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Ausstellung in der Schirn

Welt in Aufruhr

Die Schirn Kunsthalle zeigt eine bislang wenig beachtete Seite des Künstlers Marc Chagall: seine Arbeiten der 30er- und 40er-Jahre, in denen sich unter dem Eindruck des Weltgeschehens die Farbpalette zunehmend verdunkelte.
Was kennen Sie von Marc Chagall? Vermutlich seine mythischen, poetischen Bilder in Blautönen, deren Motive oft als Poster oder Postkarten verkauft werden. „Marc Chagall ist vermutlich einer der verkanntesten und am häufigsten reproduzierten Künstler“, sagt Schirn-Direktor Sebastian Baden, und gleichzeitig einer der wichtigsten der europäischen Moderne. Eine bislang wenig beachtete Phase seines Schaffens wird nun in einer großen Ausstellung in der Schirn Kunsthalle beleuchtet. „Welt in Aufruhr“ lautet der Titel, und er beschreibt ja nicht nur die Zeit, in der sich Chagalls Farbpalette verdunkelte, sondern auch unsere Lebenswelt heute.

„Beim Gang durch die Ausstellung müssen Sie die deutsche Brille abnehmen“, sagt Kuratorin Ilka Voermann. Die ausgewählte Schaffensphase von 1930 bis 1948 orientiert sich nicht an Kriegsanfang und -ende, sondern zeigt darüber hinaus sein ambivalentes Werk, das nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden ist. Als jüdischer Künstler war Marc Chagall (1887-1985) Zeit seines Lebens Bedrohungen ausgesetzt: Schon in seiner Kindheit erlebte der in Witebsk geborene Maler Pogrome, später beeinflussten die russische Oktoberrevolution und die Shoah sein Werk. Flucht und Vertreibung zogen sich durch sein Leben, eine besondere Rolle spielt in seiner Arbeit das Motiv der Kreuzigung. Hier findet er ein persönliches Motiv, mit dem er die Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Europa thematisiert.

Der „Engelsturz“ ist das programmatischste Werk der Ausstellung, die Datierung nennt drei verschiedene Vollendungszeitpunkte: 1923-1933-1947. Die erste Version ist vermutlich kurz nach Chagalls Rückkehr nach Paris entstanden, wo es ihn immer wieder hinzog. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nahm Chagall die Arbeit am „Engelsturz“ wieder auf und schließt sie dann 1947 kurz vor seiner Rückkehr aus dem Exil ab. Chagall bezeichnete das Werk nach 1945 als „das erste Bild der Serie von Vorahnungen“. Die finale Version ist deutlich dunkler, von der ersten Fassung existiert eine Gouache, von der zweiten Fotografien. Zudem ist das Motiv der Kreuzigung hinzugefügt worden. Der stürzende Engel mit weiblichen Zügen ist knallrot und scheint vor dem zu erschrecken, was er auf der Erde erblickt: Die Welt ist in Aufruhr.

Die Ausstellung endet mit dem Kapitel „Blick nach vorne“. Marc Chagall befand sich in den USA, doch der Verlust seiner Frau Bella, die überraschend verstorben war, wog schwer, obwohl er in seiner Haushälterin eine neue Partnerin gefunden hatte. In zahlreichen Gemälden portraitierte er sich und Bella als schwebendes, innig verbundenes Liebespaar. Zudem zögerte er, nach Europa zurückzugehen. Chagalls Zerrissenheit wird in den Werken, die vor seiner Rückkehr nach Frankreich 1948 entstanden sind, greifbar. Zum einen thematisiert er die Ermordung der Juden und seine Sorge über die Zukunft Europas, zum anderen wird eine Veränderung der Farbigkeit bemerkbar. Sein innerer Aufruhr zeigt sich an den doppelgesichtigen Portraits, fast janusköpfig erscheint Chagalls Gesicht, das er mit dem von Bella verbindet. Im August 1948 verlässt der Maler sein Exil und kehrt mit seiner Lebensgefährtin Virginia Haggard nach Frankreich zurück, wo er in Saint-Paul-de-Vence als fast Hundertjähriger stirbt.

>> „Chagall. Welt in Aufruhr“, Ausstellung in der Schirn Kunsthalle, 4. November 2022 bis 19. Februar 2023, Tickets und weitere Infos gibt es auf der Website der Schirn.
 
Fotogalerie:
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3. November 2022, 17.10 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
 
 
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