokratie funktioniere nur, wenn man auch akzeptieren könne, dass das Gegenüber möglicherweise mit seinen Überzeugungen recht haben könnte. „Man darf sich auch mal selbst infrage stellen, das geht großen Teilen der grünen Führung einfach ab.“ Für sich selbst nimmt der SPD-Landesvorsitzende diese Fähigkeit in Anspruch. Er suche die Fehler zuerst immer bei sich selbst, sagt er. Im Interesse einer Reform sei er daher auch bereit gewesen, einen grünen Ministerpräsidenten zu wählen: „In der Sache gab es keinen Grund, der gegen eine Ampelkoalition sprach. Hätte man es wirklich gewollt, hätte man jede inhaltliche Hürde überwinden können. So kann man nur den Schluss ziehen, dass eine Ampel nicht gewollt wurde.“ In den phasenweise sehr gezwungen wirkenden Sondierungsgesprächen sei eine „emotionale Blockade“ bei den Grünen spürbar gewesen.
Wir sind zurück in dem Café. Thorsten Schäfer-Gümbel wirkt entspannt, als wäre eine große Last von ihm abgefallen. Er erzählt, dass er aktuell versuche, nur zwölf Stunden am Tag zu arbeiten statt der üblichen 16. Demnächst möchte er ein paar Tage zum Wandern in die Berge fahren. Daheim hat er gerade seinen Garten winterfest gemacht. Das Fahrrad muss noch repariert werden. Eines ist ihm noch wichtig zu betonen: Gegenüber Tarek Al-Wazir hege er trotz allem keine bitteren Gefühle. Im Gegenteil, viele Jahre sei man einander sogar freundschaftlich verbunden gewesen: „Bis zur Landtagswahl 2013 gab es viele persönliche Begegnungen, die allerdings mit der Wahl der ersten schwarz-grünen Landesregierung bis heute versandet sind.“ In den vergangenen fünf Jahren hat sich Thorsten Schäfer-Gümbel mehrfach um ein Treffen mit Al-Wazir bemüht. Zustande gekommen ist aber nur ein knapp 45-minütiger Termin. Dass an die einst so gute Beziehung nicht angeknüpft werden konnte, bedauert er sehr: „Wie heißt es so richtig im Alten Testament: Alles hat seine Zeit.“ An dem Freitag, an dem das amtliche Endergebnis der Wahl bekanntgegeben wurde, hat Thorsten Schäfer-Gümbel versucht, Tarek Al-Wazir und Angela Dorn telefonisch zu erreichen, um ihnen zu gratulieren. Keiner der beiden nahm das Gespräch an. Auf einen Rückruf wartet er noch immer.
(Foto: Dirk Ostermeier)
Dieser Artikel erschien erstmals in der Print-Ausgabe 12/2018 des JOURNAL FRANKFURT.
27. März 2019, 11.09 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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23. November 2024
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