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Iran-Proteste

„Heute bin ich da, um Ärzte zu schlagen“

Eine iranische Ärztin wurde verhaftet, weil sie ihrer ärztlichen Pflicht nachgehen und Demonstranten behandeln wollte. Nun berichtet sie von ihren Erfahrungen. Parallel dazu demonstrieren am Samstag iranische Ärztinnen und Ärzte sowie Angehörige der Heilberufe vor der Alten Oper.
Im Iran gibt es keine freien Wahlen, keine Selbstbestimmung, keine Gleichheit vor dem Gesetz, keine freie Meinung, keine Frauenrechte. Immer wieder haben die Menschen im Iran auf Reform vertraut, immer wieder haben sie gehofft, dass die Regierung von innen heraus sich verändert, und immer wieder sind sie enttäuscht worden. Immer wieder ist deren Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung niedergeschlagen worden. Immer wieder haben die Menschen dort ihren Glauben verloren, denn die islamische Republik ist keine Demokratie.

Am 13. September wurde Gina Mahsa Amini, eine 22-jährige junge Frau, von der Moralpolizei in Teheran festgenommen und misshandelt, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht richtig und ordnungsgemäß getragen hatte. Ein paar Tage später starb sie auf der Intensivstation in einem Krankenhaus. Seitdem gehen die Menschen landesweit auf die Straßen, um für die Menschenrechte, gegen das theokratisch-autoritäre Regime, gegen dessen diktierte Lebensbedingungen, gegen die Auslegung der islamischen Kleiderordnung und für die Freiheit zu kämpfen.

Die Demonstranten möchten ein Land, in dem man nicht zur jeder Zeit und an jedem Ort ohne Grund von den Sittenwächtern des Regimes und Regierungsmilizen verhaftet, entführt oder gefoltert werden kann. Sie wollen ein Land ohne dieses Regime. Sie rufen: „Frau-Leben-Freiheit, nieder mit dem Diktator“…

Der Mut und die Tapferkeit (ganz besonders) der Frauen, die neben den Männern für die Freiheit kämpfen, ist grenzenlos. Die Menschenrechtslage verschlechtert sich von Tag zu Tag weiter. Die Sicherheitsbehörden, ganz anders als hier, arbeiten nicht für die Sicherheit des Volkes, sondern für die Sicherheit des Machthabers. Sie gehen zunehmend brutaler gegen die Frauen und Männer vor, die ihre Proteste zum Ausdruck bringen.

Seit Beginn der Proteste wurden mehr als 15 000 Menschen verhaftet (ihnen droht jetzt die Todesstrafe), mehr als 370 Menschen getötet, darunter über 50 Kinder und Jugendliche. Die Unterdrückung und Brutalität des Regimes hört nicht bei den Demonstranten auf, sie attackieren Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Berufsverbände und verhaften, foltern und schikanieren Schüler, Studenten, Dozenten, sowie Ärzte und medizinisches Personal. Sie dringen in Krankenhäuser ein, stellen falsche Totenscheine aus, missbrauchen Krankenwagen für den Waffentransport und für den Transport verhafteter Demonstranten. Die verletzten Demonstranten werden in den Krankenhäusern aus den Behandlungsräumen heraus verhaftet. Dass das medizinische Personal den Verletzten nicht angemessen helfen darf, ist eine schmerzhafte Erfahrung für die Ärzte und das medizinische Team.

Ich war unter den Häftlingen. Jetzt nach einer Woche konnte ich eine neue Sim-Karte bekommen. Mein Mobiltelefon wurde gesperrt. Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Von den Beleidigungen und Fluchen, die ich hörte oder von den Schrotkugeln, die mein Bein aus der Nähe getroffen haben. Die Schläge, Tritte, Ohrfeigen der Beamten in mein Gesicht und die Blutergüsse an meinem Körper.

Einer der Beamten in Zivil sagte lachend: „Heute bin ich da, um Ärzte zu schlagen“. Wir waren 14 Ärzte. Wir wurden mit Schlagstöcken und beleidigenen Wörtern gezwungen, ins Auto der Sicherheitskräfte einzusteigen. Die Sicherheitskräfte haben die Füße einer Ärztin gebrochen. Eine andere Ärztin wurde an ihren Haaren ins Auto gezogen. Sie haben uns die Hände gefesselt und uns die Mobiltelefone weggenommen.

In der Haftanstalt wurden Männer so sehr geschlagen, dass der Krankenwagen oft die Verletzten ins Krankenhaus brachte. Ab 17 Uhr kamen viele verhaftete Demonstranten aus verschiedenen Stadtteilen zu uns. Sie schlugen vor unseren Augen ein Mädchen, das mit Glitzerstift auf ihrer Stirn „Frau, Leben, Freiheit“ geschrieben hatte und nach paar Stunden ins Koma fiel und mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht wurde. Ihre Mutter stand vor der Haftanstalt und hatte so geschrien, dass sie ohnmächtig wurde.

Sie haben meiner Familie, die auch vor dem Gefängnis gewartet hat gesagt, dass sie mich hinrichten möchten. Meine Ohren sind so voll mit weinenden, fluchenden und stöhnenden Stimmen, dass ich seit einer Woche nicht schlafen kann. Um 2 Uhr morgens brachten sie uns in einem anderen Gefängnis unter. Wir waren 70 Häftlinge und hatten sieben Decken.

Am nächsten Tag um die Mittagszeit kam der diensthabende Richter und hatte uns zum tausendsten Mal verhört! Sie wollten von uns eine Kaution von 100 Millionen Toman (iranische Währung), weil wir in ihren Augen gegen die nationale Sicherheit gehandelt haben! Der Richter hatte entschieden, dass wir wieder in ein anderes Gefängnis verlegt werden. In dem Moment kam der Befehl von oben: „Lasst die Ärzte frei.“ Was für ein Psychoterror! Sie haben uns freigelassen. 600-700 Familien hatten vor der Häftlingsanstalt gewartet. Alle haben geweint und geschrien…

Ja, wir gingen mit verletzten Körpern, gedemütigten Persönlichkeiten und depressiven Gedanken voller Traurigkeit und Wut raus, aber die anderen Gefangenen wurden nicht befreit… deren Familien weinten. Wir waren traurig… wir sind traurig. Ich frage mich: Was waren wir als Häftlinge eines Ordnungsapparates ohne jegliche Achtung gegenüber Menschenwürde? Waren wir Ärzte? Gehören wir überhaupt zu dieser Gesellschaft? Waren wir überhaupt Menschen? Es ist ein Privileg in einer Gesellschaft zu leben, wo man ohne Lebensgefahr seiner Arbeit nachgehen darf.

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Aufgezeichnet von Jasmin Schülke. Um die Ärztin zu schützen, bleibt ihr Name anonym. Übersetzung aus dem Persischen von Afsaneh Esmaeili

Am Samstag, 26. November, von 13 bis 15 Uhr, findet vor der Alten Oper Frankfurt eine Kundgebung von iranisch-stämmigen Medizinern, Psychotherapeuten und Medizinpersonal statt. Sie wollen ihre Solidarität mit der Freiheitsbewegung im Iran demonstrieren. Gegen Ende will die kommissarische Oberbürgermeistern Nargess Eskandari-Grünberg zu den Teilnehmenden sprechen.
 
Fotogalerie:
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25. November 2022, 10.23 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
 
 
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