Seit 25 Jahren gibt es das mittel-und osteuropäische Filmfestival in Frankfurt und Wiesbaden. Für Kuratorin und Produzentin Heleen Gerritsen ist es das letzte Festival. Sie zieht es nach Berlin.
Gregor Ries /
Schade eigentlich: Das Open-Air-Filmfest in Weiterstadt wird sich künftig eine andere Expertin für den Cocktailstand suchen müssen. Dort konnte man Heleen Gerritsen und weitere Mitarbeiterinnen des goEast-Teams zuletzt immer wieder antreffen–als Initiative gegenseitiger Unterstützung. Ab dem 1. Juni wird die Spezialistin für osteuropäischen Film die Leitung der Deutschen Kinemathek in Berlin übernehmen, wo sie sich für die Stelle des in Ruhestand tretenden Rainer Rother bewarb. Die Kuratorin und Produzentin stand zuletzt acht Jahre an der Spitze des Wiesbadener Festivals für mittel- und osteuropäischen Film.
Eröffnet wird mit der russischen Produktion „Meine Großmutter“
Gerritsen empfand goEast als ideale Spielwiese für historische Programme: „Ich habe gemerkt, dass diese Aspekte mir besonders viel Spaß machen. Der Wechsel war ein natürlicher Prozess.“ Erfreut zeigt sie sich, zum Jubiläum im 25. goEast-Jahr einen größeren Etat zur Verfügung zu haben, sodass man wieder zeitversetzt Teile des Wettbewerbs und der Hommage auch in Frankfurt anbieten kann, wo das Festival ja seinerzeit aus der Taufe gehoben wurde. Apropos: Eröffnet wird es jetzt mit der russischen Produktion „Meine Großmutter“, entstanden bereits 1929. Die lange verbotene, surreale Beamtensatire wird vom finnischen Trio „Cleaning Women“ begleitet. „So ein Stummfilmkonzert kann man sich nicht jedes Jahr leisten“, freut sich Gerritsen über den Coup.
Gerritsen: „Das Filmprogramm fiel wahnsinnig frisch, frech und sehr lustig aus“
Trotz des Titels hat besagter Avantgardefilm nichts mit dem Oberthema „Omas, Babas, Babushkas“ und dem Kurzfilmpreis „Revenge of the Babushka“ zu tun. Das so gewählte Symposiums-Thema könne man auch als Antwort auf die allgemeine politische Lage verstehen, gibt die scheidende goEast-Leiterin zu bedenken: „Es ist aber tatsächlich zusammen mit einem Forschungsprogramm über das alternde Kinopublikum und die Darstellung von Frauen im europäischen Kino entstanden. Die Gruppe ist auf der Leinwand nicht nur unterrepräsentiert, sondern auch mit vielen Vorurteilen behaftet. Das Filmprogramm fiel aber wahnsinnig frisch, frech und auch sehr lustig aus.“
Dazu passt der gleichnamige Dokumentarfilm über DJane Vika: In den Warschauer Clubs ist die 85-Jährige eine gefeierte Ikone. Zum Festival will sie bei einer der Partys auftreten. Mit acht Filmen und einem Werkstattgespräch mit Kurator Olaf Möller beschäftigt sich die aktuelle Hommage für den finnischen Kameramann und Regisseur Markku Lehmuskallio und die russische Filmemacherin Anastasia Lapsui. Ausgehend von Lapsuis Kindheitserfahrungen in einer Nomadenfamilie dreht sich ihr Werk um den Verlust von Kultur und Identität indigener Völker. Als Special begleitet zudem Uwe Oberg die restaurierte Co-Produktion „Saxophon-Susi“ von 1928 als Matinee am Piano.
Bis auf einen aktuellen kurzen Dokumentarfilm um eine Wissenschaftlerin im Wahlkampf mit klarer Antikriegs-Position („Es ist ein Wunder, dass diese Frau noch nicht verhaftet wurde!“) verzichtet man weiterhin auf russische Werke. Das Symposium im Alten Gericht „80 Jahre Kriegsende – Fehlende Bilder von Odessa bis Dakar“ kommt allerdings nicht ohne sowjetisches Kino aus.
Ein ukrainischer Film zeigt den Alltag von Schülern und Lehrkräften im Krieg
Aus der Ukraine stammt (leider passend) der Mosaikfilm und Berlinale-Beitrag „Timestamp“ über die Auswirkungen des Krieges auf das Alltagsleben von Schülern und Lehrkräften, aber ebenso die bittersüße Science-Fiction-Komödie „U Are The Universe“. Gerritsen dazu: „Ich finde es wichtig, dass man auch andere Aspekte des ukrainischen Filmschaffens zeigt, nicht nur Krieg und Elend, sondern auch die Kreativität.“
Natürlich darf Stammgast Radu Jude nicht fehlen. Im Wettbewerb ist der mehrfach ausgezeichnete Regie-Veteran mit dem Montagefilm „8 Postcards from Utopia“ vertreten, zusammengesetzt aus schrägen rumänischen Werbefilmen der Neunzigerjahre. Auch der goEast-Trailer der letzten Jahre stammt aus seinem Fundus. Gerritsen: „Der bleibt, bis der Krieg zu Ende ist! Aber wir haben Mitleid mit unserem Publikum: Es gibt auch einen Jubiläumstrailer.“ Dazu erinnert eine Ausstellung an 25 Biografien aus 25 Jahren Festivalhistorie. Die findet beim DFF in Frankfurt statt – womit sich der Kreis wieder schließt. Bei den Fotos und Biografien darf natürlich Radu Jude nicht fehlen. Aber mit Namen wie Agnieszka Holland, Lana Gogoberidse oder Márta Mészáros zeigt es sich, wie viele wichtige weibliche Filmschaffende schon den Weg nach Wiesbaden (und teils Frankfurt) gefunden haben.
Info goEast Filmfest 23.-29. April Wiesbaden/Frankfurt Filmbühne Caligari & andere Orte Mehr Infos hier