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Amüsiermeile oder Wohnidyll?

Planlos in Alt-Sachsenhausen

Tagsüber verfallene Einöde, abends Ballermannhalligalli und an den Wochenenden der Treffpunkt für Junggesellenabschiede. Für viele Frankfurter ist Alt-Sachsenhausen längst eine Feier- oder eine No-Go-Area. Ist der Kiez noch zu retten?
Im Sonnenlicht zeigt sich der Verfall mancher Häuser in der Sachsenhäuser Altstadt am deutlichsten, nachts hingegen schweift der Blick über betrunkene Gäste, da wird gegrölt, sich erbrochen und geprügelt. Mit dem Bau des Paradieshofs und einer festen Adresse der Fliegenden Volksbühne im Kiez hatten sich ursprünglich die Stadt, aber auch Investoren wie Kilian Bumiller – der in Alt-Sachsenhausen zehn Häuser sein eigen nennt –, erhofft, dass sich das Niveau ändert und man mit Theatercafé-Gastronomie auch tagsüber Menschen in die Sachsenhäuser Altstadt locken könne. Doch der Theaterstandort, für dessen Planung die Stadt angeblich schon 5 Millionen Euro ausgegeben hatte, wurde wegen Sparzwanges aufgegeben. Eine Podiumsdiskussion in der Schulstraße sollte am Dienstagabend unter der Leitung des FAZ-Redakteurs Rainer Schulze Aufschlüsse darüber bringen, wie es denn nun mit dem Problemviertel weitergehen soll.

Um es vorweg zu nehmen, eine Frage stellte sich an dem Abend immer wieder. Nämlich: „Was wollen wir in Alt Sachsenhausen eigentlich? Ein historisches Wohnviertel oder eine Vergnügungsmeile?“. Ganz offensichtlich hat dazu nicht mal die Stadt Frankfurt eine dezidierte Meinung und das schon seit Jahrzehnten. Rainer Schulze las aus einem Reiseführer aus dem Jahr 1994 vor, in dem beschrieben stand, wie idyllisch die Altstadt tagsüber sei, abends aber „versauen lärmende Betrunkene die Stimmung“. Der Abstieg vom Kleineleuteviertel zum Vergnügungspark ist also ein langanhaltender und scheinbar vorerst nicht zu stoppender Prozess.

Wie es dazu hat kommen können, die Frage konnte Stadtplaner und Bürgermeister Olaf Cunitz (Grüne) auch nicht klären. Überhaupt musste er bei der Diskussion als Stellvertreter der Stadt für vieles herhalten, das er persönlich nicht zu verantworten hat. „Die Veränderung habe ich gar nicht mitbekommen“, sagt Cunitz. „Ich habe aus den 80er-Jahren als Jugendlicher noch die Kneipen in Erinnerung. Ich habe das als Viertel erlebt, in dem gefeiert wurde, als die Streitkräfte noch hier stationiert waren. Das gab jedes Mal ein großes Aufgebot an Polizei. Es gab Schlägereien und Betrunkene. Das war in den 80er Jahren schon so. Die heile Welt Sachsenhausens habe ich als gebürtiger Frankfurter nie erlebt. Das ist weniger ein Problem der Stadtplanung, sondern vielschichtiger. Das hat auch was mit Gastronomie zu tun.“ Cunitz zog aber als Beispiel auch den Friedberger Platz heran, der sich zum Feiertreffpunkt entwickelt hat. „Muss es in der Stadt so einen Platz geben oder wenn nicht dort, wird dann nicht das Problem einfach verlagert?“ Der Grünenpolitiker argumentierte ferner: „Die Gastronomen machen in Alt Sachsenhausen ja auch Umsätze, die sie wohl mit beschaulichen Tanzteecafés nicht machen würden. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Stadt aus der Verantwortung raus ist.“

Die Architektin Marie-Theres Deutsch hat ein ganz eigenes Interesse an dem Viertel. Sie hat ein Projekt dort entwickelt und wohnt in der Feiermeile. „Bei den Temperaturen sitzt man gerne draußen, aber abends ist es wahnsinnig laut. Die Lage ist toll, so nah an der Alten Brücke. Aber das Problem sollte man in absehbarer Zeit in den Griff bekommen. So sind wir Pioniere, die mittlerweile schon das dritte Garagentor haben, weil es nachts immer eingetreten wird.“ Deutsch berichtete von Beziehungsdramen und der Kriminalitätslage vor der Haustür.

Daran haben auch die Förderprogramme für das Viertel, die seit zwölf Jahren aufgelegt werden, nichts verändert. Von 120 Häusern seien 69 Gebäude saniert worden, sieben gar neu entstanden, sagt Moderator Schulze. Doch von dem Budget von 15 Millionen Euro seien noch fünf Millionen übrig, die eigentlich für das Paradieshofprojekt sein sollten....und würde Kultur im Kiez nicht alles ändern?

„Wir haben noch keine Alternativplanung, weil ich es als Ziel ansehe, das Theaterprojekt mit Privatinvestoren zu realisieren“, sagt Cunitz und lässt aus dem hoffnungsvollen Ballon gleich wieder die Luft raus: „Aber das Theater im Paradieshof ändert in der Rittergasse noch nichts. So einfach wird das nicht sein: Auf der einen Seite Halligalli, auf der anderen Seite Theater. Im Zweifelsfall werden die Theaterbesucher entsetzt das Weite suchen.“ Neue Lösungsansätze vermochte der Stadtplanungsdezernent jedoch nicht hervorbringen, dafür verwies er zurecht auf das Programm „Schöneres Frankfurt“ und die anstehenden Verschönerungen der Elisabethenstraße, des Frankensteiner Platzes sowie des Affentorplatzes. „Es gibt bereits massenhaft Initiativen zur Aufwertung Alt-Sachsenhausens.“

Doch ist damit die Stadt aus dem Schneider? „Ich seh mich als Anwalt der Nutzung“, sagt Kilian Bumiller, der Investor, dessen Hoffnungen auf dem Viertel ruhen. „Die privaten Eigentümer müssen sich selbst an die Nase fassen.“ Seine Immobilien mögen mittlerweile hübsch aussehen, anders als die Häuser anderer Besitzer, die kein Fördermittel nutzen, um ihr historisches Gebäude vor dem Verfall zu retten. Doch musste sich Bumiller an dem Abend auch selbst Kritik anhören, letztlich sind in seinen Liegenschaften auch Kneipen wie das Oberbayern und Hooters beheimatet, aber auch das gemäßigtere Hugo. Bumiller selbst würde Riesling mit Flammkuchen als Angebot dem Meter Bier vorziehen. Außerdem plädiert er für eine gesteigerte Tagesnutzung, etwa mit Bäckereien oder einem Café, was auch für die Bewohner des Viertels von Interesse sei und die Gässchen belebe. „Die meisten Gastronomien machen erst ab 18 Uhr auf. Tagsüber ist kein Stuhl da. Das ist etwas, was die Eigentümer ohne viel Budget tun können.“

Ein neues Problem brachte Astrid Wuttke vom Planungsbüro Schneider + Schumacher ins Gespräch. Sie monierte, dass die zwei Satzungen für das Viertel, die Gestaltungs- und die Erhaltungssatzung, Planungen erschwere. Die Grundstücke müssten die ursprüngliche Parzellengröße beibehalten und Ansprüche an modernes Wohnen, wie etwa eine Dachterrasse seien nicht erlaubt. Marie-Theres Deutsch pflichtete der Kollegin bei: „Das ist investorenfeindlich.“

Am Ende stellte Olaf Cunitz aber klar, dass es sich bei Alt Sachsenhausen nun mal um einen historischen Ort handele. „Nördlich des Mains bauen wir eine Altstadt wieder auf. Aber wir haben so viel historisch wertvollen Bestand hier in der Altstadt. Diese Restriktionen sollte man daher also achten. Das Problem ist nicht, dass wir unzumutbare Grenzen für Investoren aufgestellt haben.“

Leidenschaft brauche man für das Viertel und eine gute Idee und man müsse sich zusammenschließen, davon ist Kilian Bumiller überzeugt. Er selbst hofft, dass in fünf bis zehn Jahren Alt Sachsenhausen doch endlich aufblüht. „Die Talsohle ist längst überschritten. Wenn man sich heute den Merianplatz oder die beliebte Untere Berger Straße anschaut – das hat auch 30 Jahre gedauert. Ich glaube, dass trotz der Satzungen viele Dinge schon gelungen sind.“

Doch dass sich neue Projekte im Viertel nur schwer realisieren lassen, davon können Marie Theres Deutsch und auch Frank Brammer von Franken Architekten ein Lied singen. Kleine Grundstücke, noch kleinere Zufahrtswege, die Zustimmung der Nachbarn sei erforderlich und dann folge der Ämterlauf samt dem Behördenwirrwarr. Das sei alles zeitintensiv und aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten kaum zu bewältigen. Dennoch sind beide im Viertel tätig. Cunitz ergänzte, dass es sich bei den Eigentümern im Viertel um Liebhaber handeln müsse, die vielleicht auch selbst in ihren Immobilien wohnen. Die Kleinteiligkeit mache solche Immobilien nicht lukrativ.

Aber ob ein Masterplan der Stadt, wie von Marie-Theres Deutsch gefordert, das Viertel auf Vordermann bringen könnte? In der Diskussion wurde deutlich, dass die derzeitige Sperrstundenregelung bis 5 Uhr nicht strikt genug sei, um die anschließenden Gewaltorgien zu verhindern. Die Stadt hingegen diskutiert derzeit über eine Lockerung der Sperrzeiten, statt die Lokale gegen 1 oder 2 Uhr schließen zu lassen. Man habe da keine Handhabe, sagt da Olaf Cunitz. „Gastronomie ist ein legales Gewerbe und wenn ich das einschränken will, muss man triftige Argumente haben.“ Das Gegenargument, dass andernorts der Weihnachtsmarkt um 21 Uhr wegen Lärmbelästigung schließen müsse, verpuffte jedoch sofort.

Das waren noch Zeiten, als in Alt-Sachsenhausen Straußenwirtschaften beheimatet waren, wo der Lokalbetreiber noch Hauseigentümer und Bewohner war. Doch seitdem das nicht mehr so ist, ist der Wohnraum über den Kneipen zwar noch günstig, dafür unerträglich laut. Bei der Publikumsrunde wurde deutlich, dass die Bewohner auch Angst haben, dass Wohnen in Alt-Sachsenhausen unbezahlbar wird. Und so bleibt am Ende eines langen Diskussionsabends das Plädoyer von Astrid Wuttke: „Möchte man, dass Sachsenhausen ein Amüsierviertel ist, ein Ort für Junggesellenabschiede oder will man das Dorf in der Stadt? Wir sehen keine klare Linie. Da muss man doch den Mut haben, sich zu entscheiden.“ Und diese Entscheidung ist die Stadt bislang den Bürgern schuldig geblieben.
 
Fotogalerie: Alt-Sachsenhausen
 
19. Juni 2013, 12.35 Uhr
Nicole Brevoord
 
 
 
 
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