Frankfurt liest ein Buch – und das bereits zum 16. Mal. Mit dabei ist Journalist und Autor Dirk Kurbjuweit. Sein neuer Roman „Nachbeben“ führt in den Taunus und in die Zeit, als die D-Mark zum Euro wurde.
Christoph Schröder /
Den Großen Feldberg im Taunus kennt jeder Bewohner des Rhein-Main-Gebiets. Mindestens. Aber den Kleinen Feldberg? 1,4 Kilometer südwestlich gelegen, rund 60 Meter niedriger und vor allem: Für das Publikum nicht zugänglich. Dort oben befindet sich ein Funkmast, der unter anderem sicherheitstechnisch relevant ist für den Flugverkehr. Und das sogenannte Taunus-Observatorium, eine 1913 gegründete Einrichtung für Meteorologie und Geophysik. Kaiser Wilhelm II. reiste seinerzeit persönlich dort an, um die Erdbebenwarte zu eröffnen.
Was hat all das mit dem Frankfurter Lesefestival „Frankfurt liest ein Buch“ zu tun, das im Jahr 2025 zum 16. Mal durchgeführt wird? Zweierlei: Zum einen spielt die Erdbebenwarte auf dem Kleinen Feldberg in Dirk Kurbjuweits Roman „Nachbeben“ eine bedeutende Rolle. Ja, mehr noch: „Der Ort ist fast das Wichtigste an diesem Buch“, so Kurbjuweit. Zum anderen kennt der Autor den Kleinen Feldberg seit seiner frühen Kindheit sehr gut. Und der Autor ist auch nicht irgendwer: Kurbjuweit wurde 1962 in Wiesbaden geboren, wuchs in Essen und Berlin auf, studierte Volkswirtschaftslehre und kam dann als Redakteur zunächst zur Wochenzeitung Die Zeit, dann zum Nachrichtenmagazin Der Spiegel, dessen Chefredakteur Kurbjuweit seit dem Jahr 2023 ist.
Kurbjuweit: „Die Atmosphäre dort war für mich mythisch“
Zudem schreibt er Literatur: „Nachbeben“, der Roman, der in diesem Jahr im Mittelpunkt von „Frankfurt liest ein Buch“ steht, erschien im Jahr 2004 und erhält nun im Penguin Verlag pünktlich zum Lesefest eine schön gestaltete Neuausgabe. Im Taunus-Observatorium, erzählt Kurbjuweit, habe es ein Hausmeisterehepaar gegeben; gute Freunde seiner Eltern. Und auch wenn seine Familie das Rhein-Main-Gebiet ein Jahr nach seiner Geburt verlassen hat: An Wochenenden und auch in den Ferien ging es in den Taunus. „Die Atmosphäre dort“, sagt Kurbjuweit, „war für mich mythisch, vielleicht auch immer ein wenig bedrohlich, wenn der Gipfel im Nebel lag. Aber trotzdem war es auch herrlich. Der Seismograph in der Erdbebenwarte war für mich an manchen Tagen die ganze Welt.“
Womit wir bei einer der Hauptfiguren von „Nachbeben“ wären: Luis Sommerfeldt sitzt seit Jahren in der Erdbebenwarte im Taunus und wertet Daten aus. „Einmal“, so hebt der Roman an, „in meinen vielen Jahren durfte ich erleben, wie aus einer Erdbebennacht eine Liebesnacht wurde.“ Das wiederum hat mit Lorenz Kühnholz zu tun, dem Sohn seiner Nachbarn. Luis und Lorenz sind Freunde. Als in jener Nacht, am 22. Juni 1989 um 22.54 Uhr ein Anruf in der Sternwarte eingeht, geht Lorenz an den Apparat. Am anderen Ende eine Frau aus Köln und in Angst. Ihr Haus wackelt. Das Gespräch wird schnell persönlich; am Ende setzt Lorenz sich ins Auto, um nach Köln zu fahren. Der Beginn einer Liebesbeziehung.
Frankfurt liest ein Buch: 70 Veranstaltungen rund um „Nachbeben“
„Nachbeben“ weitet sich aus zu einem Gesellschafts- und Finanzroman. Die noblen Taunusstädtchen und der Finanzplatz Frankfurt sind die Schauplätze für eine Geschichte, die vor dem Hintergrund des Endes der D-Mark in Illegalität, zerplatzten Träumen und familiären Zerwürfnissen endet – ein „Nachbeben“ eben. „Frankfurt liest ein Buch“ hat sich schon immer über das Stadtgebiet von Frankfurt in die Region hinaus geweitet. In diesem Jahr ist dieser Akzent noch einmal verstärkt, geht es nach Oberursel, Königstein, Kronberg und Glashütten. Der Verein LeseLust Königstein e.V. bietet beispielsweise insgesamt vier literarische Begegnungen an der Erdbebenwarte auf dem Kleinen Feldberg an.
Insgesamt wird es rund 70 Veranstaltungen rund um „Nachbeben“ geben; 17 davon mit persönlicher Beteiligung von Dirk Kurbjuweit. Neben den traditionellen Eckpfeilern des Festivals wie der Eröffnung in der Deutschen Nationalbibliothek gibt es Veranstaltungen in Schulen, Vorträge über die Rolle des Finanzkapitals und die deutsche Währungsgeschichte und standesgemäß einen Salon mit dem Autor im Schlosshotel Kronberg. Bezahlt wird in Euro.
Info Frankfurt liest ein Buch 2025 22.4.-4.5.2025 Programm und Tickets hier
Dirk Kurbjuweit: Nachbeben. Penguin Verlag, 222 Seiten, 24 Euro
Helge Heynold liest auf hr2 vom 22.4.-8.5. täglich um 9.30 Uhr aus „Nachbeben“.
Am 15.4. um 12.40 Uhr ist Dirk Kurbjuweit zu Gast in der Sendung hr2-Doppelkopf.
Christoph Schröder studierte in Mainz Germanistik, Komparatistik und Philosophie. Seine Interessensschwerpunkte liegen auf der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und dem Literaturbetrieb. Er ist Dozent für Literaturkritik an der Goethe-Universität Frankfurt.