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Goetheplakette für Sandra Mann
Der Blick für das Wesentliche
Seit Jahrzehnten hat Sandra Mann einen festen Platz in der nationalen und internationalen Kunstszene. In diesem Jahr wird sie mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. Ein Interview über veränderte Realitäten, Goethe und eine ganzheitliche Sicht.
JOURNAL FRANKFURT: Frau Mann, gemeinsam mit Komponist Hans Zimmer werden Sie in diesem Jahr mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Auszeichnung erfahren haben?
Sandra Mann: Ich war sehr überrascht, als unsere Stadträtin Frau Heilig mich angerufen und mir die freudige Nachricht überbracht und zu der Auszeichnung gratuliert hat. Das hatte ich nicht erwartet.
Sie sind in Groß-Gerau geboren, haben unter anderem in Frankfurt studiert – Welche Beziehung haben Sie zu der Stadt und wie wichtig ist Frankfurt für Sie als Künstlerin?
Mein Atelier und Studio befinden sich in Frankfurt. Ich glaube, wenn gesagt wird, mein Lebensmittelpunkt liegt in Frankfurt, dann ist das durchaus richtig. Mit dem Flughafen ist Frankfurt außerdem ein perfekter Ausgangspunkt für meine internationalen Ausstellungen, wie im MUCA in Mexiko-Stadt oder in der Kunsthalle in Wien. Abgesehen davon konnte ich hier konzeptionell schöne Ausstellungen im In- und Ausland auf die Beine stellen und so Frankfurter Kunstschaffende im Ausland protegieren, oder so schöne Buchprojekte realisieren wie das über geflüchtete Frauen mit dem Frauenreferat der Stadt. Natürlich habe ich mir überlegt, wie die Auszeichnung mit der Goetheplakette jetzt zustande kam. Ich glaube, das ist nicht nur meine innige Verbindung zu den Frankfurter:innen, sondern mich verbindet auch mehr als ich dachte mit Johann Wolfgang von Goethe. Mit seinen Reisen und mit seinen Naturstudien kann ich mich gut identifizieren.
Inwiefern?
Er hat mal gesagt: Der Mensch an sich, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann. Damit stellte er sich gegen die Erkenntnisgewinnung rein über technische Messgeräte. Also was ist denn wesentlich in unserem Leben? Ein wichtiger Punkt in meiner Arbeit war, dass ich die Darstellung dieses Wesentlichen für uns Menschen in mein fotografisches Werk transportieren konnte. Unsere Wurzeln und wovon unsere Existenz abhängt, das ist die Natur, stellvertretend der Wald, als Bühne. Dort inszeniere ich die verschiedensten Unterthemen, die uns als Menschen kennzeichnen und uns netzwerkartig mit der Welt verbinden – Jung/Alt, Dick/Dünn, die verschiedensten Formen von Gender, unsere Nähe zum Wasser, oder auch unsere Sehnsucht nach der Natur und der Tierwelt.
Am beispielhaftesten ist vielleicht eine Fotografie, die ich mit der Künstlerin Jessica Schäfer zusammen entwickelt habe, bei der ich sie in einem Teich inszeniert habe. Dabei platzierten wir hunderte zerknüllte Plastikbecher im Wasser und ich habe dann die Perspektive ähnlich der von Claude Monets Seerosenstücken gewählt. Unser kollektives Gedächtnis gaukelt uns eine friedvolle Situation vor. Erst auf den zweiten Blick ist die wahre Situation zu erkennen. Eine Falschinterpretation davon weist zum einen auf unsere vorschnelle Wahrnehmung hin und kennzeichnet zum anderen auch unser Verhältnis zur Natur, wie wir real mit ihr umgehen – wir verdrängen unser Baden im Plastik.
060814-8816 Hommage an Monet (Jessica & "Seerosen", Buchschlag, Germany), 2014, Fotografie: Sandra Mann
Wenn man sich mit Ihnen und Ihren Arbeiten beschäftigt, begegnet man relativ schnell folgendem Zitat: „Künstler sind Seismographen der Gesellschaft, die mit Hilfe der Fotografie Tatsachen dokumentieren oder neue Realitäten schaffen“. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Der erste Teil davon stammt ursprünglich von Jean-Christophe Amann. Ich habe die These ergänzt, weil ich mit Fotografie Dinge dokumentieren kann oder eben auch die Realität verändere, indem ich wiederholt bestimmte Bilder zeige. Das wurde ja zum Beispiel auch in der Kriegspropaganda verwendet, bei der die Kriegstreiber die Möglichkeiten der Fotografie genutzt haben, um Menschen zu manipulieren. Es ist aber auch möglich, das auf eine positive Weise nutzen, sodass das vermeintlich „Unnormale“ oder „Andere“, wie verschiedene Hautfarben oder Diversität, zur Normalität wird und sich durch die wiederholte Darstellung in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft integriert.
Steckt in Ihren Werken also immer auch eine gewisse politische Botschaft?
Ich würde eher sagen, eine ganzheitliche, dialektische Sicht. Das kommt durch die vielen Reisen und dadurch, die Dinge auch mit den Augen anderer Kulturen zu betrachten. Und wenn man das als politisch ansieht, dann ist es von mir aus politisch. Für mich geht es eher um die Selbstverständlichkeit von existenziellen Werten wie Gleichberechtigung, Umweltschutz oder Nachhaltigkeit. Da sind wir auch wieder bei Goethe gelandet, der auch eine ganzheitliche Sichtweise hatte: Alles ist miteinander verbunden und hängt miteinander zusammen. Das wird in unserer rationalen Welt zu oft getrennt und dadurch geht der Blick für das Wesentliche verloren. Natürlich sind das alles Aspekte, die die Politik auch nicht außer Acht lassen darf – Themen wie die Diskrepanz von Armut und Reichtum oder die Notwendigkeit von Bildungsgleichheit, die ja durch die Pandemie jetzt auch noch einmal klarer sichtbar werden.
Sie sprechen die Pandemie gerade an – Wie sehr beeinträchtigt Corona denn aktuell Ihre Arbeit?
Sehr. Zum einen ist ein Treffen mit vielen Leuten nicht möglich. Ich möchte gern im Frühjahr mit der „Waldlife“-Serie fortfahren. Das muss natürliche alles unter den AHA-Regeln stattfinden und das ist nicht so einfach, wenn man im Team arbeitet. Das Arbeiten im Ausland ist nicht möglich. Es gibt zum Beispiel eine Ausstellung in Kalifornien, bei der ich dreidimensionale Fotografien zum Thema Skulptur zeigen wollte; sie wurde nun zum dritten Mal verschoben. Und ob ich überhaupt persönlich vor Ort sein kann, ist noch unklar. Also ich bin von der Situation, wie alle Künstler:innen, sehr betroffen. Auch weil Kunst „live und in Farbe“ einem großen Publikum zu präsentieren nicht möglich ist, wenn die Museen und Galerien geschlossen sind. Für alle Künstler:innen ist es wichtig, dass ihr Werk gesehen wird, insbesondere um ihrer Funktion als Spiegel der Gesellschaft gerecht zu werden.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie dann auch auf die Kunstszene der Zukunft?
Ich denke, es wird sich vieles ins Digitale verlagern. Andererseits ist das, was die Kunstschaffenden auszeichnet, das Vielseitige, Kreative und Haptische. Das kann kein Computer und keine künstliche Intelligenz oder digitale Ausstellung ersetzen. Das, was für die meisten Menschen jetzt in der Pandemie eine neue Herausforderung darstellt, ist für uns Kreative Alltag: flexibel mit Herausforderungen umzugehen und neue Wege zu finden. Kunstschaffende können dabei Entwicklungen aufzeigen und den Weg für das Wesentliche ebnen.
Sandra Mann: Ich war sehr überrascht, als unsere Stadträtin Frau Heilig mich angerufen und mir die freudige Nachricht überbracht und zu der Auszeichnung gratuliert hat. Das hatte ich nicht erwartet.
Sie sind in Groß-Gerau geboren, haben unter anderem in Frankfurt studiert – Welche Beziehung haben Sie zu der Stadt und wie wichtig ist Frankfurt für Sie als Künstlerin?
Mein Atelier und Studio befinden sich in Frankfurt. Ich glaube, wenn gesagt wird, mein Lebensmittelpunkt liegt in Frankfurt, dann ist das durchaus richtig. Mit dem Flughafen ist Frankfurt außerdem ein perfekter Ausgangspunkt für meine internationalen Ausstellungen, wie im MUCA in Mexiko-Stadt oder in der Kunsthalle in Wien. Abgesehen davon konnte ich hier konzeptionell schöne Ausstellungen im In- und Ausland auf die Beine stellen und so Frankfurter Kunstschaffende im Ausland protegieren, oder so schöne Buchprojekte realisieren wie das über geflüchtete Frauen mit dem Frauenreferat der Stadt. Natürlich habe ich mir überlegt, wie die Auszeichnung mit der Goetheplakette jetzt zustande kam. Ich glaube, das ist nicht nur meine innige Verbindung zu den Frankfurter:innen, sondern mich verbindet auch mehr als ich dachte mit Johann Wolfgang von Goethe. Mit seinen Reisen und mit seinen Naturstudien kann ich mich gut identifizieren.
Inwiefern?
Er hat mal gesagt: Der Mensch an sich, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann. Damit stellte er sich gegen die Erkenntnisgewinnung rein über technische Messgeräte. Also was ist denn wesentlich in unserem Leben? Ein wichtiger Punkt in meiner Arbeit war, dass ich die Darstellung dieses Wesentlichen für uns Menschen in mein fotografisches Werk transportieren konnte. Unsere Wurzeln und wovon unsere Existenz abhängt, das ist die Natur, stellvertretend der Wald, als Bühne. Dort inszeniere ich die verschiedensten Unterthemen, die uns als Menschen kennzeichnen und uns netzwerkartig mit der Welt verbinden – Jung/Alt, Dick/Dünn, die verschiedensten Formen von Gender, unsere Nähe zum Wasser, oder auch unsere Sehnsucht nach der Natur und der Tierwelt.
Am beispielhaftesten ist vielleicht eine Fotografie, die ich mit der Künstlerin Jessica Schäfer zusammen entwickelt habe, bei der ich sie in einem Teich inszeniert habe. Dabei platzierten wir hunderte zerknüllte Plastikbecher im Wasser und ich habe dann die Perspektive ähnlich der von Claude Monets Seerosenstücken gewählt. Unser kollektives Gedächtnis gaukelt uns eine friedvolle Situation vor. Erst auf den zweiten Blick ist die wahre Situation zu erkennen. Eine Falschinterpretation davon weist zum einen auf unsere vorschnelle Wahrnehmung hin und kennzeichnet zum anderen auch unser Verhältnis zur Natur, wie wir real mit ihr umgehen – wir verdrängen unser Baden im Plastik.
060814-8816 Hommage an Monet (Jessica & "Seerosen", Buchschlag, Germany), 2014, Fotografie: Sandra Mann
Wenn man sich mit Ihnen und Ihren Arbeiten beschäftigt, begegnet man relativ schnell folgendem Zitat: „Künstler sind Seismographen der Gesellschaft, die mit Hilfe der Fotografie Tatsachen dokumentieren oder neue Realitäten schaffen“. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Der erste Teil davon stammt ursprünglich von Jean-Christophe Amann. Ich habe die These ergänzt, weil ich mit Fotografie Dinge dokumentieren kann oder eben auch die Realität verändere, indem ich wiederholt bestimmte Bilder zeige. Das wurde ja zum Beispiel auch in der Kriegspropaganda verwendet, bei der die Kriegstreiber die Möglichkeiten der Fotografie genutzt haben, um Menschen zu manipulieren. Es ist aber auch möglich, das auf eine positive Weise nutzen, sodass das vermeintlich „Unnormale“ oder „Andere“, wie verschiedene Hautfarben oder Diversität, zur Normalität wird und sich durch die wiederholte Darstellung in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft integriert.
Steckt in Ihren Werken also immer auch eine gewisse politische Botschaft?
Ich würde eher sagen, eine ganzheitliche, dialektische Sicht. Das kommt durch die vielen Reisen und dadurch, die Dinge auch mit den Augen anderer Kulturen zu betrachten. Und wenn man das als politisch ansieht, dann ist es von mir aus politisch. Für mich geht es eher um die Selbstverständlichkeit von existenziellen Werten wie Gleichberechtigung, Umweltschutz oder Nachhaltigkeit. Da sind wir auch wieder bei Goethe gelandet, der auch eine ganzheitliche Sichtweise hatte: Alles ist miteinander verbunden und hängt miteinander zusammen. Das wird in unserer rationalen Welt zu oft getrennt und dadurch geht der Blick für das Wesentliche verloren. Natürlich sind das alles Aspekte, die die Politik auch nicht außer Acht lassen darf – Themen wie die Diskrepanz von Armut und Reichtum oder die Notwendigkeit von Bildungsgleichheit, die ja durch die Pandemie jetzt auch noch einmal klarer sichtbar werden.
Sie sprechen die Pandemie gerade an – Wie sehr beeinträchtigt Corona denn aktuell Ihre Arbeit?
Sehr. Zum einen ist ein Treffen mit vielen Leuten nicht möglich. Ich möchte gern im Frühjahr mit der „Waldlife“-Serie fortfahren. Das muss natürliche alles unter den AHA-Regeln stattfinden und das ist nicht so einfach, wenn man im Team arbeitet. Das Arbeiten im Ausland ist nicht möglich. Es gibt zum Beispiel eine Ausstellung in Kalifornien, bei der ich dreidimensionale Fotografien zum Thema Skulptur zeigen wollte; sie wurde nun zum dritten Mal verschoben. Und ob ich überhaupt persönlich vor Ort sein kann, ist noch unklar. Also ich bin von der Situation, wie alle Künstler:innen, sehr betroffen. Auch weil Kunst „live und in Farbe“ einem großen Publikum zu präsentieren nicht möglich ist, wenn die Museen und Galerien geschlossen sind. Für alle Künstler:innen ist es wichtig, dass ihr Werk gesehen wird, insbesondere um ihrer Funktion als Spiegel der Gesellschaft gerecht zu werden.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie dann auch auf die Kunstszene der Zukunft?
Ich denke, es wird sich vieles ins Digitale verlagern. Andererseits ist das, was die Kunstschaffenden auszeichnet, das Vielseitige, Kreative und Haptische. Das kann kein Computer und keine künstliche Intelligenz oder digitale Ausstellung ersetzen. Das, was für die meisten Menschen jetzt in der Pandemie eine neue Herausforderung darstellt, ist für uns Kreative Alltag: flexibel mit Herausforderungen umzugehen und neue Wege zu finden. Kunstschaffende können dabei Entwicklungen aufzeigen und den Weg für das Wesentliche ebnen.
1. März 2021, 12.38 Uhr
Laura Oehl
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Text: Katharina J. Cichosch / Foto: © Lebohang Kganye, Ke bala buka ke apere naeterese II, 2013
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17. November 2024
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