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Frankfurter Neuerscheinungen
Küchen, Türme, Haxen
Ab Montag gelten nochmals verschärfte Corona-Maßnahmen in Hessen. Wer Frankfurt dennoch erkunden will, kann dies lesend tun: Wir stellen Frankfurter Autorinnen und Autoren vor, die sich mit der Stadt, ihrer Entwicklung und ihrer Geschichte beschäftigen.
Der Goetheturm steht wieder. Und das bereits zum dritten Mal. Im Jahr 1878 wurde an der Goetheruhe im Sachsenhäuser Stadtwald ein 22 Meter hoher Aussichtsturm gebaut, der wegen Baufälligkeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg wieder abgerissen werden musste und erst 1931 durch den Bau, dessen Optik wir heute kennen, ersetzt wurde. Nach der durch Brandstiftung verursachten Zerstörung des Frankfurter Wahrzeichens im Oktober 2017 steht der neue Turm nun an gleicher Stelle. Etwas heller im Holz, aber ansonsten in der Form charismatisch wie eh und je. Damit ist eine emotionale Lücke geschlossen, denn der Goetheturm war für viele Frankfurter:innen Erinnerungs- und Ausflugsziel zugleich. „Drei Generationen Goetheturm“ heißt das schmale, fadengeheftete Bändchen, das nun im Axel Dielmann Verlag erschienen ist und die Geschichte des Goetheturms anhand von Zeitzeugenberichten, literarischen Zeugnissen und Zeitungsausschnitten rekonstruiert.
Nur wenige Jahre jünger ist ein anderes Objekt, das zwar den Namen der Stadt trägt, aber von einer Wiener Architektin ersonnen wurde. Margarete Schütte-Lihotzky wird mit dem Satz zitiert: „Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden, hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut.“ Die Rede ist von der „Frankfurter Küche“, einem Designobjekt, das seinen Weg schon längst in die großen Museen der Welt gefunden hat. Entworfen hat Schütte-Lihotzky das Modulsystem für das gigantische, 1924 in Angriff genommene Bauprogramm des damaligen Oberbürgermeisters Ludwig Landmann, für das dieser wiederum den Architekten Ernst May zum Stadtbaurat bestimmt hatte. 12 000 Wohnungen und ganze neue Siedlungen, darunter die Römerstadt, der Höhenblick in Ginnheim oder die Heimatsiedlung in Sachsenhausen, sind dabei entstanden. Klaus Klemp, Professor für Designtheorie und Designgeschichte an der HfG Offenbach, und Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst, haben einen informativen und unterhaltsam zu lesenden Sammelband mit dem Titel „Das Neue Frankfurt und die Frankfurter Küche“ herausgegeben, in denen Expertinnen und Experten die Entstehung und die Bedeutung von Schütte-Lihotzkys Entwurf bis in die Gegenwart hinein nachzeichnen.
In diesen Kontext passt auch das neue Buch von Wilhelm von Sternburg. Der versierte Journalist, der von 1989 bis 1993 Chefredakteur des Hessischen Rundfunks war, hat im S. Fischer Verlag ein biografisches Porträt von Ludwig Landmann vorgelegt, in dem von Sternburg die innovatorischen Leistungen Landmanns würdigt. Landmann übte das Amt von 1924 bis zu seiner Absetzung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 aus. Wilhelm von Sternburg zeichnet in seinem äußerst lesenswerten Buch den politischen Weg Landmanns in den Römer nach, fokussiert sich aber vor allem auf das bis heute nachwirkende Bau- und Verkehrskonzept, das seinesgleichen suchte: Landmann ließ die Alte Brücke abreißen und neu bauen, damit der moderne Schiffsverkehr ungehindert passieren konnte. Er trieb den Ausbau des Geländes am Rebstock voran und erkannte die wirtschaftliche Chance des Flughafens für die Stadt. Es war auch ironischerweise der Jude Landmann, der lange vor den Nationalsozialisten den Bau einer kreuzungsfreien Schnellstraße, vulgo: Autobahn, für das Rhein-Main-Gebiet plante.
Das Waldstadion wurde 1925 eingeweiht. Darüber hinaus war Landmann ein engagierter Förderer der Kultur – und ein Mann, der die Stadt aufrichtig liebte. Wilhelm von Sternburg zitiert Landmann mit den Worten: „Drei Elemente, innig gestellt, bedingen Frankfurts Schönheit – Erde, Licht und Wasser.“ Ludwig Landmann starb im März 1945 im niederländischen Exil. Seit 1987 befindet sich sein Grab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.
Der Hauptfriedhof spielt auch in einer anderen Neuerscheinung eine Rolle: Die Journalistin Isabella Caldart, die auch für das JOURNAL FRANKFURT schreibt, unternimmt in dem von ihr herausgegebenen Buch „Frankfurt zum Verweilen“ literarische Ausflüge zu markanten Orten oder Institutionen der Stadt, jeweils eingeleitet durch eine kurze Einführung der Herausgeberin. So erkunden wir mit Matthias Beltz den „negativen Pathos“ des Hessen an sich, streifen mit Eva Demski durch die Kleinmarkthalle, gehen mit Andreas Maier in der Stalburg dessen Kernkompetenz, dem Apfelweintrinken, nach oder besuchen mit Marie Luise Kaschnitz das Senckenberg-Museum. Ein Stadtführer der etwas anderen Art, auch für Einheimische mit Neuentdeckungswert.
Dass die Stadt sich im permanenten Wandel befindet, erkennt man auch an den steigenden Mietpreisen. Die Schriftstellerin Ria Endres lebt seit mehr als 40 Jahren in derselben Mietwohnung in der Lersnerstraße. Der Tag, an dem das Haus verkauft wird, ist der Tag, an dem sich alles ändert. Ria Endres’ Buch „Nordend. Ein Stadtteil wird verkauft“ ist ein von wütender Verzweiflung getragenes Buch, das sich um die Details kümmert, um die sich sonst niemand kümmert: Wer bestimmt in dieser Stadt was? Was macht es mit Menschen, wenn ihr Zuhause bedroht ist? Und: Hat man selbst vielleicht versagt, wenn man nicht, wie viele Freunde, die Mittel dazu hatte, sich rechtzeitig Eigentum zu erwerben? „Nordend“ beschreibt mehr als das, was euphemistisch „Veränderungen im Stadtteil“ genannt wird. Das geht tiefer und endet konsequenterweise mit einem Todesfall.
Nicht im Nordend, sondern tief im Frankfurter Westen, in Höchst, findet sich eine weitere Institution: Der Haxen-Reichert wurde 1935 von Hans Reichert begründet; dessen Sohn Willi baute die Metzger-Dynastie aus, Sohn Thomas führt den Betrieb heute. Dessen Bruder Klaus wiederum, Journalist, Autor, Künstler und HR-Radiomoderator, erzählt in „Fleisch ist mir nicht Wurst“ seine Lebensgeschichte und die des Betriebs vor dem Hintergrund der deutschen Fleischeslust und der Wirtschaftswunderzeit. Zugleich aber reflektiert Klaus Reichert die hochaktuellen Themen Tierwohl, Veganismus und Massentierhaltung, auch vor dem Hintergrund der Corona-Krise, aber stets auf sehr persönliche Weise und in die autobiografische Erzählung eingebunden. Viel Zeit und gute Gründe also zum Lesen und zum Erkunden in den kommenden Tagen.
>> Isabella Caldart (Hg.): Frankfurt zum Verweilen.Reclam Verlag,112 S., 10 €;
Ria Endres: Nordend. Westend Verlag, 124 S., 16 €; Klaus Klemp/Matthias Wagner K (Hg.): Das neue Frankfurt und die Frankfurter Küche. Axel Dielmann Verlag, 172 S., 20 €; Drei Generationen Goetheturm, Axel Dielmann Verlag, 40 S., 9 €; Klaus Reichert: Fleisch ist mir nicht Wurst. Verlag HarperCollins, 192 S., 16 €; Wilhelm von Sternburg: Ludwig Landmann. S. Fischer Verlag, 222 S., 15 €
Dieser Text ist zuerst in der Dezember-Ausgabe (12/2020) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
Nur wenige Jahre jünger ist ein anderes Objekt, das zwar den Namen der Stadt trägt, aber von einer Wiener Architektin ersonnen wurde. Margarete Schütte-Lihotzky wird mit dem Satz zitiert: „Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden, hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut.“ Die Rede ist von der „Frankfurter Küche“, einem Designobjekt, das seinen Weg schon längst in die großen Museen der Welt gefunden hat. Entworfen hat Schütte-Lihotzky das Modulsystem für das gigantische, 1924 in Angriff genommene Bauprogramm des damaligen Oberbürgermeisters Ludwig Landmann, für das dieser wiederum den Architekten Ernst May zum Stadtbaurat bestimmt hatte. 12 000 Wohnungen und ganze neue Siedlungen, darunter die Römerstadt, der Höhenblick in Ginnheim oder die Heimatsiedlung in Sachsenhausen, sind dabei entstanden. Klaus Klemp, Professor für Designtheorie und Designgeschichte an der HfG Offenbach, und Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst, haben einen informativen und unterhaltsam zu lesenden Sammelband mit dem Titel „Das Neue Frankfurt und die Frankfurter Küche“ herausgegeben, in denen Expertinnen und Experten die Entstehung und die Bedeutung von Schütte-Lihotzkys Entwurf bis in die Gegenwart hinein nachzeichnen.
In diesen Kontext passt auch das neue Buch von Wilhelm von Sternburg. Der versierte Journalist, der von 1989 bis 1993 Chefredakteur des Hessischen Rundfunks war, hat im S. Fischer Verlag ein biografisches Porträt von Ludwig Landmann vorgelegt, in dem von Sternburg die innovatorischen Leistungen Landmanns würdigt. Landmann übte das Amt von 1924 bis zu seiner Absetzung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 aus. Wilhelm von Sternburg zeichnet in seinem äußerst lesenswerten Buch den politischen Weg Landmanns in den Römer nach, fokussiert sich aber vor allem auf das bis heute nachwirkende Bau- und Verkehrskonzept, das seinesgleichen suchte: Landmann ließ die Alte Brücke abreißen und neu bauen, damit der moderne Schiffsverkehr ungehindert passieren konnte. Er trieb den Ausbau des Geländes am Rebstock voran und erkannte die wirtschaftliche Chance des Flughafens für die Stadt. Es war auch ironischerweise der Jude Landmann, der lange vor den Nationalsozialisten den Bau einer kreuzungsfreien Schnellstraße, vulgo: Autobahn, für das Rhein-Main-Gebiet plante.
Das Waldstadion wurde 1925 eingeweiht. Darüber hinaus war Landmann ein engagierter Förderer der Kultur – und ein Mann, der die Stadt aufrichtig liebte. Wilhelm von Sternburg zitiert Landmann mit den Worten: „Drei Elemente, innig gestellt, bedingen Frankfurts Schönheit – Erde, Licht und Wasser.“ Ludwig Landmann starb im März 1945 im niederländischen Exil. Seit 1987 befindet sich sein Grab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.
Der Hauptfriedhof spielt auch in einer anderen Neuerscheinung eine Rolle: Die Journalistin Isabella Caldart, die auch für das JOURNAL FRANKFURT schreibt, unternimmt in dem von ihr herausgegebenen Buch „Frankfurt zum Verweilen“ literarische Ausflüge zu markanten Orten oder Institutionen der Stadt, jeweils eingeleitet durch eine kurze Einführung der Herausgeberin. So erkunden wir mit Matthias Beltz den „negativen Pathos“ des Hessen an sich, streifen mit Eva Demski durch die Kleinmarkthalle, gehen mit Andreas Maier in der Stalburg dessen Kernkompetenz, dem Apfelweintrinken, nach oder besuchen mit Marie Luise Kaschnitz das Senckenberg-Museum. Ein Stadtführer der etwas anderen Art, auch für Einheimische mit Neuentdeckungswert.
Dass die Stadt sich im permanenten Wandel befindet, erkennt man auch an den steigenden Mietpreisen. Die Schriftstellerin Ria Endres lebt seit mehr als 40 Jahren in derselben Mietwohnung in der Lersnerstraße. Der Tag, an dem das Haus verkauft wird, ist der Tag, an dem sich alles ändert. Ria Endres’ Buch „Nordend. Ein Stadtteil wird verkauft“ ist ein von wütender Verzweiflung getragenes Buch, das sich um die Details kümmert, um die sich sonst niemand kümmert: Wer bestimmt in dieser Stadt was? Was macht es mit Menschen, wenn ihr Zuhause bedroht ist? Und: Hat man selbst vielleicht versagt, wenn man nicht, wie viele Freunde, die Mittel dazu hatte, sich rechtzeitig Eigentum zu erwerben? „Nordend“ beschreibt mehr als das, was euphemistisch „Veränderungen im Stadtteil“ genannt wird. Das geht tiefer und endet konsequenterweise mit einem Todesfall.
Nicht im Nordend, sondern tief im Frankfurter Westen, in Höchst, findet sich eine weitere Institution: Der Haxen-Reichert wurde 1935 von Hans Reichert begründet; dessen Sohn Willi baute die Metzger-Dynastie aus, Sohn Thomas führt den Betrieb heute. Dessen Bruder Klaus wiederum, Journalist, Autor, Künstler und HR-Radiomoderator, erzählt in „Fleisch ist mir nicht Wurst“ seine Lebensgeschichte und die des Betriebs vor dem Hintergrund der deutschen Fleischeslust und der Wirtschaftswunderzeit. Zugleich aber reflektiert Klaus Reichert die hochaktuellen Themen Tierwohl, Veganismus und Massentierhaltung, auch vor dem Hintergrund der Corona-Krise, aber stets auf sehr persönliche Weise und in die autobiografische Erzählung eingebunden. Viel Zeit und gute Gründe also zum Lesen und zum Erkunden in den kommenden Tagen.
>> Isabella Caldart (Hg.): Frankfurt zum Verweilen.Reclam Verlag,112 S., 10 €;
Ria Endres: Nordend. Westend Verlag, 124 S., 16 €; Klaus Klemp/Matthias Wagner K (Hg.): Das neue Frankfurt und die Frankfurter Küche. Axel Dielmann Verlag, 172 S., 20 €; Drei Generationen Goetheturm, Axel Dielmann Verlag, 40 S., 9 €; Klaus Reichert: Fleisch ist mir nicht Wurst. Verlag HarperCollins, 192 S., 16 €; Wilhelm von Sternburg: Ludwig Landmann. S. Fischer Verlag, 222 S., 15 €
Dieser Text ist zuerst in der Dezember-Ausgabe (12/2020) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
11. Januar 2021, 13.27 Uhr
Christoph Schröder
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23. Dezember 2024
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