Spielt unsere Stadt wirklich ganz vorne mit bei der Digitalisierung? Kai Anderson, Co-Autor des Buchs "Digital Human – der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung", hat so seine Zweifel.
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Die Autoren Ihres Buches plädieren für eine „menschenzugewandte Digitalisierung“. Was ist damit gemeint?
Die Digitalisierung wird zuerst einmal als Technik-Thema gesehen. Wir haben mit dem neuen Jahrtausend und damit dem Eintritt in das Digital-Zeitalter insbesondere in den USA aber auch in Asien eine Bewegung erlebt, die das technisch Mögliche dem Sinnvollen den Vorzug gegeben hat. Mit einem grenzenlosen Optimismus wurde Neues ausprobiert, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Das passiert erst, wenn zum Beispiel aus ein paar Millionen Nutzerdaten ungefragt Wählerprofile erstellt werden. Nicht dass wir uns falsch verstehen: ich bin ein Fan der Digitalisierung und in unserem Buch beschreiben wir, wie wir alle von und mit der Digitalisierung profitieren können. Nur müssen wir zuerst die Frage beantworten, was für Bedürfnisse wir in Unternehmen, als Mensch im Arbeitsleben oder als Mitglied der Gesellschaft haben und dann, wie uns der Einsatz neuer Technologien dabei helfen kann. Und das sollten wir dann sehr konsequent angehen.
Die Stadt Frankfurt will Vorreiterin in Sachen Digitalisierung werden und zur Smart City. Nur ein Buzz-Word oder darf man das ernstnehmen?
Wollen oder Können ist immer so eine Frage. Bekenntnisse dieser Art gibt es viele – übrigens in jeder Metropole – nicht nur der westlichen Welt. Ich würde noch nicht einmal bezweifeln, dass die Politiker, die die Parole ausgeben auch daran glauben. An was es meist fehlt ist zum einen die nötige Kompetenz, das Thema wirklich zu durchdringen, eine echte Vision und eine robuste Strategie zu entwickeln. Zum anderen fehlt meist die Fähigkeit, Dinge konsequent umzusetzen. Und das ist oft noch nicht einmal den Verantwortlichen anzulasten sondern der Komplexität der Systeme, in denen sie operieren.
Wie wird die Digitalisierung eine Stadt wie Frankfurt verändern? Von welchen Zeiträumen sprechen wir dabei?
Die Digitalisierung wird das Leben in einer Metropole an verschiedenen Stellen deutlich verbessern. Ganz vorne dabei das Thema Mobilität und Verkehr und damit nicht zuletzt auch die Qualität der Luft. Dabei müssen wir nicht darauf warten, dass wir alle elektrisch in autonomen Fahrzeugen unterwegs sind. Sensoren in Laternen, die die Parkplatzsituation erfassen und das Suchen nach 19 Uhr vermeiden helfen sind heute schon Realität in vielen Cities. Wie lange dauert das in Frankfurt? Zumindest die privaten Mobilfunkanbieter sind hier anscheinend schon aktiv. Dann sind da die Möglichkeiten einer digitalisierten öffentlichen Verwaltung, e-Governance genannt. Die Technik ist seit Jahren vorhanden, uns Behördengänge weitgehend zu ersparen. Hier in Frankfurt beschränkt sich das Thema zu einem guten Teil darauf, die früheren Papier-Formulare heute im Internet als pdf downloaden zu können. Da sind andere Städte in Ländern, wie z.B. Estland, UK, Finnland und selbst Italien viel weiter. Ein Sektor, in dem die Digitalisierung enorme Potenziale hat, sind die Bildungs-Einrichtungen. Da ist der Zustand in Deutschland und eben auch in Frankfurt beklagenswert. Auch hier geht es nicht um die ganz großen Veränderungen, die notwendig sind. Wir müssen nicht jeden Schüler mit einem Tablet ausstatten. Aber mit einem WLan in jedem Klassenzimmer und einem Beamer, um ein Handy an die Wand zu projizieren könnten wir einen aufgeklärten Umgang mit Informationen im Internet in jedem Schulfach vermitteln. Ist das denn so schwer? Das ist ein Thema, bei dem ich wirklich keine Geduld habe, weil wir hier unsere Zukunft verspielen.
Die Chancen der Digitalisierung sind da, die Risiken aber ebenso; vor allem eine massive Zunahme der Arbeitslosigkeit wird befürchtet, wenn mehr und mehr Maschinen menschliche Aufgaben übernehmen. Teilen Sie diesen Pessimismus? Und sehen Sie Auswege?
Seit der industriellen Revolution nehmen uns Maschinen Arbeit ab – und das ist gut so. Was uns das Industriezeitalter gebracht hat ist die Befreiung von schweren und zum Teil gefährlichen körperlichen Tätigkeiten. Das Zeitalter der Digitalisierung wird uns von monotonen, sich wiederholenden Tätigkeiten befreien. Das sollten wir grundsätzlich ebenso positiv bewerten. Die Summe dessen, was wir heute Arbeit nennen, wird sich im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung weltweit verringern. In den Industrienationen wirkt dem allerdings die demografische Entwicklung entgegen. Außerdem schaffen die neuen Technologien neue Betätigungsfelder. Bisher ist es uns gut gelungen, mit dem technologischen Fortschritt mehr Wohlstand für Alle zu erzeugen. Gesellschaftlich gesehen muss es uns gelingen, Beschäftigung für Alle, nicht unbedingt Arbeit für Alle sicherzustellen. Da haben wir eine Menge Potenzial zum Beispiel in sozialen Tätigkeiten, die nicht von Algorithmen übernommen werden können. Ich bin überzeugt, wir werden eine deutliche Aufwertung der sozialen Berufe und Tätigkeiten erleben.
Die stärksten wirtschaftlichen Sektoren in Frankfurt sind die Chemie-Industrie und die Finanzwirtschaft – vor welchen Herausforderungen stehen die beiden Branchen?
Die Chemie-Industrie spürt die Auswirkungen der Digitalisierung noch nicht in dem Maß, wie andere Branchen. Dabei bahnen sich Veränderungen an, die durchaus disruptives Potenzial haben. Z.B. entstehen ganz neue Handelsplattformen für Chemie-Produkte. Mit der Bio-Technologie bahnt sich eine Veränderung der Wettbewerbslandschaft an, die in viele Domänen der traditionellen Chemie-Unternehmen eindringt. Das betrifft Produkte und Fertigungsverfahren gleichermaßen und da sind wir hinsichtlich der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der öffentlichen Meinung nicht sonderlich gut aufgestellt. Deswegen investieren die deutschen Unternehmen hier auch eher im Ausland. Die Finanzindustrie ist mitten in der größten Veränderung der letzten 50 Jahre. ‚Banking goes down and will never come back‘ heißt es. Das ist nicht nur der Digitalisierung geschuldet, sondern auch der Niedrigzinspolitik und der zunehmenden Regulatorik. Die Digitalisierungs-Potenziale in den großen Finanzinstituten sind aber noch lange nicht ausgeschöpft und die durchaus vorhandenen erfolgreichen FinTechs werden den Verlust der Arbeitsplätze nicht ausgleichen können. Keine so rosigen Aussichten für die Branche – und das betrifft dann auch schnell die Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien und Berater.
Wo steht Deutschland, wo steht Frankfurt in Sachen Digitalisierung derzeit im weltweiten Vergleich? Wo können „wir“ uns etwas abschauen?
Wenn ich schätzen sollte, würde ich sagen, wir sind im unteren Mittelfeld unterwegs. Die Spitzenreiter befinden sich in Asien und Skandinavien. Der Besuch einer Metropole wie Seoul oder Hongkong öffnet einem die Augen. Und selbst Länder und Städte aus dem Mittleren Osten und z.B. Indien haben beeindruckende Practices vorzuweisen. Diese Beispiele sind den Verantwortlichen in den Ländern und Kommunen durchaus bekannt. Da passiert viel Austausch, der sich in entsprechenden Reisetätigkeiten niederschlägt. Leider noch in zu wenig spürbaren Ergebnissen und Erlebnissen eines Bewohners oder Besuchers von Frankfurt.