Die Netflix-Serie begibt sich auf die beklemmende Suche nach Antworten.
Daniel Urban /
„Was hast du getan?“, fragt Eddie Miller (Stephen Graham) seinen dreizehnjährigen Sohn Jamie (Owen Cooper), als dieser auf der Polizeistation in seinem Beisein verhört wird. Der Vorwurf ist für den britischen Klempner unvorstellbar: Jamie soll seine gleichaltrige Klassenkameradin mit einem Messer ermordet haben.
Wenngleich sich statistisch nicht belegen lässt, dass Tötungsdelikte, bei denen Jugendliche oder Kinder die Täter sind, in den letzten Jahren deutlich angestiegen sind, werden Straftaten Minderjähriger zunehmend gewalttätig. Durch zwei solcher Morde – in beiden Fällen hatte ein Junge ein Mädchen erstochen – wurde Schauspieler Stephen Graham auf das Thema aufmerksam, das er gemeinsam mit Drehbuchautor Jack Thorne in der abgeschlossenen, vierteiligen Serie verarbeitet.
Adolescence: misogyne Incel-Kultur, Mobbing und Social-Media-Zwang
Früh entschied sich Regisseur Philip Barantini dazu, die jeweiligen Folgen als One-Shot zu drehen, als sich in Echtzeit entwickelnde Handlungsstränge ohne Schnitt. So folgt die Handlung an vier spezifischen Daten vom Tag der Verhaftung bis zu einem Jahr nach der Tat jeweils für eine Stunde den Protagonisten. Wenngleich sich die Serie naturgemäß mit der Frage nach dem Warum des Mordes beschäftigt, beschränkt das Format selbst reißerische oder allzu simplizistische Erklärungen.
Viel eher zeichnet die Erzählung von misogyner Incel-Kultur über Mobbing und performativen Social-Media-Zwang bis zu offenbar kaum zu überbrückenden Klüften in den Wahrnehmungswelten der Generationen ein bestürzendes Porträt über die Realität aller Involvierten, an dessen Ende keine kathartische Auflösung steht. Die beklommene Aussichtslosigkeit verdichtet die Serie mithilfe des schnittlosen Konzepts – hier mal nicht technische Spielerei – wie auch des intensiven Schauspiels zu einem Werk, das den Zuschauer ähnlich wie seine Protagonisten ratlos zurücklässt.
Info Netflix: Adolescence, Staffel 1, bereits verfügbar