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Privater Sicherheitsdienst als City-Streife

Beschäftigt Neu-Isenburg eine Scheinpolizei?

In Neu-Isenburg fährt seit diesem Jahr wieder ein privater Sicherheitsdienst durch die Straßen und geht offenbar Ordnungswidrigkeiten nach – eigentlich eine Aufgabe der Polizei und des Ordnungsamtes.
Dass der öffentliche Raum zunehmend privatisiert wird oder vormals staatliche Unternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt werden, ist spätestens seit den 90er-Jahren keine Neuigkeit mehr. Diese Entwicklung hat jedoch in den vergangenen Jahren eine neue Dimension erreicht: Der Sicherheitsapparat in der Bundesrepublik wird inzwischen ebenfalls von einer Privatisierungswelle überzogen. Dabei werden anscheinend immer häufiger Aufgaben der Polizei oder des Ordnungsamtes an private Sicherheitsdienste abgegeben. Ein immer wieder geäußerter Grund dafür soll der Personalmangel sein.

Unweit von Frankfurt, in Neu-Isenburg, kooperiert die Stadt mit einem solchen Sicherheitsdienst: Der Rhein-Main-Sicherheitsdienst (RMS) arbeitet etwa in den Sommermonaten mit dem Ordnungsamt, Freiwilligen Polizeihelfern und Straßensozialarbeitern zusammen, um „für mehr Sicherheit auf Isenburgs Straßen“ zu sorgen, wie es in einem Artikel der Isenburger Stadtpost heißt. Bis Ende September werden die Sicherheitsmitarbeiter noch per City-Streife besonders die öffentlichen Grünanlagen oder andere öffentliche Flächen „im Auge haben“, heißt es weiter, „um Ruhestörungen und Vandalismus zu vermeiden“.

Ordnungsamt Neu-Isenburg: Sicherheitsdienst steigert subjektives Sicherheitsempfinden

Auf Anfrage erklärt das Ordnungsamt, dass die Stadt „keine hoheitlichen Aufgaben an den Sicherheitsdienst übertragen“ habe. Ähnlich wie die Freiwilligen Polizeihelfer hätten die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma die Aufgabe „Präsenz zu zeigen, um das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger zu stärken“.

Sie dürften Personen auf Fehlverhalten ansprechen, aber keine Ausweise verlangen. Auch trügen sie keine Uniformen und seien deutlich als Mitarbeiter von RMS zu erkennen. Bei erforderlichen Situationen würden sie zudem die zuständige Polizeidienststelle kontaktieren, „zur Unterstützung und Abwicklung eventueller weiterer Maßnahmen, Feststellung und Weiterleitung von Ordnungswidrigkeiten“, heißt es weiter.

OLG Frankfurt: Übertragung hoheitlicher Aufgaben an Private ist nicht erlaubt

Ob der Sicherheitsdienst tatsächlich nicht seine Befugnisse überschreitet, darf zumindest angezweifelt werden. Andernorts in Hessen führte der Einsatz privater Sicherheitsdienste schon zu gerichtlichen Entscheidungen. Wie die SZ im Jahr 2020 schrieb, klagte ein Autofahrer in Frankfurt gegen ein Bußgeld in Höhe von 15 Euro fürs Falschparken.

Als Zeuge trat ein sogenannter Stadtpolizist der Privatfirma Securitas auf. Das Oberlandesgericht rügte diese Übertragung von hoheitlichen Aufgaben und auch, dass die Scheinpolizisten in Uniformen auftraten: Der „täuschende Schein der Rechtsstaatlichkeit, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, ist strafbar“, heißt es im Urteil.

Wie die SZ weiter berichtet, zeigte sich die Stadt damals überrascht, da das Innenministerium noch die Rechtssicherheit der Praxis versichert hätte. Ein entsprechender Abschnitt im Landespolizeigesetz hätte dem ebenso entsprochen. Darauf folgte eine weitere Rüge des Gerichts: Es verstehe sich von selbst, dass damit nicht Bundesgesetze oder verfassungsrechtliche Zuweisungen umgangen werden könnten, wird das OLG von der SZ zitiert. Das Urteil beziehe sich zwar auf Hessen, sei aber im Prinzip bundesweit übertragbar, so das Gericht.

Polizeidirektor Moog: Keine rechtliche Grundlage für private City-Streifen

Ein Jahr zuvor berichtete die FR in ähnlicher Weise: Der damalige Schwalbacher Polizeidirektor Jürgen Moog kritisierte den Einsatz von Privatstreifen: Für ihre bloße Anwesenheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen bräuchten private Sicherheitsdienste eine rechtliche Grundlage, die es jedoch nicht gebe. Streifengänge seien laut Gesetz hoheitliches Handeln, das nur der Polizei und Ordnungsbehörden vorbehalten bleibe. Diese Auffassung habe sogar das hessische Innenministerium mehrfach in Schreiben an Städte und Gemeinden deutlich vertreten.

In Neu-Isenburg scheinen die von RMS durchgeführten City-Streifen damit ebenfalls auf gefährlichem Terrain zu stehen. Dazu kommt ein weiteres Problem. Im erwähnten Artikel der Isenburger Stadtpost findet sich ein wörtliches Zitat des Geschäftsführers vom RMS, Florian Kassel: „Am häufigsten haben wir es in den Sommermonaten mit Ruhestörungen zu tun. Dann machen wir auf die schwierige Situation aufmerksam. Manchmal werden wir direkt von der Polizei angerufen, in den meisten Fällen können wir auf unseren Kontrollgängen schon früh einschreiten, bevor Nachbarn oder Anwohner sich beschweren. Null Toleranz zeigen wir bei Vandalismus. Hier greifen wir umgehend ein.“

Isenburger City-Streife: Verstoß gegen Datenschutz?

Für Thomas Brunst ist das ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht: „Diese selbstbewusste Aussage des Geschäftsführers der RMS GmbH zur Übernahme hoheitlicher Ordnungsaufgaben durch seine Sicherheitsfirma, dürfte der hessischen Polizei nicht gefallen, weil sie eine Praxis bestätigt, welche nicht durch Recht und Gesetz gedeckt ist“, schreibt er auf Anfrage. Der ehemalige Beamte des Bundesgrenzschutzes (heute: Bundespolizei) verfolgt schon seit geraumer Zeit die zunehmende Zusammenarbeit zwischen Polizei und Ordnungsbehörden mit privaten Sicherheitsdienstleitern.

„Die Aussage von Florian Kassel beschreibt eindeutig die unrechtmäßige Privatisierung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Auftrag der Stadtverwaltung Neu-Isenburg und der örtlichen Landespolizei“, so Brunst weiter. Auch dürfte die Weitergabe von personenbezogenen Daten von der Polizei an den RMS datenschutzrechtlich nicht erlaubt sein.

Polizeigewerkschaft Hessen: Gemeinden müssen genug qualifiziertes Personal aufstellen statt Private zu beauftragen

In die gleiche Kerbe schlägt auch Björn Werminghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft Hessen. „Wo im öffentlichen Raum ein privater Sicherheitsdienst eingesetzt werden muss, hat der Staat beziehungsweise die Stadt versagt“. Wenn vermehrt Ordnungsprobleme auftreten würden, müsse die Kommune für genug „qualifiziertes Personal“ sorgen oder vorhandene Mitarbeiter tariflich so einteilen, dass sie die Arbeit etwa auch zu den erforderlichen Zeiten erledigen können. Einige Gemeinden würden ihre Ordnungsbeamte bereits passend dazu aufstellen.

Auch er ist der Meinung, dass die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten sowie die Datenerhebung von Betroffenen in kommunale wie staatliche Hände gehöre. „Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen halten wir den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten zur Unterbindung von Ruhestörungen im öffentlichen Raum und die damit verbundene Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten für nicht rechtmäßig“, so Werminghaus.

City-Streifen auch in anderen Bundesländern im Einsatz

Dass ordnungsbehördliche oder polizeiliche Aufgabenbereiche mit denen von Privaten verschwimmen, ist indes nicht hessen-exklusiv. Brunst verweist darauf, dass diese Praxis in vielen Bundesländern zu beobachten ist. In Baden-Württemberg etwa sind City-Streifen in Heimsheim und Weil der Stadt aktiv, wie die Stuttgarter Zeitung 2022 berichtete. Dort heißt es: „Citystreifen haben im Prinzip dieselben Rechte wie jeder andere Bürger auch („Jedermannsrechte“). Allerdings bekommen sie für gewöhnlich von der beauftragenden Kommune das Hausrecht für kommunale Plätze übertragen.“

Damit dürften sie etwa Hausverbote aussprechen, aber keine Personalien aufnehmen. Auch dürften sie niemanden körperlich festhalten, wenn kein Verdacht auf eine Straftat bestehe. Ordnungswidrigkeiten wie Lärmbelästigung würden somit nicht dazuzählen. Dass dies nicht immer eins zu eins umgesetzt wird, zeigt ein weiterer Fall in Willingen: Die Personalien eines Wildpinklers wurden dort durch einen privaten Sicherheitsdienst festgestellt, wie selbst der örtliche Bürgermeister 2015 gegenüber der Waldeckischen Landeszeitung angab.

Für Brunst ein weiterer Grund, weshalb diese Privatisierung der öffentlichen Sicherheit – mit samt diesem „Befugniswildwuchs“ – gestoppt werden müsse, weil sie gegen den Grundgesetzartikel 33 Absatz 4 verstoße. Dieser schreibt vor, dass hoheitliche Aufgaben in der Regel von Angehörigen des öffentlichen Dienstes ausgeführt werden müssen. Brunsts Ansicht nach, entpuppe sich diese „public private security“ mehr und mehr als „bürgerrechtliches Versuchslabor“.
 
Fotogalerie:
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14. September 2023, 10.50 Uhr
Till Geginat
 
Till Geginat
Jahrgang 1994, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Goethe Universität Frankfurt, seit November 2022 beim JOURNAL FRANKFURT. – Mehr von Till Geginat >>
 
 
 
 
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