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75. Jahrestag Auschwitz-Befreiung
Ein starkes Zeichen für das Erinnern
Gestern jährte sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 75. Mal. Im Hochbunker an der Friedberger Anlage versammelten sich mehr als 100 Schülerinnen und Schüler sowie eine Vielzahl weiterer Gäste, um der Opfer zu gedenken.
Es ist kalt am Montag Nachmittag im Hochbunker an der Friedberger Anlage, an dessen Stelle vor den Novemberpogromen1938 die größte Synagoge Frankfurts stand. Sogar kälter als draußen. Die Füße kühlen ab, ihre Hände vergraben die Besucherinnen und Besucher in ihren Jackentaschen. Nicht nur die Stimmung ist während der zwei Stunden langen Gedenkveranstaltung ungemütlich. Über 100 Schülerinnen und Schüler von sechs Unesco-Schulen aus Frankfurt, Darmstadt, Bad Wildungen und Bad Homburg sitzen auf Klappstühlen, umringt von den Fotografien über jüdisches Leben, die Rafael Herlich seit Ende April 2019 an den dicken Steinwänden des Bunkers ausstellt. Die Schülerinnen und Schüler sowie weitere Gäste haben sich am gestrigen Montag versammelt, um der Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren zu gedenken, Schicksale kennenzulernen, über Vorurteile und den wieder wachsenden Antisemitismus in der Gesellschaft zu sprechen.
Gedenken in Hessens Schulen
„Ihr Besuch hier ist ein starkes Zeichen für eine aktive Erinnerungskultur“, sagt Klaus Schilling, Bundeskoordinator der Unesco-Projektschulen, und fordert die Schülerinnen und Schüler auf, ihre Projekte vorzustellen. So existiert an der Wöhlerschule in Frankfurt bereits seit über 20 Jahren die AG Spurensuche, die sich mit den Lebenswegen ehemaliger jüdischer Mitschüler*innen beschäftigt. „Die Schülerinnen und Schüler an unserer Schule müssen für das Thema stärker sensibilisiert werden, das geht am besten, wenn man einen Bezug schafft“, so ein Schüler der Wöhlerschule. Das Gustav-Stresemann-Gymnasium aus Bad Wildungen nahm vor wenigen Wochen an einem Trinationalen Jugendprojekt teil, bei dem sie gemeinsam mit Klassen aus Frankreich und Polen fünf Tage in der polnischen Stadt Oswiecim und der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz verbrachten. „Das war für uns viel emotionaler, als es eine Lehrerinnen oder ein Lehrer hätte vermitteln können“, so eine Schülerin des Gymnasiums. Während der Reise hätte sie oft ein schlechtes Gewissen und ein Schuld-Gefühl wegen der Taten der Nazis begleitet. Der Austausch mit den Schulklassen aus anderen Nationen hätte ihnen gezeigt, dass man in anderen Ländern Deutsche nicht als Nazis betrachte. Die Schülerinnen und Schüler der Edith-Stein-Schule in Darmstadt fuhren zum Leo Back Education Center nach Haifa in Israel, wo sie das jüdische und israelische Leben kennenlernen konnten: „Man konnte das jüdische Leben überall auf der Straße sehen.“ Schön sei es auch gewesen, nicht aufs Deutsch sein reduziert zu werden. Als besondere Geste hätten sie es empfunden, dass ihnen ein Rabbi die letzte übriggebliebene Tora-Rolle aus der Berliner Synagoge zeigt. „Das war eine wunderbare Erfahrung.“
© Rafael Herlich
Erfahrungen während und nach der NS-Zeit
Der Hochbunker ist an diesem Montag ein Ort, an dem Zeitstränge übereinander laufen und ein Zeitabschnitt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wird. Die Schülerinnen und Schüler werfen einen Blick in die Vergangenheit und darauf, was ihre Identität, vor allem die nationale Identität, heute mit ihnen zu tun hat. Joachim-Felix Leonhard, ehemaliger Staatssekretär für Wissenschaft und Kunst in Hessen, spricht über seinen Besuch bei den Auschwitz-Prozessen 1965 im Alter von 17 Jahren. Eine Erfahrung, die ihn prägt und bis heute begleitet. „Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen." Die Angeklagten hätten auf ihn in Mimik, Gestik und Haltung uneinsichtig gewirkt, die Stimmung deutete aufs Vergessen hin. „Man war ja wieder wer. Die Leute wollten das hinter sich lassen“, sagt Leonhard. Neben ihm spricht auch die Holocaust-Überlebenden Hanna Laufer, die zum allerersten Mal vor einer großen Menschengruppe über ihre Geschichte spricht. Erzählt hat sie sie bereits im 2013 erschienen Buch „Uns kriegt ihr nicht - Wie jüdische Kinder versteckt überlebten“. Sie wuchs in der Nähe von Prag mit einer tschechisch-deutschen Mutter und einem deutsch-jüdischen Vater auf, ihre Erinnerungen an die Zeit sind rar, sie wurde bei Verwandten versteckt gehalten, besuchte ihren Onkel Hugo mit ihrer Mutter heimlich in Theresienstadt, viel mehr ist es nicht, aber die Gefühle blieben ein Leben lang. „Ich war immer traurig und schüchtern. Ich hatte Angst davor, mit anderen Menschen zu sprechen.“
© Rafael Herlich
„An diesem Ort hier geht die jüdische Tradition weiter“, sagt Fotograf Rafael Herlich. Für ihn sind seine Fotografien ein Versuch seiner Familie, die in den Konzentrationslagern der Nazis umgekommen sind, näher kennenzulernen. Auf einem seiner Fotos ist eine Gruppe jüdischer Jugendlicher vor dem Schild „Arbeit macht frei“ in Auschwitz zu sehen, die mit dem Rücken zur Kamera gedreht stehen. Dazu sagt Herlich. „Ich habe meine Familie nicht gekannt. Ich habe keine Gesichter vor Augen.“ Immer wieder höre er in letzter Zeit, dass jüdische Kinder in der Schule mit dem Hitlergruß begrüßt werden, Mitschüler hinter ihnen Zischgeräusche wie von ausströmendem Gas machen oder ihnen gegenüber gewalttätig sind. „Wir müssen aufstehen und sagen, dass es reicht“, richtet Herlich seinen Appell vor allem an die anwesend Schülerinnen und Schüler. Abschließende Worte zur Veranstaltung liefert Bürgermeister und Antisemitismus-Beauftragter Uwe Becker (CDU): „Es war nicht so, dass plötzlich Nazis in Frankfurt einfielen. Es waren Frankfurterinnen und Frankfurter. Wir müssen für ein buntes und vielseitiges Deutschland aufstehen,“ so Becker. „Wir wollen daran arbeiten, dass es niemals wieder so kalt wird.“
Auf dem Vorplatz versammelten sich anschließend alle Gäste, um mit einem Gruppenbild unter dem Hashtag „We Remember“ ein Zeichen für das Gedenken der Opfer zu setzen. Der Hashtag „We Remember“ wurde in den vergangenen Tagen zum Symbol für die Erinnerungskultur in den sozialen Medien.
Gedenken in Hessens Schulen
„Ihr Besuch hier ist ein starkes Zeichen für eine aktive Erinnerungskultur“, sagt Klaus Schilling, Bundeskoordinator der Unesco-Projektschulen, und fordert die Schülerinnen und Schüler auf, ihre Projekte vorzustellen. So existiert an der Wöhlerschule in Frankfurt bereits seit über 20 Jahren die AG Spurensuche, die sich mit den Lebenswegen ehemaliger jüdischer Mitschüler*innen beschäftigt. „Die Schülerinnen und Schüler an unserer Schule müssen für das Thema stärker sensibilisiert werden, das geht am besten, wenn man einen Bezug schafft“, so ein Schüler der Wöhlerschule. Das Gustav-Stresemann-Gymnasium aus Bad Wildungen nahm vor wenigen Wochen an einem Trinationalen Jugendprojekt teil, bei dem sie gemeinsam mit Klassen aus Frankreich und Polen fünf Tage in der polnischen Stadt Oswiecim und der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz verbrachten. „Das war für uns viel emotionaler, als es eine Lehrerinnen oder ein Lehrer hätte vermitteln können“, so eine Schülerin des Gymnasiums. Während der Reise hätte sie oft ein schlechtes Gewissen und ein Schuld-Gefühl wegen der Taten der Nazis begleitet. Der Austausch mit den Schulklassen aus anderen Nationen hätte ihnen gezeigt, dass man in anderen Ländern Deutsche nicht als Nazis betrachte. Die Schülerinnen und Schüler der Edith-Stein-Schule in Darmstadt fuhren zum Leo Back Education Center nach Haifa in Israel, wo sie das jüdische und israelische Leben kennenlernen konnten: „Man konnte das jüdische Leben überall auf der Straße sehen.“ Schön sei es auch gewesen, nicht aufs Deutsch sein reduziert zu werden. Als besondere Geste hätten sie es empfunden, dass ihnen ein Rabbi die letzte übriggebliebene Tora-Rolle aus der Berliner Synagoge zeigt. „Das war eine wunderbare Erfahrung.“
© Rafael Herlich
Erfahrungen während und nach der NS-Zeit
Der Hochbunker ist an diesem Montag ein Ort, an dem Zeitstränge übereinander laufen und ein Zeitabschnitt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wird. Die Schülerinnen und Schüler werfen einen Blick in die Vergangenheit und darauf, was ihre Identität, vor allem die nationale Identität, heute mit ihnen zu tun hat. Joachim-Felix Leonhard, ehemaliger Staatssekretär für Wissenschaft und Kunst in Hessen, spricht über seinen Besuch bei den Auschwitz-Prozessen 1965 im Alter von 17 Jahren. Eine Erfahrung, die ihn prägt und bis heute begleitet. „Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen." Die Angeklagten hätten auf ihn in Mimik, Gestik und Haltung uneinsichtig gewirkt, die Stimmung deutete aufs Vergessen hin. „Man war ja wieder wer. Die Leute wollten das hinter sich lassen“, sagt Leonhard. Neben ihm spricht auch die Holocaust-Überlebenden Hanna Laufer, die zum allerersten Mal vor einer großen Menschengruppe über ihre Geschichte spricht. Erzählt hat sie sie bereits im 2013 erschienen Buch „Uns kriegt ihr nicht - Wie jüdische Kinder versteckt überlebten“. Sie wuchs in der Nähe von Prag mit einer tschechisch-deutschen Mutter und einem deutsch-jüdischen Vater auf, ihre Erinnerungen an die Zeit sind rar, sie wurde bei Verwandten versteckt gehalten, besuchte ihren Onkel Hugo mit ihrer Mutter heimlich in Theresienstadt, viel mehr ist es nicht, aber die Gefühle blieben ein Leben lang. „Ich war immer traurig und schüchtern. Ich hatte Angst davor, mit anderen Menschen zu sprechen.“
© Rafael Herlich
„An diesem Ort hier geht die jüdische Tradition weiter“, sagt Fotograf Rafael Herlich. Für ihn sind seine Fotografien ein Versuch seiner Familie, die in den Konzentrationslagern der Nazis umgekommen sind, näher kennenzulernen. Auf einem seiner Fotos ist eine Gruppe jüdischer Jugendlicher vor dem Schild „Arbeit macht frei“ in Auschwitz zu sehen, die mit dem Rücken zur Kamera gedreht stehen. Dazu sagt Herlich. „Ich habe meine Familie nicht gekannt. Ich habe keine Gesichter vor Augen.“ Immer wieder höre er in letzter Zeit, dass jüdische Kinder in der Schule mit dem Hitlergruß begrüßt werden, Mitschüler hinter ihnen Zischgeräusche wie von ausströmendem Gas machen oder ihnen gegenüber gewalttätig sind. „Wir müssen aufstehen und sagen, dass es reicht“, richtet Herlich seinen Appell vor allem an die anwesend Schülerinnen und Schüler. Abschließende Worte zur Veranstaltung liefert Bürgermeister und Antisemitismus-Beauftragter Uwe Becker (CDU): „Es war nicht so, dass plötzlich Nazis in Frankfurt einfielen. Es waren Frankfurterinnen und Frankfurter. Wir müssen für ein buntes und vielseitiges Deutschland aufstehen,“ so Becker. „Wir wollen daran arbeiten, dass es niemals wieder so kalt wird.“
Auf dem Vorplatz versammelten sich anschließend alle Gäste, um mit einem Gruppenbild unter dem Hashtag „We Remember“ ein Zeichen für das Gedenken der Opfer zu setzen. Der Hashtag „We Remember“ wurde in den vergangenen Tagen zum Symbol für die Erinnerungskultur in den sozialen Medien.
28. Januar 2020, 11.59 Uhr
Johanna Wendel
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21. November 2024
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