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Ein ganz großer Spielplatz
Gestern war ein seltsamer Tag. Ich kam mit der S-Bahn am Kelsterbacher Bahnhof an. Ein paar Jugendliche mit Reisetaschen warteten dort auf den Zug in die Gegenrichtung und unterhielten sich über ihren Wochenendtrip nach Mallorca. Ich verließ den Bahnhof und ging Richtung Wald, immer entlang an stillgelegten Fabriken, halbverfallenen Produktionshallen und bereits brachliegendem Land, gegenüber neue Reihenhäuschen, dann Wohnhochhäuser, dann ein Mainspazierweg. Die Demonstranten warteten am Waldparkplatz auf ein Zeichen der Polizei, losgehen zu dürfen. Sie dachten, dass sie vielleicht Roland Koch den Weg abschneiden könnten, doch für die wichtigen Leute hatte die Fraport Aktiengesellschaft einen anderen Weg planiert, wie ich wenig später sehen konnte, als ein Waldweg an einem doppelten Zaun mit Natostacheldraht endete, dahinter schwarze Limousinen, die in einer Mondlandschaft Staubfahnen hinterließen.
Reden werden geschwungen, das Fernsehen ist da und das Radio und etliche Fotografen. Es macht Klickklick als der DKP-Politiker Rudi Hechler ein Mikrofon in die Hand nimmt, um von den "Verbrechern" zu sprechen, die dies hier zu verantworten hätten. Ins Gefängnis gehörten die, genauso wie die Bankmanager. Applaus, Zustimmung, Hurra. In der Nähe verlassen genervte Lkw-Fahrer ihre Cockpits, die Zufahrt zum Chemiewerk Ticona ist dicht wegen der Demo und den Robin-Wood-Leuten, die sich an einer Brücke angeleint haben. Ein Mann steigt aus seinem Jeep aus und diskutiert mit den Demonstranten, empfiehlt ihnen, sie sollten doch wegziehen, wenn der Flughafen sie so störe, er jedenfalls sei froh, dass dort Arbeitsplätze entstünden, dass die Region nicht vor die Hunde gehe.
Einige hundert Meter weiter steht eine Kette von schwarzgewandeten Polizisten und fragt nach Presseausweisen. Dann Mitarbeiter der FraSec. Dann die Anmeldung, ich bekomme eine Pressemitteilung überreicht und einen einen Lageplan der künftigen Landebahn. Weiße Zelte stehen auf dem Brachland, eine Holzbühne ist aufgebaut, darauf sechs glitzernde Spaten, überall Menschen in gedeckten Anzügen, etwas weiter weg große dunkle Autos. Hinter der Bühne stehen zwei Bagger. Plötzlich Unruhe, Roland Koch ist da. "Na, ist das nicht ein wunderbarer Tag", sagt er und "Ich grüße Dich" hier, "Ich grüße Dich" da.
Der Unternehmenssprecher verliert einige Worte, dann der Ministerpräsident, die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, der Fraport-Chef Wilhelm Bender. Alle sprechen davon, dass die Region gewiss belastet würde, aber dass dies, so sagt es Bender, "Sonderopfer" seien, die ob der großen Prosperität, die diese Landebahn der Region bringe, leider nötig wären. Petra Roth dankt sogar "denen, die da hinten pfeifen". Ausdruck eines demokratischen Prozesses sei das, gut, wenn man seinen Unmut zum Ausdruck bringen könne, aber rechtlich sei alles in Ordnung. Mediationsverfahren, politische Abstimmungen, dann Gerichtsentscheidungen, nun könne endlich gebaut werden, da sei das Eilurteil des Verwaltungsgerichts ganz deutlich gewesen.
Dann nehmen Politiker und Manager ihre Spaten in die Hand und werfen ein wenig Sand in die Luft, weil das ein schönes Bild für die Fotografen gibt. Die Sandkastenspiele für Erwachsene finden schließlich ihren Höhepunkt als sich unser Landesvater in einen Bagger setzt und etwas Erde umwühlen darf. Der Pressesprecher sagt, da gehe jetzt wohl ein Kindheitstraum in Erfüllung. Danach gibt es ein wenig Sekt mitten im Nichts. Und zu Essen auch, ja bleiben Sie doch noch ein wenig, meine Herrschaften.
Ich bleibe nicht, lasse auch den Spielzeugbagger links liegen, den die Gäste zum Abschied geschenkt bekommen. Die Demonstration löst sich auf, einige gehen noch zurück zur Brücke, weil die Polizei die Robin-Wood-Besetzer festnehmen will. Unterwegs pflanzt ein Mann mit Rauschebart einen Baum und spricht "vom ersten Spatenstich zur Wiederaufforstung des Kelsterbacher Waldes". Von den gut 200 Demonstranten bleiben vielleicht 30 bis 40 übrig, setzen sich auf die Straße, die Polizei versucht zu verhandeln, vergeblich. Die Staatsanwaltschaft spricht von Nötigung, weil der Rettungsweg zur Ticona versperrt sei und die Lkw-Fahrer sauer seien. Der Fünf-Sterne-Polizist Seiler macht das Angebot, die Sitzstreikenden laufen zu lassen und nur die Brückenerklimmer erkennungsdienstlich zu behandeln, doch es hört ihm niemand zu, nein, es wird provoziert, einige bringen Sprüche, das habe es 1933 schon einmal gegeben und schwarzuniformierte Polizisten würden wieder über Deutschland herrschen. Zugleich eine kindliche Freude über den bevorstehenden "Zugriff", der kommt dann auch nach über einer Stunde. "Sie müssen uns doch beschützen, wir bezahlen ihr Gehalt", sagen die Protestierer. Dann ist wieder dumpf-paranoid von Stasi und Gestapo die Rede und eine Frau neben mir fragt mich, was ich denn hier mache, privat oder journalistisch, und dann will sie wissen, was ich denn dazu sage, wie die Polizei hier agiere, was ich überhaupt von dem Ganzen hielte. Ich denke nach, doch mir fällt keine Antwort ein. Ich weiß es nicht. Nur ernstnehmen konnte ich diesen Irrsinn nicht, weder auf der einen noch auf der anderen Seite des Zauns.
9. Mai 2009, 10.45 Uhr
Nils Bremer
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