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"Die Frauen haben mehr erreicht als die Männer"

Ein Interview mit Margarethe Nimsch über die Anfänge der Frauenbewegung und die Deutungshoheit über 68.

PflasterStrand: Warum hört man von den Männern wie Dany und Joschka derzeit soviel und von den Frauen sowenig?

Cohn-Bendit und Fischer sind zwei außergewöhnliche Politiker, zwei Ausnahmetalente aus Frankfurt. Die anderen unterscheiden sich in ihren Werdegängen auch nicht von den Frauen. Diese sind Professorinnen, Unternehmerinnen, Ministerinnen, Stadträtinnen oder Architektinnen geworden.

Aber liegt nicht die Deutungshoheit über 68 in männlicher Hand?



Was ist denn mit Deutung gemeint? Die sagen: Wir haben die Gesellschaft verändert. Wenn man sich die Veränderungen aber heute einmal genau besieht, dann haben die Frauen mehr erreicht. Das Wichtigste ist in den Köpfen passiert. Heute würde keiner mehr behaupten, dass Frauen nicht die gleichen Rechte zustehen, dass sie nicht genauso klug sind. Das war damals eben nicht selbstverständlich. Die Rolle der Frau war auf die der Hausfrau festgelegt, auf die der Kindererzieherin. Es gab Ausnahmen, sicher: Frauen aus gutbetuchten Häusern, die Karriere machten. Doch nicht die große Masse. Dieser Bewusstseinswandel hat viel mehr verändert.

Wobei die 68er-Männer ja auch eine Öffnung der Gesellschaft für sich reklamieren. Das hängt ja schon miteinander zusammen ...

... ja, das stimmt. In der Kinderladen-Bewegung war ja auch Dany engagiert. Aber wer das weitergeführt hat, wer die Probleme aufgegriffen hat: das waren wir. Wir haben die Frauenhäuser, die Frauenzentren, die Frauenbuchläden gegründet.

An der vordersten Front der Bewegung standen aber Männer: KD und Frank Wolff etwa.

Deswegen haben wir uns von denen getrennt. Sowohl an der Universität konnten wir uns kein Gehör verschaffen als auch im RK [Revolutionären Kampf]. Das hat uns irgendwann gereicht und wir beschlossen, unsere eigene Politik zu machen. Wir sind ausgezogen und haben in der Bockenheimer Landstraße das erste Frauenfest gefeiert. Dort kamen erste Überlegungen zu den Frauenzentren auf. Das war unsere Politik. Nachdem die grüne Partei 1980 gegründet war, haben wir die Quotierung durchgesetzt. Da bekam ich irgendwann einen Anruf, ob ich nicht Lust hätte, zu kandidieren.
Das ist schon logisch, dass sich das irgendwann wieder zusammenfindet, schließlich waren die 68er-Wortführer nach außen hin zumindest durchaus der Emanzipation aufgeschlossen.
Dass sie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wurden, war offensichtlich. Da kann ich mich an viele Geschichten erinnern.

Erzählen Sie eine.

Ach, eine, bei der ich mich furchtbar geärgert habe: wir waren in einem Restaurant und hatten alle so eine Einheitskluft an. Parka, lange Haare und Turnschuhe. Dann kam eine Familie mit jungen Frauen rein und einer der unsrigen meinte: hach, die bürgerlichen Frauen sind doch so schön. Ich hab mich so aufgeregt, dass ich zu meiner nächsten Geburtstagsfeier richtig hohe Hacken und ein tief ausgeschnittenes Kleid angezogen habe, das wurde Stadtgespräch. Wir waren zusammen auf Demos, haben zusammen Steine geworfen und dann so ein Spruch! Daran sah man, dass die Gleichberechtigung eben doch nicht da war. Auch weil die Männer sich natürlich besonders ins Getümmel gestürzt haben, um uns zu imponieren. Ich hab mit Johnny [Klinke] in einer Wohngemeinschaft gelebt, der kam immer ein bisschen zerschlagen zurück.

Wie sind Sie in die Studentenbewegung reingeraten?

Letztlich auch über die Frauenbewegung. Es gab da so Geschichten. Ich war alleinerziehende Mutter und bin zum Beispiel im Frankfurter Hof nicht bedient worden. Als ich nach der Karte fragte, hieß es, nein, Wir warten noch bis der Herr Gemahl kommt. Und als der nicht kam hat mich der Oberkellner rauskomplimentiert.

Heute kaum vorstellbar.

Ja, nicht wahr? Man ist als Frau auch abends nicht alleine in eine Kneipe gegangen. Das, was man später so als öffentlichen Raum bezeichnet hat, war damals von den Männern dominiert. Es hat sich viel verändert.

Auch an der Uni, oder?

Aber ja. Als ich anfing, Jura zu studieren, schockierten mich die Zustände. Der Juraprofessor machte einen Witz: ein Mann überfährt eine schwangere Frau, die Frau verliert das Kind und dann fragte er: wie kann der Mann den Schaden wiedergutmachen. Eine widerliche, eine blödsinnige Geschichte, aber im Hörsaal wurde gekichert, damals waren wir vielleicht gerade mal 20 Prozent. Den Professor haben wir dann „gesprengt.“

Sehr gut!

Es hieß ja damals noch: die Uni ist der beste Heiratsmarkt, nur deswegen seien wir da. Diese Professoren waren sehr, sehr konservativ. Wie die uns manchmal im Aufzug angeschaut haben – die haben uns nicht ernst genommen. Aber auch die sogenannten niederen Ränge, etwa die Bibliothekarin, die für die männlichen Studierenden immer die Bücher reservierte und rauslegte und für uns Frauen nicht. Es sind lauter kleine Geschichten, die sich da summieren. Zu dieser Zeit entstanden die ersten Zirkel, die sich mit den Freiheitsbewegungen in der Dritten Welt auseinandersetzten, dann mit Vietnam.

War das eine homogene Bewegung?

Durchaus nicht, bei mir kam es auch zum Bruch, wieder so eine Anekdote. Ich saß in meiner WG und lernte fürs erste juristische Examen. Die ganzen Gesetzessammlungen und Kommentare lagen ausgebreitet vor mir, ein Genosse kam rein, wies auf die roten Bände und sagte: „Das schaffen wir alles ab.“ Da entgegnete ich: Wir schaffen nichts ab!

Mit dem radikalen Gesellschaftswechsel hatten Sie’s nicht so, oder?

Wenn man politisch tätig ist, muss man eine gewisse Radikalität haben. Aber vor allem muss muss frau ein eigenes Anliegen haben. Woran haben wir denn wirklich geglaubt? Spätestens mit dem Aufkommen der Baader-Meinhof-Gruppe wurden wir total erschüttert. Aber auch vorher schon gab es Gruppierungen, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. In einem Prozess habe ich noch einen Jungen verteidigt, gerade 18 Jahre alt aus der Berliner Schülerladenbewegung – der konnte selber nicht erklären, warum er da mitgemacht hatte.

Zurück zur Frauenbewegung. Wie hat sich die gebildet?

Es waren zu Beginn nur kleine Gruppen, in denen wir redeten, consciousness raising betrieben und eigentlich die gleichen Dinge beklagten: die politische und die soziale Benachteiligung von Frauen. Das wollten wir auflösen. Ganz wichtig war natürlich der 218, ein großer Kristallisationspunkt. Tja, und heute bin ich im Vorstand von profamilia. Das trifft sich doch.

Kann man nicht sagen, dass die Gesellschaft sich an schon geändert hatte, zum Teil offener geworden ist oder zumindest den Protest erst ermöglicht hat?

Vielleicht wenn man das im Nachhinein sieht, ist das richtig. Doch damals haben wir das nicht wahrgenommen. Das ist so: eine politische Bewegung kann nur durch gesellschaftliche Veränderung entstehen. Eine wichtige Voraussetzung war dabei der relative Wohlstand. Heute geht ja niemand auf die Straße, es macht ja niemand was – außer gegen Studiengebühren. Aber unser Hintergrund war auch ein anderer: wir hatten nie die Sorge, dass wir nicht irgendwann einen Job finden würden. Viele kamen wirklich aus bürgerlichen Verhältnissen, es gab diese Sicherheit. Ich hingegen habe mein Geld ab 16 selbstverdient, aber daraus lässt sich ja auch ein gewisses Selbstbewusstsein ziehen.

Was haben Ihre Eltern gesagt?

Die haben das nicht so mitbekommen.

Es war auch aus heutiger Sicht nur ein Augenblick.

Sicherlich – und er bestand nicht nur aus Protesten, Demos und Hausbesetzungen. Wir haben viel Theorie gelesen, aber auch nicht sehr gründlich. Der Einzige, der das tat, war Fischer, der dafür abtauchte. Irgendwann hat sich die Bewegung verlaufen. Ich habe mein Büro gegründet, irgendwann wurde ich Stadtverordnete, später dann Dezernentin.

Wäre die jugendliche Margarethe Nimsch mit der Politikerin Nimsch zufrieden gewesen?

Wenn man nicht in der politischen Verantwortung steckt, dann sieht Politikmachen von außen immer sehr leicht aus. Das ist das eine. Dann konnte ich nicht gut mit den Medien umgehen. Ich weiß nicht, woran das lag. Vielleicht fehlte mir ein gewisser Narzissmus. Es gibt aber gewisse Schnittpunkte. Frauenprojekte wurden finanziert, später wurde dann die Drogenpolitik zentral. Was bei letzterer gelang, war, dass wir alle, die in irgendeiner Weise mit dem Thema befasst waren, in der Montagsrunde eingebunden haben. Ob das nun die Drogenhilfeeinrichtungen, das Sozialamt oder die Polizei war. Das hätte mich damals schon fast meinen Kopf gekostet bei den Grünen. Und heute vertritt Frau Roth die gleiche Drogenpolitik ...

Darin liegt, finde ich, eine gewisse Ironie: weil Ihre Wiederwahl damals scheiterte, wurde Petra Roth ins Amt gespült.

Na, die SPD hat mich nicht gewählt. Und dann haben sie den Riesenfehler gemacht, dass von Schoeler deswegen zurückgetreten ist und es in einer Direktwahl versuchen wollte.

Aber Petra Roth ist vielleicht auch ein guter Ansatz, steht doch ihre Person auch für den Wandel innerhalb der CDU. So wie Ursula von der Leyen auch.

Das zeigt, dass man mit Frauenthemen heute Wahlen gewinnen kann. Auch Frau Merkel übrigens, die ich traf, als sie Frauenministerin war. Sehr sympathisch, sehr klug.

Und inhaltlich?

Die war richtig gut. Aber es reicht nicht aus, gute Sachpolitik zu machen. Man muss einen Hang zur Macht haben, und den hat sie. Was ich nicht verstehe, wenn Sie sagen: wo sind denn die tollen Frauen? Also das Gros der Männer ist auch nicht so toll.

Margarethe Nimsch arbeitete vor ihrem Jura-Studium als Stewardess und Sekretärin. Sie war Stadtverordnete und von 1989 bis 1995 Dezernentin für Frauen und Gesundheit. Bis 1998 war sie hessische Ministerin für Umwelt und für Jugend, Familie und Gesundheit. Nimsch, Jahrgang 1940, arbeitet als Rechtsanwältin in Frankfurt.

Foto: Harald Schröder
 
Fotogalerie:
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29. April 2008, 11.30 Uhr
Nils Bremer
 
 
 
 
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