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Stephan Köhr zwischen E- und U-Musik

Lebenslange Liebe

Stephan Köhr ist Fagottist im Orchester der Oper Frankfurt. Den Lockdown nutzte der Seulberger für die Produktion der zweiten CD seines Projektes „Eskalation“ und stellt sein für viele weniger bekanntes Instrument in einen komplett anderen Kontext.
Der heiße Tipp kam von Frank Diedrich, dem ehemaligen Betreiber des Musikclubs Das Bett. „Dass es so was in Frankfurt gibt, hat mich echt überrascht“ verwies er auf die Bandcamp-Seite von „Eskalation“. Darauf zu hören das neue Album „Advances!“ des Komponisten und Multiinstrumentalisten Stephan Köhr. Mit dem hatte Diedrich in den späten Siebzigerjahren in der Band Magara gespielt und wurde gerne mit nahezu unspielbaren Bassfiguren getrietzt. Das klingt nach Frank Zappa, der von seinen Adepten immer schier Unmögliches erwartete. Es war die Hochzeit des Progressive Rocks und das Sextett orientierte sich an Gentle Giant, der vielleicht komplexesten Band des Genres. „Wir hatten fast alle eine klassische Vorbildung. Ich hatte ja lange Flötenunterricht gehabt. Unser Schlagzeuger sang und spielte Cello, und mein Bruder außer Orgel noch Violine und Sopransaxofon. Live hatten wir manchmal echt haarige Instrumentenwechsel eingeplant, da hatten wir ganz klar Gentle Giant im Hinterkopf“, gibt Köhr unumwunden zu. Neben Flöte und Saxofon hatte Köhr noch ein anderes Holzblasinstrument für sich entdeckt. „Als ich 17 war lieh ich mir das schuleigene Fagott aus und nahm ein paar Stunden. Dabei zahlte sich meine Vorbildung aus. Ich sauste nur so durch die ersten Lektionen, dass mein Lehrer und späterer Professor mich fragte, ob ich das Fagottspielen nicht zum Beruf machen wolle“, erinnert er sich. „Ich dachte aber eher darüber nach, für die Band einen Tonabnehmer zu besorgen und diesen mit ein paar Gitarreneffekten zu koppeln, was ich mit meinem ersten eigenen Fagott sofort tat.“

Nach Magara gab es mit E-GAL noch eine „Freizeit-Spaß-Band“, die „so eine Art Minimal-Avantgarde-Dada-Rock mit deutschen Texten spielte“, erzählt Köhr, der schon früh, mit zehn, elf Jahren Sonaten auf der Altblockflöte spielte. „Daher kommt sicher meine lebenslange Vorliebe für Renaissance- und Barockmusik.“ Von daher ist es nicht verwunderlich, dass sich der heute 63-Jährige der Klassik verschrieb. „Meine erste Festanstellung hatte ich in Mannheim von 1986 bis 1989. Dann wurde glücklicherweise in Frankfurt eine Stelle für das 2. Fagott und das Kontrafagott frei, die ich mir erspielen konnte“, kam er nur zu gerne zurück an den Main. „Ich hatte in Frankfurt studiert und fühlte mich nach all den Jahren immer noch wie ein Frankfurter.“ So zentral das Fagott im klassischen Orchesteraufbau platziert ist, so wenig wird es richtig wahrgenommen. Aber wer als Kind Sergej Prokofjews sinfonisches Märchen „Peter und der Wolf“, in dem alle Charaktere von einem Instrument verkörpert werden, andächtig gelauscht hat, hat nicht vergessen: Das Fagott brummt wie ein Großvater. Köhr rückt das Doppelrohrblattinstrumente, das mit einer Länge von rund 1,35 Meter eigentlich unübersehbar ist, ins rechte Licht.

„Das Fagott gehört ja zu den ältesten Holzblasinstrumenten, hatte Vorfahren im Mittelalter, und dementsprechend wurde dafür auch viel Musik geschrieben. In einer Mozart-Oper haben zum Beispiel die Klarinetten sogar mal eine halbe Stunde Pause, das ist beim Fagott nicht vorstellbar“, erklärt er. „Sicher kann das Fagott als Soloinstrument aufgrund seiner Mensur nicht so die Sau rauslassen wie eine Violine oder eine Klarinette. Aber im Ensemble verbindet das Fagott nicht nur die heterogenen hohen Holzbläser, es dient zudem als Missing Link zwischen dem Streicherapparat hier und dem Bläserblock dort. Ich würde sagen, es hat im Ensemble eine fast schon diplomatische Funktion.“

Die Zeit mit Magara und den ProgRock hat Köhr dabei nicht vergessen. Bereits 2001 nahm er ein erstes Album unter dem Namen „Eskalation“ (abgeleitet von seinen Initialen S.K.) auf, das zweite erschien Ende 2020. Geblieben ist der Untertitel: „Different Music for Bassoon, Wind Synthesizer and Sampled Percussion“. Das erklärt, dass hier das Fagott, anders als sonst üblich, in elektronische Klängen eingebunden wird. „Der Untertitel soll neugierig machen. Musik mit diesen Instrumenten? Wie klingt das denn?“, ist seine Strategie. Auch wenn „Eskalation“ (noch) ein Geheimtipp ist, so gab es doch schon internationale Medienfeedbacks. Als herausragend, abenteuerlich, intelligent, anspruchsvoll und einfallsreich wurde die Instrumentalmusik rezensiert. „Ich fühle mich natürlich bestätigt, wenn jemand sagt, sowas habe er noch nie gehört, sowas mache ja keiner sonst. Das ist der Grund für die ganze Arbeit“, freut sich Köhr. Diesmal hat er sich, auch um dem Albumtitel gerecht zu werden, an die Vertonung eines Rilke-Gedichtes in englischer Übersetzung („Autumn“) getraut. Das wird von der Sopranistin Miriam Hannah Adorf gesungen. „Das Gedicht handelt von einer Pilgerreise, und mehr noch, von einer Reise, die jeder von uns irgendwann antritt, raus aus der Komfortzone und in unbekanntes Territorium.“
 
Fotogalerie:
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20. Januar 2021, 13.06 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
 
 
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