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Dichter und Einzelgänger
Werner Söllner – ein Nachruf
Werner Söllner kam 1982 nach Frankfurt und hat das literarische Leben der Stadt über Jahrzehnte mitgeprägt. Nun ist der Schriftsteller, dessen Würde, Mut und Feingefühl ohnegleichen sind, im Alter von 67 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Im Mai dieses Jahres, als die Krebserkrankung und deren Konsequenzen manifest wurden, begann Werner Söllner, sich von seinen Freunden zu verabschieden. In langen E-Mails bedankte er sich für Loyalität, Anerkennung und Wertschätzung. Dieses Verhalten im Vorgefühl des eigenen Endes war charakteristisch für Werner Söllner, einen Menschen mit Würde, Mut und großem Feingefühl.
Söllner wurde 1951 in Horia in Rumänien geboren, als Angehöriger der Gruppe der sogenannten Banatschwaben, der deutschsprachigen Minderheit also. Er studierte in Cluj (zu Deutsch Klausenburg) Germanistik und Anglistik und arbeitete als Redakteur bei der dreisprachigen Studentenzeitschrift „Echinox“. Eine Tätigkeit, die Jahrzehnte später noch weite Kreise ziehen sollte. Für kurze Zeit arbeitet Söllner in Bukarest als Lehrer, dann sechs Jahre lang als Lektor in einem Kinderbuchverlag. 1982 siedelte er dann in die Bundesrepublik um und kam nach Frankfurt. „Was ich bei allen Veränderungen, die die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat, immer noch schätze: Frankfurt lässt einen in Ruhe.“ So hat er es in einem Gespräch einmal ausgedrückt. An anderen Orten, so Söllner, die er kenne, herrsche ein sozialer Zwang, ein erzwungenes Zusammengehörigkeitsgefühl unter Schriftstellern. Hier sei das anders. Sicher, Söllner lernte, auch über den Verband der Schriftsteller, Frankfurter Kollegen kennen und schätzen: Harry Oberländer, Paulus Böhmer, Alban Nikolai Herbst und andere. Und trotzdem war sein Bedürfnis nach Rückzug nie gefährdet.
Die Biografie Werner Söllners ist eine eng verschlungene Helix aus Privatem, Politischem und Künstlerischem. Söllner driftete ab. Eine hoch komplizierte Ehe mit einer psychisch kranken Frau, die ihn selbst wiederum gesundheitlich nach unten zog. 1997 und 1998 verbrachte er insgesamt acht Monate in den USA, hatte Lehraufträge in New Hampshire und in Ohio. Bereits Ende 1996 hatte er begonnen, als freier Mitarbeiter im Hessischen Literaturbüro im Mousonturm, wie es seinerzeit noch hieß, zu arbeiten. Als dessen Leiter Paulus Böhmer 2002 in Rente ging, wurde Söllner Böhmers Nachfolger. Söllner taufte das Literaturbüro in Literaturforum um. Zu den Aufgaben des Literaturforums gehört nicht nur die Organisation von Lesungen, sondern auch die Nachwuchsförderung in Schreibseminaren und –wettbewerben.
Man kann nicht über Werner Söllner sprechen, ohne über den dunklen Punkt in seiner Biografie zu sprechen. Es lässt sich ohnehin überall nachlesen. Im Dezember 2009 war er auf einer Tagung in München nach vorne getreten. Auf der Tagung sollte es um deutschrumänische Schriftsteller und deren Securitate-Akten gehen. Söllner legte ein Geständnis ab: Er habe, so Söllner, in den frühen 70er Jahren, während seiner Zeit als Redakteur bei der Studentenzeitschrift, mit der Securitate zusammen gearbeitet. Man habe Gutachten von ihm verlangt über die Arbeit von Kollegen, man habe Informationen abgefragt über Zusammenkünfte und Lebenseinstellungen. Die Sätze, die Werner Söllner während der Tagung sprach, sind, wenn man sie genau betrachtet, verstörend, weil sie Zeugnis über einen Menschen ablegen, der unter seinen Schuldgefühlen mehr gelitten hat als jeder andere Mensch unter seiner vermeintlichen Geheimdiensttätigkeit. Wer genau hingeschaut hat, konnte sehen, dass es nicht nur die eine, sondern viele Wahrheiten gibt. Kurz nach der Tagung in München hat Werner Söllner, auch unter dem öffentlichen politischen Druck, dem Vorstand des Hessischen Literaturforums seine schriftliche Kündigung vorgelegt. Zwei Monate später wurde Harry Oberländer sein Nachfolger; Söllner ist dem Haus als freier Mitarbeiter verbunden geblieben.
Werner Söllner hat als Lyriker stets in der Tradition des großen dunklen Dichters Paul Celan gearbeitet. Mit seinen beiden Gedichtbänden „Der Schlaf des Trommlers“ und „Kopfland.Passagen“ hatte er sich Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit verschafft. Er galt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Lyriker. Danach verstummte er lange. Jeder, so erzählte er es, setze in seinem Leben andere Prioritäten. Die Anbindung an den Literaturbetrieb, das Veröffentlichen seien ihm nicht mehr so wichtig gewesen — bis er im Jahr 2015 in der Edition Faust mit dem Band „Knochenmusik“ einen allseits gefeierten neuen Gedichtband vorlegte. Die Summe seines Schreibens aus 23 Jahren. Dort heißt es in einem Gedicht: „Jede Nacht, pünktlich/um drei, weckt mich/die Wahrheit./Und ich erschrecke/davor, liege schlaflos im Dunkeln/und frage: Ist es meine Wahrheit, vor der/ich erschrecke, oder ist es/die Wahrheit der andern? Und welche/von beiden ist schlimmer?“ Die Gespenster seiner Vergangenheit haben Werner Söllner nie mehr losgelassen. Wie seine Frau Susanne nun mitgeteilt hat, ist Werner Söllner am vergangenen Freitag gestorben. Er wurde 67 Jahre alt. Die Stadt Frankfurt, und nicht nur sie, verliert einen bedeutenden Dichter und einen wunderbaren Menschen.
Söllner wurde 1951 in Horia in Rumänien geboren, als Angehöriger der Gruppe der sogenannten Banatschwaben, der deutschsprachigen Minderheit also. Er studierte in Cluj (zu Deutsch Klausenburg) Germanistik und Anglistik und arbeitete als Redakteur bei der dreisprachigen Studentenzeitschrift „Echinox“. Eine Tätigkeit, die Jahrzehnte später noch weite Kreise ziehen sollte. Für kurze Zeit arbeitet Söllner in Bukarest als Lehrer, dann sechs Jahre lang als Lektor in einem Kinderbuchverlag. 1982 siedelte er dann in die Bundesrepublik um und kam nach Frankfurt. „Was ich bei allen Veränderungen, die die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat, immer noch schätze: Frankfurt lässt einen in Ruhe.“ So hat er es in einem Gespräch einmal ausgedrückt. An anderen Orten, so Söllner, die er kenne, herrsche ein sozialer Zwang, ein erzwungenes Zusammengehörigkeitsgefühl unter Schriftstellern. Hier sei das anders. Sicher, Söllner lernte, auch über den Verband der Schriftsteller, Frankfurter Kollegen kennen und schätzen: Harry Oberländer, Paulus Böhmer, Alban Nikolai Herbst und andere. Und trotzdem war sein Bedürfnis nach Rückzug nie gefährdet.
Die Biografie Werner Söllners ist eine eng verschlungene Helix aus Privatem, Politischem und Künstlerischem. Söllner driftete ab. Eine hoch komplizierte Ehe mit einer psychisch kranken Frau, die ihn selbst wiederum gesundheitlich nach unten zog. 1997 und 1998 verbrachte er insgesamt acht Monate in den USA, hatte Lehraufträge in New Hampshire und in Ohio. Bereits Ende 1996 hatte er begonnen, als freier Mitarbeiter im Hessischen Literaturbüro im Mousonturm, wie es seinerzeit noch hieß, zu arbeiten. Als dessen Leiter Paulus Böhmer 2002 in Rente ging, wurde Söllner Böhmers Nachfolger. Söllner taufte das Literaturbüro in Literaturforum um. Zu den Aufgaben des Literaturforums gehört nicht nur die Organisation von Lesungen, sondern auch die Nachwuchsförderung in Schreibseminaren und –wettbewerben.
Man kann nicht über Werner Söllner sprechen, ohne über den dunklen Punkt in seiner Biografie zu sprechen. Es lässt sich ohnehin überall nachlesen. Im Dezember 2009 war er auf einer Tagung in München nach vorne getreten. Auf der Tagung sollte es um deutschrumänische Schriftsteller und deren Securitate-Akten gehen. Söllner legte ein Geständnis ab: Er habe, so Söllner, in den frühen 70er Jahren, während seiner Zeit als Redakteur bei der Studentenzeitschrift, mit der Securitate zusammen gearbeitet. Man habe Gutachten von ihm verlangt über die Arbeit von Kollegen, man habe Informationen abgefragt über Zusammenkünfte und Lebenseinstellungen. Die Sätze, die Werner Söllner während der Tagung sprach, sind, wenn man sie genau betrachtet, verstörend, weil sie Zeugnis über einen Menschen ablegen, der unter seinen Schuldgefühlen mehr gelitten hat als jeder andere Mensch unter seiner vermeintlichen Geheimdiensttätigkeit. Wer genau hingeschaut hat, konnte sehen, dass es nicht nur die eine, sondern viele Wahrheiten gibt. Kurz nach der Tagung in München hat Werner Söllner, auch unter dem öffentlichen politischen Druck, dem Vorstand des Hessischen Literaturforums seine schriftliche Kündigung vorgelegt. Zwei Monate später wurde Harry Oberländer sein Nachfolger; Söllner ist dem Haus als freier Mitarbeiter verbunden geblieben.
Werner Söllner hat als Lyriker stets in der Tradition des großen dunklen Dichters Paul Celan gearbeitet. Mit seinen beiden Gedichtbänden „Der Schlaf des Trommlers“ und „Kopfland.Passagen“ hatte er sich Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit verschafft. Er galt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Lyriker. Danach verstummte er lange. Jeder, so erzählte er es, setze in seinem Leben andere Prioritäten. Die Anbindung an den Literaturbetrieb, das Veröffentlichen seien ihm nicht mehr so wichtig gewesen — bis er im Jahr 2015 in der Edition Faust mit dem Band „Knochenmusik“ einen allseits gefeierten neuen Gedichtband vorlegte. Die Summe seines Schreibens aus 23 Jahren. Dort heißt es in einem Gedicht: „Jede Nacht, pünktlich/um drei, weckt mich/die Wahrheit./Und ich erschrecke/davor, liege schlaflos im Dunkeln/und frage: Ist es meine Wahrheit, vor der/ich erschrecke, oder ist es/die Wahrheit der andern? Und welche/von beiden ist schlimmer?“ Die Gespenster seiner Vergangenheit haben Werner Söllner nie mehr losgelassen. Wie seine Frau Susanne nun mitgeteilt hat, ist Werner Söllner am vergangenen Freitag gestorben. Er wurde 67 Jahre alt. Die Stadt Frankfurt, und nicht nur sie, verliert einen bedeutenden Dichter und einen wunderbaren Menschen.
22. Juli 2019, 13.02 Uhr
Christoph Schröder
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17. November 2024
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