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Lesung von Uwe Hauck „Depression abzugeben“

Er twittert mit dem Hashtag #ausderklapse

Uwe Hauck merkte erst nach einem Suizidversuch im Jahr 2015, dass er an einer Depression leidet. Über seine Erfahrungen hat er ein Buch geschrieben. Dem JOURNAL FRANKFURT hat er erzählt, wieso er die Warnsignale nicht früher erkannte.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Hauck, in Ihrem Buch „Depression abzugeben“ erzählen Sie von Ihren Aufenthalten in der psychiatrischen Klinik. Sie wurden wegen eines Suizidversuchs eingeliefert.

Uwe Hauck: Das Buch hat zwei Erzählstränge. Es handelt zum einen von meiner Krankheit und zum anderen in der Rückblende davon, wie die Krankheit bei mir entstanden ist.

Erzählen Sie mir von Ihrer Krankheit.

Es fing an mit einem schlechten Jahresgespräch, ich arbeitete damals als Informatiker. Ich strengte mich in der Folge immer mehr an und wollte beruflich immer noch mehr leisten. Daraus entstand eine Abwärtsspirale. Es endete damit, dass ich 2010 im Büro saß und auf dem Bildschirm plötzlich nichts mehr erkannte. Der Programmcode verschwamm vor meinen Augen. Der Arzt sprach von einem „Burnout“. Das war ein Begriff, den ich akzeptieren konnte. Gegen die Diagnose „Erschöpfungsdepression“ hätte ich mich damals gewehrt. Ich funktionierte weiter, aber 2013 brach ich erneut zusammen. Im Februar 2015 wurde ich dann wegen eines Suizidversuchs in die Klink eingeliefert.

Wieso haben Sie die Warnsignale nicht früher erkannt?

Wie sich später in der Therapie herausstellte, trage ich die Depression schon seit meinem 12. Lebensjahr mit mir herum. Mein Vater war damals schwer krank und ich baute einen Schutzmechanismus auf. Ich zog mich immer mehr zurück, wollte aber nach außen hin alles richtig machen. So wurde ich depressiv. Ich habe eine „agitierte“ Form der Depression, das heißt, ich war immer aktiv, aber nicht gut drauf. Ich hatte immer schon das Gefühl, ich sei komischer als andere. Erst als die Situation durch den Suizidversuch eskalierte, erkannte ich, dass mehr dahinter stecken muss.

Sie wollten sich das Leben nehmen.

Ich war völlig überarbeitet und fiel in ein Loch. Ich lag im Bett und wollte nichts mehr wissen von der Welt, ich dachte, ich falle allen zur Last. Tatsächlich war es meine Frau, die mir das Leben rettete. Oben auf dem Turm, von dem ich springen wollte, merkte ich, dass ich keinen Abschiedsbrief geschrieben hatte. Ich schrieb meiner Frau eine Whatsapp-Nachricht, weil ich dachte, dass sie ihr Mobiltelefon nicht mithabe und die Nachricht erst später sehen würde. Sie aber hatte das Handy vor sich liegen und unterbrach mich in meinem Vorhaben. In der Therapie fand ich später heraus, dass der Suizidversuch die Folge einer Angststörung war, die mit der Depression einherging.

Was geschah dann?

Fünf Tage verbrachte ich auf der geschlossenen Station, weil ich akut suizidgefährdet war. Danach war ich neun Wochen auf der offenen Station und anschließend 12 Wochen in der Tagesklinik, wo ich Medikamente und eine Gesprächstherapie erhielt. Ende 2015 war ich noch vier Wochen in einer Reha-Klinik, wo mir bescheinigt wurde, dass ich wieder arbeitsfähig bin.

Während Ihres Klinikaufenthalts fingen Sie an zu twittern.

Ich erfand den gewollt provokativen Hashtag #ausderklapse und berichtete auf Twitter, wie ich die Zeit in der Klink erlebe. Das waren ironische Tweets wie: „In der Klapse sitzen normale Menschen, die mit dem Wahnsinn da draußen nicht mehr zurechtkommen.“ Ich war verblüfft, denn ich erhielt hauptsächlich positive Rückmeldungen. Nach knapp einem Monat bekam ich eine Mail von einem Literaturagenten, dem die Tweets gefallen hatten. In der Klinik führte ich auch Tagebuch, um meinen Kindern erklären zu können, wie es mir geht. Daraus entstand schließlich mein erstes Buch.

Wieso ist es Ihnen wichtig, über Ihre Depression zu sprechen?

Man muss nicht öffentlich und mit jedem darüber sprechen, wie ich das mache. Aber zumindest mit dem persönlichen Umfeld, weil das Verhaltensmuster eines Depressiven für viele Menschen sonst nicht verständlich ist. Wenn ich für eine Party zusage und kurzfristig wieder absage, weil es mir schlecht geht, dann weiß das Gegenüber, das ist nicht der Mensch, der spricht, es ist die Krankheit. Als Angehörige sollte man für den Betroffenen da sein, aber auch eine gewisse Distanz wahren. Es ist wichtig, die Depression als normale Krankheit anzuerkennen, die professionell behandelt und geheilt werden kann. Die depressive Person kann wieder gesund werden. Sie ist nicht verrückt.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Erstaunlich positiv. Ich wohne in einem 600-Seelen-Ort. Als meine Frau jemandem im Ort erzählte, wie es mir ging, erfuhr ich plötzlich von 30 bis 40 Bekannten, dass sie dasselbe durchmachten. Vorher hatte ich keinen Schimmer, dass es ihnen ähnlich geht. Auch im Beruf ging ich offen mit der Krankheit um. Darauf sprachen mich immer wieder mal Leute an: „Du, kann ich mal mit dir quatschen…“

Im Arbeitsumfeld hätte so viel Offenheit auch nach hinten losgehen können.

Mein Glück im Unglück war, dass ich in der Firma zusammengebrochen bin und ich keine Chance hatte, meine Krankheit zu verstecken. Aber es stimmt schon, im Arbeitsumfeld ist Vorsicht geboten. Nicht jeder Arbeitgeber weiß, dass die Krankheit heilbar ist. Manche stellen nur fest, dass der Angestellte nicht mehr leistungsfähig ist. Ich hatte das Glück, mich gegenüber der Firma nicht erklären zu müssen. Ich verließ die Klinik Mitte Dezember 2015 und fing im Januar 2016 im alten Job wieder an. Das war ein Fehler, ich fühlte mich wieder überlastet. Heute arbeite ich immer noch in derselben Firma, aber in einer anderen Abteilung. Ich habe hier feste Arbeitszeiten, das ist für mich sehr positiv.

Welche Reaktionen erhielten Sie von den Lesern?

Oft habe ich gehört: „Mensch, es tut gut das zu hören, mir ging´s genauso.“ Man spürt eine Verbundenheit, weil man merkt, man ist einer von vielen. Man hat eine ganz normale Krankheit und ist nicht merkwürdig deswegen. Ich stellte dasselbe fest, als ich in der Klink war: Denen geht es ja auch so. Dadurch trauen sich auch mehr Leute, Hilfe zu suchen. Schön fand ich auch, dass andere auf Twitter den Hashtag #ausderklapse aufgegriffen haben. Eine Frau erzählte mir in einem Instagram-Beitrag, dass sie bereits am Bahnsteig gestanden habe, als sie an mein Buch und an ihre Kinder denken musste und es deshalb gelassen habe. Das klingt im ersten Moment verstörend, ist aber trotzdem eine sehr positive Wirkung des Buches.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich habe die Depression noch und glaube auch nicht, dass ich sie jemals loswerde. Ich habe aber Mechanismen gelernt, wie ich sie in Schach halten kann. Wenn ich etwa eine Panikattacke habe, esse ich eine Chilischote – durch den Schmerzreiz wird der Körper abgelenkt. Jetzt hat nicht mehr die Depression mich im Griff, sondern ich sie. Auch meine Angststörung ist besser geworden. Ich nehme aber nach wie vor Medikamente, ich fühle mich sicherer dadurch.

Sie haben eine Therapie gemacht, um mit Ihrer Depression klarzukommen. Was konnten Sie daraus mitnehmen?

Ich habe meinen Fokus geändert. Früher definierte ich mich über Leistung und gönnte mir wenig, weil ich dachte, ich sei es nicht wert. Heute kann ich das Leben immer häufiger genießen, ohne dafür etwas „liefern“ zu müssen. Was ich auch gelernt habe, und da bin ich inzwischen ganz hart: Mit Menschen, die mich runterziehen oder weg sind, sobald es mir schlecht geht, will ich nichts zu tun haben. Um die trauere ich nicht. Durch die Krankheit habe ich erkannt, wer meine wirklichen Freunde sind, so kitschig das jetzt klingt. Ich habe Freundschaften wirklich schätzen gelernt, sie sind wertvoll. Heute habe ich den Mut, selbst zu entscheiden, wer und was mir gut tut.

Ende März erscheint ihr zweites Buch.

Im ersten Buch erfährt man nichts darüber, wie meine Familie mit meiner Krankheit umgeht. Das Buch „Lieber Papa, bist du jetzt verrückt?“ hat meine 16-jährige Tochter mit mir als Co-Autor verfasst. Es ist ein Briefwechsel zwischen mir und meiner Tochter, in dem wir die Erlebnisse der letzten Jahre mit Blick auf die Angehörigen verarbeiten.

Uwe Hauck, 51, lebt mit seiner Familie in Schwäbisch Hall. Er ist Softwareentwickler, Autor und Referent zu den Themen Entstigmatisierung psychischer Krankheiten und Suizidprävention.

„Depression abzugeben“, Lesung mit Uwe Hauck, Mittwoch, 20. Februar, Zentralbibliothek, Hasengasse 4, 19:30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen.
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.

Unter folgender Nummer erreichen Sie in Frankfurt rund um die Uhr eine der psychiatrischen Kliniken in Frankfurt: 069/6301 3113.
Im Internet können Sie sich unter frans-hilft.de/sos über Hilfsmaßnahmen in Frankfurt informieren.

Weiterführende Informationen finden Sie auch hier.
 
Fotogalerie:
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20. Februar 2019, 12.37 Uhr
Isabel Hempen
 
 
 
 
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