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Goethe – Der Tragödie zweiter Teil
Als ich gestern um kurz vor zwei am Goetheplatz ankam, war ich enttäuscht: Nicht nur, dass die Dramatische Bühne schon mit ihrem Programm angefangen hatte, auch war das restaurierte Goethe-Denkmal bereits enthüllt! War ich etwa zu spät gekommen? Hatte ich etwas verpasst? Es wäre für mich als Praktikant und auch als bekennender Goethe-Fan unverzeihlich gewesen, wenn ich den entscheidenden Akt versäumt hätte (obwohl ich natürlich schon bei der Vorpremiere dabei gewesen war).
Aber nein, Oberbürgermeisterin Petra Roth hatte noch nicht losgelegt, die Dramatische Bühne stimmte das Publikum gerade erst ein. Ich drängte mich unter vielen Entschuldigungen durch die Menschentraube nach vorne, wobei ich gleich zu Beginn den Unmut einiger Rentner einfing, die befürchteten, ich würde mich mit meinen 192 Zentimetern Körpergröße vor sie stellen und ihnen die Sicht auf das Spektakel rauben. „Die Großen nach hinten!“ riefen sie. Eine wütende Oma drängte mich zur Seite, um ein Foto von der Bühne zu machen. Ich wollte mich jedoch nicht auf die Autorität der Presse verlassen und einen Streit anfangen, zumal sich bei Geburtstagen die Familie zusammenzureißen pflegt.
Als Frau Roth auf die Bühne kam und mit ihrer Rede loslegen wollte, stellte sich ein Mann aus dem Publikum vor die Bühne und rief aus: „Goethe gehört auf den Goetheplatz und Schiller gehört auf den Schillerplatz!“ Die Bürgermeisterin pflichtete ihm bei und es gab Applaus. Das musste ja mal jemand sagen, jetzt war es endlich raus! Nur: Welcher Schillerplatz? Wahrscheinlich meinte er den Platz an der Hauptwache, der früher mal so hieß. Aber daran erinnert sich kaum noch einer...
Dann stimmte Frau Roth mit so schönen Phrasen wie „Frankfurt ist Goethestadt“ in die Hosentaschenrhetorik mit ein. Sie erinnerte an die Bedeutung des Dichterfürsten, ganz besonders für Frankfurt (auch wenn man sein Werk im Ausland mehr kennen würde als hierzulande) und hob die Vorzüge des Goetheplatzes hervor, samt Kies und Bäumchen und betonte, dass der Platz keine Baustelle mehr sei. Anscheinend hatte sich die Frau lange nicht mehr umgesehen, denn vor und hinter ihr standen immer noch Bauzäune und der nähere Bereich um das Goethedenkmal lässt auch die Frage aufkommen, ob das schon alles sei. Aber das ist natürlich Ansichtssache, zumal hinter dem Goetheplatz schon der Rathenauplatz kommt und der zählt nicht.
Ein Kapitalfehler passierte ihr jedoch, als sie sagte, es sei der 158. Geburtstag Goethes. Peinlicherweise unterlief mir dieser Fehler auch im letzten Goethe-Blog. Das aufmerksame Publikum korrigierte sofort: „Der 258. Geburtstag!“ Das wusste Frau Roth natürlich so gut wie ich. Was bei mir ein Tippfehler war, war bei ihr ein simpler Versprecher. Zum Beweis lieferte sie das Geburtsjahr gleich hinterher. Die Blogleser waren nicht ganz so aufmerksam...
Nach wenigen Minuten war Frau Roths Ansprache vorbei. Kein An-der-Leine-Ziehen, kein fallendes Tuch, kein tosender Applaus. Nein, das Denkmal stand einfach nur da, belagert von schaulustigen Senioren und musste jeglicher Feierlichkeit entbehren. Warum? Zu teuer, heißt es. Nach der aufwendigen Restaurierung hat es für ein Tuch mit Seil wohl nicht mehr gereicht. Die Dramatische Bühne zog den Karren glücklicherweise wieder aus dem Dreck – und leider wieder in einen anderen hinein.
Zunächst freute ich mich über die übliche Dreistigkeit der Truppe, die sich wieder einmal mehr über das Publikum als über Goethe lustig machte. Aber spätestens als fast nur noch einzelne Szenen aus Faust gezeigt wurden, mochte ich mir die Ohren zuhalten. Nicht nur, dass sie aus jeglichem Kontext gerissen, unterbrochen und uninspiriert aufgeführt waren, auch wurden die Szenen zu einem Best-Of aus „Habenunach“, „Ichbindergeistderstetsverneint“ und „Schönesfräuleindarfichswagen“ zusammengebastelt. Als Mephisto eine geraffte Studierzimmerszene aus Faust I mit den Schlussversen aus Faust II schloss (für alle, die nach Faust I zum Ende vorgeblättert haben), konnte ich mich nur schwer zusammenreißen, nicht zu verzweifeln. Es war ein Mix aus durchgekauten, ausgelutschten und halbverdaut ausgeschiedenen Zitaten zum Mitsprechen – das ist die wahre Popliteratur im schlechtesten Sinne des Wortes.
Die Rentner, die etwa 90 Prozent des Publikums ausmachten, waren natürlich entzückt. Irgendwann driftete der noch zuweilen intelligente Spott in hemmungslosen Klamauk ab, als Thorsten Morawietz im Tanga und Armin Drogat in Strapse Goethe als Musical brachten. Dieses Bild war programmatisch für das ganze Debakel: Die Dramatische Bühne hat sich prostituiert und dabei auch noch unter Wert verkauft. Aber die finanzielle Misere, die das Ensemble beim regengetränkten Freilichtfestival erlitt, zwingt das Theater wohl, für Geld jeden Unsinn mitzumachen. Bestimmt waren sich die Schauspieler dessen durchaus bewusst, man kennt in die Problematik nicht nur aus Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ oder „Wilhelm Meister“. So sagte Morawietz melancholisch zum Abschluss: „Goethe wird mehr zitiert als studiert und sein Platz ist mehr in staubigen Bücherregalen als in den Herzen der Menschen.“ Wir wissen es nun aber besser: Goethes Platz ist auf dem Goetheplatz...
PS: Dass man mit Goethe alles machen kann, ist auch jüngst von Fraport unter Beweis gestellt worden, indem der Flughafenbetreiber sein Bildnis aus dem Städel für seine Ausbau-Propaganda missbraucht hat. Der Mann ist glücklicherweise längst tot, das nicht mehr erleben zu müssen; unglücklicherweise kann er sich dadurch aber auch nicht mehr dagegen wehren.
Aber nein, Oberbürgermeisterin Petra Roth hatte noch nicht losgelegt, die Dramatische Bühne stimmte das Publikum gerade erst ein. Ich drängte mich unter vielen Entschuldigungen durch die Menschentraube nach vorne, wobei ich gleich zu Beginn den Unmut einiger Rentner einfing, die befürchteten, ich würde mich mit meinen 192 Zentimetern Körpergröße vor sie stellen und ihnen die Sicht auf das Spektakel rauben. „Die Großen nach hinten!“ riefen sie. Eine wütende Oma drängte mich zur Seite, um ein Foto von der Bühne zu machen. Ich wollte mich jedoch nicht auf die Autorität der Presse verlassen und einen Streit anfangen, zumal sich bei Geburtstagen die Familie zusammenzureißen pflegt.
Als Frau Roth auf die Bühne kam und mit ihrer Rede loslegen wollte, stellte sich ein Mann aus dem Publikum vor die Bühne und rief aus: „Goethe gehört auf den Goetheplatz und Schiller gehört auf den Schillerplatz!“ Die Bürgermeisterin pflichtete ihm bei und es gab Applaus. Das musste ja mal jemand sagen, jetzt war es endlich raus! Nur: Welcher Schillerplatz? Wahrscheinlich meinte er den Platz an der Hauptwache, der früher mal so hieß. Aber daran erinnert sich kaum noch einer...
Dann stimmte Frau Roth mit so schönen Phrasen wie „Frankfurt ist Goethestadt“ in die Hosentaschenrhetorik mit ein. Sie erinnerte an die Bedeutung des Dichterfürsten, ganz besonders für Frankfurt (auch wenn man sein Werk im Ausland mehr kennen würde als hierzulande) und hob die Vorzüge des Goetheplatzes hervor, samt Kies und Bäumchen und betonte, dass der Platz keine Baustelle mehr sei. Anscheinend hatte sich die Frau lange nicht mehr umgesehen, denn vor und hinter ihr standen immer noch Bauzäune und der nähere Bereich um das Goethedenkmal lässt auch die Frage aufkommen, ob das schon alles sei. Aber das ist natürlich Ansichtssache, zumal hinter dem Goetheplatz schon der Rathenauplatz kommt und der zählt nicht.
Ein Kapitalfehler passierte ihr jedoch, als sie sagte, es sei der 158. Geburtstag Goethes. Peinlicherweise unterlief mir dieser Fehler auch im letzten Goethe-Blog. Das aufmerksame Publikum korrigierte sofort: „Der 258. Geburtstag!“ Das wusste Frau Roth natürlich so gut wie ich. Was bei mir ein Tippfehler war, war bei ihr ein simpler Versprecher. Zum Beweis lieferte sie das Geburtsjahr gleich hinterher. Die Blogleser waren nicht ganz so aufmerksam...
Nach wenigen Minuten war Frau Roths Ansprache vorbei. Kein An-der-Leine-Ziehen, kein fallendes Tuch, kein tosender Applaus. Nein, das Denkmal stand einfach nur da, belagert von schaulustigen Senioren und musste jeglicher Feierlichkeit entbehren. Warum? Zu teuer, heißt es. Nach der aufwendigen Restaurierung hat es für ein Tuch mit Seil wohl nicht mehr gereicht. Die Dramatische Bühne zog den Karren glücklicherweise wieder aus dem Dreck – und leider wieder in einen anderen hinein.
Zunächst freute ich mich über die übliche Dreistigkeit der Truppe, die sich wieder einmal mehr über das Publikum als über Goethe lustig machte. Aber spätestens als fast nur noch einzelne Szenen aus Faust gezeigt wurden, mochte ich mir die Ohren zuhalten. Nicht nur, dass sie aus jeglichem Kontext gerissen, unterbrochen und uninspiriert aufgeführt waren, auch wurden die Szenen zu einem Best-Of aus „Habenunach“, „Ichbindergeistderstetsverneint“ und „Schönesfräuleindarfichswagen“ zusammengebastelt. Als Mephisto eine geraffte Studierzimmerszene aus Faust I mit den Schlussversen aus Faust II schloss (für alle, die nach Faust I zum Ende vorgeblättert haben), konnte ich mich nur schwer zusammenreißen, nicht zu verzweifeln. Es war ein Mix aus durchgekauten, ausgelutschten und halbverdaut ausgeschiedenen Zitaten zum Mitsprechen – das ist die wahre Popliteratur im schlechtesten Sinne des Wortes.
Die Rentner, die etwa 90 Prozent des Publikums ausmachten, waren natürlich entzückt. Irgendwann driftete der noch zuweilen intelligente Spott in hemmungslosen Klamauk ab, als Thorsten Morawietz im Tanga und Armin Drogat in Strapse Goethe als Musical brachten. Dieses Bild war programmatisch für das ganze Debakel: Die Dramatische Bühne hat sich prostituiert und dabei auch noch unter Wert verkauft. Aber die finanzielle Misere, die das Ensemble beim regengetränkten Freilichtfestival erlitt, zwingt das Theater wohl, für Geld jeden Unsinn mitzumachen. Bestimmt waren sich die Schauspieler dessen durchaus bewusst, man kennt in die Problematik nicht nur aus Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ oder „Wilhelm Meister“. So sagte Morawietz melancholisch zum Abschluss: „Goethe wird mehr zitiert als studiert und sein Platz ist mehr in staubigen Bücherregalen als in den Herzen der Menschen.“ Wir wissen es nun aber besser: Goethes Platz ist auf dem Goetheplatz...
PS: Dass man mit Goethe alles machen kann, ist auch jüngst von Fraport unter Beweis gestellt worden, indem der Flughafenbetreiber sein Bildnis aus dem Städel für seine Ausbau-Propaganda missbraucht hat. Der Mann ist glücklicherweise längst tot, das nicht mehr erleben zu müssen; unglücklicherweise kann er sich dadurch aber auch nicht mehr dagegen wehren.
29. August 2007, 15.55 Uhr
the luke
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