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Remember Albert Mangelsdorff
Das Ganze hatte schon etwas Feierliches. Ein Tag nachdem Albert Mangelsdorff 80 Jahre alt geworden wäre, gab es das „Remember Albert Mangelsdorff“-Konzert in der Alten Oper als Hommage an der weltweit bekanntesten Frankfurter Jazzmusiker. Vor dem überlebensgroßen Foto des Posaunisten im Bühnenhintergrund wirkte dann selbst ein Dr. Felix Semmelroth hinter seinem Rednerpult eher bescheiden und klein. Aber das konnte der Kulturdezernent der Stadt sicher leicht verschmerzen, denn er war schließlich gekommen, um einen ganz Großen zu ehren. Und das durfte gerne auch optisch zum Ausdruck kommen. Er übergab nach seiner Lobrede des Wort an den FAZ-Feuilletonisten Wolfgang Sandner, der mit für das Programm verantwortlich zeichnete. Und der versprach dem Publikum im bestens besuchten Konzerthaus ein „Jazzfestival in Form eines Konzertes“ und „machen Sie sich auf etwas gefasst und beweisen sie Sitzfleisch“.
Vier Stunden sollte das Spektakel gehen, aber da – das darf man annehmen – nahmen sich die einzelnen Programmpunkte noch stark zurück, denn alle hätten locker mehr und länger spielen können. Den Anfang machte das Alber Mangelsdorff Memorial Quintet mit drei Original-Mitgliedern der in den Sechzigjahren stilbildenden Formation, die so nebenbei den europäischen Jazz gegenüber den US-Amerikanern emanzipierte und revolutionierte. Günter Lenz am Kontrasbass und Ralf Hübner am Schlagzeug sind die nach wie vor überzeugende Rhythmussektion und Heinz Sauer am Tenorsaxophon die bekannt auffällige Figur, als Musiker wie Mensch. Bob Degen kam als Pianist dazu und der junge Stefan Lottermann übernahm den Part von Mangelsdorff, von dem er sich erklärtermaßen inspiriert fühlt und bekam sogar Szenenapplaus von wirklich Eingeweihten im Publikum, allen vorab Konzertimpressario Fritz Rau, dessen Karriere mit einem Konzert von Mangelsdorff & Co. seinerzeit in Heidelberg begann.
Und auch Alberts Familie, Ehefrau Ilo und Sohn Ralph, zeigten sich angetan von den Interpretation der Kompositionen „A Certain Beauty“ und „Folk Mond & Flower Dreams“. So gar nicht maulfaul (wie kürzlich bei der „Gib mir das Gefühl zurück“-Talkrunde im Historischen Museum) nahm Sauer das Mikro zur Hand, um Anekdoten aus dem Tourleben zu erzählen. Schließlich war man zusammen in Thailand und Taiwan. Chiang Kai-shek fühlte sich – so erklärte er den Musikern nach einem Konzert angetan – bei einer Albert-Komposition an eine Panzerschlacht erinnert während sich König Bhumibol als leidenschaftlicher Saxophonist vorstellte. Als Mangelsdorff bei der Rückkehr am Frankfurter Flughafen gefragt wurde, wie denn dessen Saxophonspiel sein, meinte er sinngemäß: Nicht schlecht für einen König.
An Position 2 des Abends folgte schon der Höhepunkt des „Festivals“– das Trio Kühn Vitous Humair, eine Supergroup des Jazz. Unglaublich, wie lässig Pianist, Drummer und Kontrabassist ihre individuelle Virtuosität ausspielten und wie selbstverständlich und äußerst dynamisch sie zusammen spielten. Der einstige Mitbegründer von Weather Report zupfte, strich, liebkoste und schlug seinen Kontrabass übergangslos, genauso souverän und mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks trommelte Humair und entlockte seinen Becken mit der Spitze seines Drumsticks Töne, die Vitous mit quietschendem Bogen und Kühn mit abgedeckten Saiten im Flügel beantwortete. Überhaupt Kühn. Der Name ist Programm. Mit der linken Hand kraftvoll und akzentuierend, mit der rechten gleichzeitig auch mal zart, fließend, entlockte der gebürtige Leipziger und klassisch ausgebildete Pianist dem Instrument allein und erst recht im Zusammenspiel mit den Kollegen eine unglaubliche Klangfülle. Komisch, dass ein Besucher in der Pause motze, der zweite Pianist (nicht mal den Namen hatte er parat) sei ihm zu laut und zu arrogant gewesen. Dabei gab sich Kühn – wie alle Musiker des Abends ganz bescheiden und dankbar, an diesem Abend für Albert dabei sein zu dürfen – fröhlich und witzig aufgelegt. OK, seine Optik mag den einen oder anderen an Klaus Kinski erinnert haben. Allerdings ohne dessen Wahnsinn im Ausdruck. Pause.
The Art Of The Duo präsentierten dann Martial Solal und Lee Konitz mit Piano und Saxophon, ebenso wie alle Musiker des Abends überschwänglich vorgestellt von Dr. Sandner. Auch hier gab es selbstredend eine besondere Anekdote zum besten zu geben. Als Miles Davis mal gefragt wurde, warum er mit Konitz einem Weißen den Job gegeben habe wo och so viele schwarze Musiker arbeitslos waren, soll er geantwortet haben: „Und wenn er grün wäre (was damals noch keine politische Bedeutung hatte), hätte ich ihn genommen, Weil er so einzigartig spielt.“ Wie sich Solal und Konitz dann die Bälle zuspielten, hatte vielleicht nichts mehr von Innovationskraft ihrer legendären Zeiten, erinnerte mitunter – wenn auch auf sehr sehr hohen Niveau – an beinah gefällige (man traut es sich kaum zu schreiben) Barmusik, war aber so leicht und unverkrampft aus den Ärmeln geschüttelt, dass man allein deswegen den Hut vor ihnen ziehen musste. Witz hatte das Ganze auch noch – zwei echte Komiker, gut für den einen oder anderen Slapstick. Nur gut, dass bei Solals Running Gag mit dem Klavierdeckel seine Finger heil blieben.
Es folgte zum Abschluss des Abends eine echte Premiere. Alberts älterer Bruder Emil spielte das erste Mal mit der hr Big Band. Der Balladenmeister am Altsaxophon, im Vergleich mit Albert eher ein Bewahrer, denn progressiver Geist, spielte quasi Standards, kam auf die Bühne, als die Big Band mit einer Albert Mangelsdorff-Komposition begonnen hat, und verließ die Bühne, bevor sie mit einem zweiten Albert-Stück und dem 5. Satz eines Konzertes den Abend ausklingen ließen. Und das hatte viele Saxophonparts. Als Emil auf der Bühne stand, hatten in der Pause Ilo und Ralph Mangelsdorff den Saal schon verlassen. Kein Insider hätte ohnehin zu hoffen gewagt, dass ausgerechnet zum 80. Geburtstag sich die Familie versöhnt.
Ein P.S. am Rande – schon nach 10 Minuten der Pause gab es im ersten Stock an der Bar kein Bier mehr. „Nehmen Sie doch ein alkoholfreies“, meinte das Personal statt Anstalten zu machen, den Mangel – vielleicht mit einem Anruf im Restaurant – zu beheben. Einem Mann wie Gerd Käfer, verantwortlich für die Gastronomie in der Alten Oper, nicht gerade würdig.
Fotos: Detlef Kinsler
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