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Neustart im Megalomania-Theater

Kleine Formate sind kein Programm

Frisch renoviert startet das Megalomania-Theater in Oberrad am 18. Juni sein neues Programm. Theaterchef Abraham Teuter erzählt im Interview, wie der Neustart zu Corona-Bedingungen funktionieren soll.
JOURNAL FRANKFURT: In einem Video auf Ihrer Webseite sieht man Sie im alten Zuschauerraum – wenn das direkt vom Bühnenrand aus aufgenommen wurde, sieht man gut zwei Dutzend Plätze. Wie hat sich das Theater durch die Renovierung verändert und wie viel Zuschauerinnen und Zuschauer werden in Coronazeiten Platz finden?
Abraham Teuter: Das Theater besteht aus drei Quadraten, jeweils zur Bühne hin gibt es zwei Tribünen mit jeweils Zugängen von vorne und hinten und einem Mittelgang. Die eine Tribüne ist weiter weg von der Bühne, weswegen dort auch Stuhlreihen zusätzlich aufgestellt werden könnten. Zwischen den Tribünen können auch Stühle gestellt werden. Unter Beachtung der Abstandsvorschriften bekommen wir so 30 Menschen in das Theater.

Rentiert sich eigentlich so ein „Neustart“ unter Covid-19-Bedingungen oder geht es einfach mehr um die Sache, überhaupt wieder spielen zu können?
Ums „Rentieren“ geht es eigentlich nie. Wir haben die beiden Solo-Stücke und zwei Liederabende vorbereitet und ergänzen sie durch szenische Lesungen, die viel schneller geprobt werden können als normale Produktionen und die wir inhaltlich spannend finden. Da wir in der Regel keine Darsteller engagieren, sondern fast alle Amateure sind, spielen die vielen Mitwirkenden bei den verschiedenen Produktionen, weil sie einen Sinn darin sehen und weil es ihnen Spaß macht. Für müde Stücke würde ich keine Mitwirkenden finden.

Nach welchen Kriterien wurde das „bunte Programm“ zusammengestellt, wie drückt sich darin der Größenwahn im Titel auf und wo positioniert sich die Bühne im Kontext der Frankfurter Theater – ganz bewusst in einer Nische?
Zum Thema Liederabende: Wir haben Kontakt zu ausgebildeten Sängerinnen und Sängern, weil ich eigentlich Offenbachs „Ritter Blaubart“ machen wollte (erst mal aufgeschoben). Da mich persönlich die Sängerinnen bei den Liederabenden in der Oper immer wieder beeindrucken, ich aber die meisten der dort ausgewählten Texte als öde empfand und empfinde, wollen wir Liederabende machen, bei denen es nicht um Blümelein und Mägdelein geht, ohne dass wir auf musikalische Qualität verzichten. Der „Reigen“ ist schon lange vorgesehen und passt zu den Bedingungen. „Oleanna“ können wir aus dem Ensemble gut besetzen und das Stück hat an Aktualität noch gewonnen. „Fleabag“ und „Die Pest“ hätte ich auch gerne öffentlich gezeigt, aber es gibt dafür keine Lizenzen. „Fleabag“, weil wir eine ganz begabte, lebhafte Schauspielerin dafür haben und „Die Pest“ erklärt sich aus der Zeit von selber. Wir bereiten die neuen Stücke mit vier verschiedenen Regisseuren vor. Also: warum nicht, wenn es möglich ist?

Ein Theater in Oberrad, da vermutet man fast automatisch, es müsse sich um eine Stadtteil-Projekt handeln. Aber von der Programmatik geht das Angebot sicher weit darüber hinaus?
Wir sind kein Stadtteiltheater. Wir sind ein Theater, das aus finanziellen und baulichen Gründen (die zusammenhängen) in Oberrad sind, wofür wir uns nicht schämen. Es ist nett und die Leute sind freundlich und kommen auch mehr und mehr ins Theater.

Das Juni-Programm, das sicher die Idee des Theaters transportiert, klingt nach meist sehr intimen Performances ohne großes Ensemble. Sind das oft ganz bewusst Solo- oder Duo-Performances, ganz nah, ganz unmittelbar, sehr persönlich aber gerne auch politisch?
Nein. Eigentlich arbeite ich gerne mit größeren Gruppen. „Collapsible“ kam, weil eine wunderbare Schauspielerin mal etwas alleine machen wollte und wir danach das passende Stück dafür fanden. Marina spielte und spielt wieder den Marx in „Karl Marx, 32 Jahre, Revolutionär, mittellos", ein Stück für (bei uns) elf Schauspieler*innen. Mit dem „Marx“ wurde ein ganz neues, ganz teures Theater in London eingeweiht, und wir bringen es auf unsere kleine Bühne; spielen drei Stunden lang und können die Spannung halten. Kleine Formate sind kein Programm. Ohne Virus hätten wir seit April „Floh im Ohr", auch wieder für viele Leute und immer noch den „Marx“ und im Juni (oh Gott, schon jetzt also) die Operette.

Das Wort vom Laientheater fällt. Was will uns das sagen und wie löst man den Widerspruch auf, den manche gleich projizieren: Das kann dann doch nicht professionell und anspruchsvoll sein?
Das ist ein echtes Problem. Wenn sie in einem Theater mal zwei, mal drei Stücke nebeneinander haben, die die Mitwirkenden fordern, für die monatelang geprobt wird, führt der Begriff Laientheater auf die falsche Fährte. Aber Leugnen ist auch nicht richtig. Es spielen Krankenschwestern und Studenten und Schüler, aber Rabatt dafür wollen und brauchen wir nicht.

Ein Wort/ein Satz/oder auch mehr zur Rolle von Abraham Teuter im Theater ...
In der Regel mache ich Vorschläge, übersetze und führe Regie, aber ich kaufe mir keine Leute dafür, sondern lade junge Menschen, denen eigentlich die Welt offen steht, dazu ein, mit mir zusammenzuarbeiten.Schon in der Schule wollte ich, dass die Kinder eine Schulpräsenzpflicht haben, aber keine Unterrichtsbesuchspflicht. Lehrer wären dann viel besser. Meine Frau und ich hatten zwanzig Jahre lang einen Verlag ohne dafür ausgebildet zu sein. Wir haben Preise für unsere Bücher bekommen, einige wurden verfilmt und viele an die Taschenbuchverlage verkauft. Und in der gesamten Zeit habe ich als Lehrer mit voller Stelle gearbeitet.

Der Liederabend nimmt einen wichtigen Raum im Juni-Programm ein. Sieht man, dass da ganz selbstverständlich Joni Mitchell neben Hanns Eisler steht, wird Lied hier sehr speziell definiert ... Was macht die beiden vom Klavier begleiteten Abende aus und haben sie eine Botschaft?
Da habe ich oben schon etwas dazu geschrieben. Lied halte ich für eine tolle Form, kleinere Texte mit der Musik zu bereichern. Ich bewundere die Kunst der klassisch ausgebildeten Sänger, weswegen ich selber nicht singe. Aber die Texte der Lieder sind oft doof und kitschig. Da ich das Theater habe, ein gutes Klavier und die Sänger wegen des Blaubarts zu uns gekommen sind, gibt es dieses Liederprogramm.

Eigentlich sind es sechs Abende. Zu Joni Mitchell. Ich singe nicht, habe aber Musik im Kopf. Es singt in meinem Kopf, aber bei der modernen klassischen Musik hört es bei einigen Stücken von Henze und Britten auf. Musik, die nur den akademisch vorgebildeten Menschen sozusagen mit „Ich komme mit den Regeln zurecht" erreicht, missachtet den Sinn der Musik: Dem Menschen zu dem Wort zusätzliche Informationen zu geben. Hören Sie Verdis „Traviata“, das letzte Bild, wenn der totkranken Frau gesagt (gesungen) wird, dass ihr Alfredo auf dem Weg zu ihr ist. Alles was an Hoffen und Freude in dieser gequälten Frau ist, drückt die Musik aus. Und dann sitzen sie in „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und fragen sich, was der Lärm soll. Was hat das mit Joni Mitchel zu tun? Sie schrieb für eine musikalisch geprägte Stimme, sie hatte viele Möglichkeiten, sich musikalisch auszudrücken. Sie verband Text und Musik zu intensiveren Botschaften, intellektuell und emotional. Wenn in hundert Jahren Leute am Strand sitzen und alte Musik im Kopf haben, wird es nicht Lachenmann sein.

Schnitzlers „Reigen“ bekommt Frankfurter Lokalkolorit. Welche Idee steckt dahinter und wie ließ sich das durch Raum und Zeit übertragen?
Schnitzler ist ein sehr kluger und fähiger Autor und sollte immer wieder gespielt werden. Aber wir versuchen das süße Mädel, den Offizier, den gnädigen Herrn usw. durch Menschen zu ersetzen, denen wir in Frankfurt begegnen. Es gibt andere Möglichkeiten und Spannungen. Ein sehr netter Mensch, nicht ultrakonservativ, sagte mir, er würde nie eine deutsche Frau heiraten, weil die deutschen Frauen nicht den Respekt gelernt hätten, den er für seine Mutter erwartet. Es schreibt eine junge Studentin und ich bin sehr gespannt, wie es ihr gelingt in dem alten Muster unsere doch andere, in vielem viel liberalere und weniger verlogene Gegenwart darzustellen.
 
Fotogalerie:
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12. Juni 2020, 13.20 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
 
 
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