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Blockfestival in der Niddastraße

Mikrokosmos auf 100 Yards

Das Block-Festival "100 Yards" in der Niddastraße soll das Bahnhofsviertel in ein anderes Licht tauchen. Dabei ist gerade das Spannungsfeld zwischen altem Pelzhandel und neuen Kreativen so brisant.
„100 Yards“, so nennt sich Deutschlands erstes Block-Festival, das am 30. Juni in Frankfurt abgehalten wird. „Ausgerechnet in der Niddastraße?“, denkt man vielleicht erst und wird bei einem genaueren Blick auf die tatsächlich eher 85 Meter lange Strecke, die die Düsseldorfer Straße mit der Karlstraße verbindet, eines Besseren belehrt. Denn: Wo sonst treffen Tradition und Moderne so versteckt und doch faszinierend aufeinander? „Wir wollen mit dem Festival zeigen: Subkultur passiert da, wo man’s gar nicht erwartet“, sagt Gastronom James Ardinast von IMA, einer der Mit­initiatoren des Festivals, zu dem rund 3000 Besucher erwartet werden.

Also nichts wie hin. Zwischen einem Kiosk und einem Ethnoschönheitsladen auf der Düsseldorfer Straße betreten wir einen Durchgang. Hier beginnt er, der Mikrokosmos Niddastraße. Eine Insel, abgetrennt durch Querstraßen mit außergewöhnlichen Bewohnern. Die Sackgasse wirkt zunächst recht trist, um ehrlich zu sein. Bis auf den Main Tower, der alles auf der Niddastraße zu überragen scheint. Laufkundschaft gibt es hier wohl eher nicht. Stattdessen hocken zwei Frauen auf einer Treppenstufe und schmauchen ihr Crackpfeifchen.

Wir beginnen die Klingelschilder an den Eingangstüren zu lesen und finden Wörter, die in Zeiten des verstärkten Tierschutzes zunehmend in Vergessenheit geraten und doch zu einer alten Tradition gehören: Rauchwaren und Kürschner. Ein Mann, der zwei Pelze geschultert hat, läuft an uns vorbei. In manchen Läden entdecken wir Felle, die von der Decke hängen. Rund 50 Betriebe aus der Pelzbranche findet man noch hier, ganz dicht aneinandergereiht. Doch warum hier und so viele in direkter Konkurrenz? Wir fragen nach beim Deutschen Pelz Institut, das natürlich auch in der Niddastraße sitzt, und erfahren, dass viele Leute aus der Pelzbranche nach dem Zweiten Weltkrieg von Leipzig nach Frankfurt übersiedelten, wo Deutschlands Zentrum der Rauchwarenindustrie entstand. Der damalige Oberbürgermeister Walter Kolb hatte die Gewerbesteuer im Blick und lockte deshalb die Pelzbranche an den Main. „Die Nähe zum Hauptbahnhof war ideal, um Handel zu treiben, die Grundstücke waren günstig und die Gebäude mit ihren Innenhöfen waren hell – also ideal, um Fell zu begutachten“, erklärt Susanne Kolb-Wachtel, Geschäftsführerin des Pelz Instituts. „Da viele Händler aus Leipzig oder anderen Orten in eine neue Stadt kamen, rückten sie zusammen, so war auch das Angebot gebündelt an einem Ort. Die Niddastraße als kleiner Messeplatz. Das kann man sich heute in den Dimensionen nicht mehr vorstellen.“

Die Reihen der Kürschner haben sich nach der Pelz-Hochzeit in den 70ern gelichtet. Rauchwarenhändler bevorzugen großzügige Showrooms und ziehen fort, die Alteingesessenen an der Niddastraße sterben irgendwann weg. „In der Pelzbranche geht niemand mit 65 Jahren in Rente, viel zu sehr vermisst man im Ruhestand den Zusammenhalt der Branche.“ Die frei werdenden und noch stets günstigen Ladenflächen dienen nun vermehrt der Kreativbranche und anderen Büronutzern. Die Klingelschilder auf der Niddastraßeninsel sind vielseitig: Rosa-Luxemburg- und Heinrich-Böll-Stiftung, Stilbüro Bora.Herke, Pandora Film, das eDit Film Makers Festival hat dort sein Büro und auch die Werbeagentur Burn the Bunny. Ja, die Niddastraße wird im Schatten des 25hours Hotels nebst Konzernzentrale des Jeansfabrikanten Levi’s richtig hip. Im Showroom des Modeherstellers kann das Fachpublikum sehen, dass auch Jeans Statussymbole sein können, fast so, wie es einst Pelzmäntel waren.

Wir schauen staunend hoch zum Kronenhochhaus, das sich dämonisch über seine Nachbarschaft erhebt. Das 25hours Jeanshotel sieht von außen immer noch aus wie ein Lieferkarton, innendrin sitzen Gäste an beschlagenen Kupfertischen bei IMA und nebenan machen wir eine Neuentdeckung. Ein stylisher Fahrradladen namens Stilrad ist als Untermieter von Levi’s eingezogen. Ein Rad aus Bambusrohr im Schaufenster zieht uns gleich in seinen Bann. Die Geschäftsführerin Nina Hegner klärt uns auf, dass die Herstellung dieses Modells sechs Wochen beansprucht, all das ein Hilfsprojekt ist, weil der Rahmen in Sambia gefertigt wird. 2500 Euro sind ein stolzer Preis. Mit 600 Euro in der Tasche findet man bei Stilrad aber auch schon ein Velo und es gibt Radlerjeans und -jacken von Levi’s. Die wasserabweisenden Hosen sind elastisch und verstärkt, die Jacken am Rücken länger.

Wegen der Jeansmarke hat sich das Unternehmen in Frankfurt ausgerechnet in der Niddastraße niedergelassen. „Wir verkaufen Special-Interest-Produkte und benötigen daher keine 1a-Lage“, sagt Nina Hegner. „Natürlich ist es charmant, dass das Hotel direkt angrenzt, und die Agenturen in der Nachbarschaft bilden das kreative Umfeld, aus dem viele Designliebhaber, also auch potenzielle Kunden stammen.“ Das Anliegen von Stadtrat Markus Frank, der die Schirmherrschaft für „100 Yards“ übernommen hat, könnte sich damit wohl auch erfüllen. Er wünscht sich, dass das Block-Festival die kreativen Köpfe des Viertels zusammenbringt und dass die Frankfurter dazu ermuntert werden, die Vielseitigkeit des Viertels zu erkunden.

100 Yards – das Festival
Noch zentraler waren nur die Open Airs vor der Alten Oper – Mainstream in der Sommerarena mitten in der Stadt und im Schatten der Hochkultur. Doch das ist Geschichte. Eine goldene Zukunft wünschen sich indes die Initiatoren von 100 Yards, Deutschlands erstem Block-Festival, das am 30. Juni veranstaltet wird. Block wie Häuserblock, hier die Neighbourhood in der Niddastraße 54–68. Und die Anrainer, die Gastronomen von IMA, die Kreativagentur Yosoy Music, das 25hours Hotel und als Sponsor die Jeans-Erfinder von Levi’s, wollen direkt vor ihren Haustüren helfen, das Bahnhofsviertel (sub)kulturell zu beleben. Mit viel Kreativität, mehreren Bands und DJs für 3000 Menschen in der urbanen Location des Niddasacks. Ein „bunt gefärbtes Line-up“ verspricht James Ardinast (IMA) beim „open-minded Festival“ (Tickets: 49 Euro). Auletta aus Mainz spielen frischen Gitarrenpop, die Girls von Laing aus Berlin überraschen mit deutschsprachiger Electro-Melancholie, Breakbot aus Paris steht für elektronische Tanzmusik, Azari & III bringen Torontos Underground an den Main und Headliner Nas gilt als der Poet unter New Yorks Hip-Hoppern. Als letzter bestätigter Act haben sich zudem jüngst die Rapper von The Pharcyde angekündigt.

Eine Version dieses Artikels erschien unter der Überschrift "Mikrokosmos in der Sackgasse" im Journal Frankfurt in der Ausgabe vom 19. Juni 2012.
 
Fotogalerie: Niddastraße
 
26. Juni 2012, 10.45 Uhr
Nicole Brevoord und Detlef Kinsler
 
 
 
 
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