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Ausstellung „Klangraum“ im Dommuseum
Erwartung und Erinnerung
Historie, Wissenschaft, Emotion, Utopie – in diesen Stationen setzt sich Sarah Bonnert mit der neuen Altstadt auseinander. In ihrer Ausstellung im Dommuseum macht sie das Thema hörbar – indem sie ganz auf Klänge setzt.
Bis zum 25. November ist im Dommuseum die Ausstellung „Vom Versuch eine Altstadt zu bauen. Klangraum“ zu sehen. Betritt man den Kreuzgang des Doms, in dem Sarah Bonnerts Arbeit zu sehen ist, fällt zuerst der Fußboden auf.
Eine große Skizze in Schwarz-Weiß markiert die quadratische Ausstellungsfläche. Basierend auf einer historischen Karte der Frankfurter Altstadt vor deren Zerstörung dient die Zeichnung der Orientierung und gleichzeitig der Verortung. An vier Stationen sitzen die Besucher quasi in den Häusern der Altstadt und hören den Stimmen von Frankfurtern Bürgern zu, die aus den Lautsprechern dringen. Alle sprechen über ihre Beziehung zur neuen Altstadt, über ihre Erinnerungen an das Vergangene, über Hoffnungen und Erwartungen an das geplante Areal zwischen Dom und Römer. Ganz unterschiedliche Menschen kommen im „Klangraum“ zu Wort: Architekten, Wissenschaftler, der ehemalige Bürgermeister Olaf Cunitz.
Klänge statt Bilder
Da die gesamte Debatte um die Altstadt stark über Bilder legitimiert werde, habe sie sich bewusst entschieden, den Bildern durch ihr aktuelles Projekt Töne entgegenzusetzen. „Was steht hinter den Bildern, was sind die Ängste, Hoffnungen und Emotionen der Menschen, die sich die Altstadt wünschen?“ seien ihre Fragen gewesen. In den Tönen der Ausstellung geben emotionale und analytische Argumentationen die Antwort.
Jahrelang sammelte Bonnert Stimmen von Frankfurter Bürgern ein und befragte sie zur geplanten neuen Altstadt. Beim Hören des gesamten Interviewmaterials sei ihr dann die „Vielschichtigkeit des Gesagten“ bewusst geworden und es hätten sich die vier Bereiche herauskristallisiert, nach denen ihre Ausstellung aufgebaut ist: Utopie, Emotion, Historie und Wissenschaft.
Intimes Hörerlebnis
Immer zwei Stationen sind im Dommuseum parallel aktiv, „dadurch sind unterschiedliche Perspektiven gleichzeitig erfahrbar“, erklärt Bonnert ihr Konzept. Baustellen-Geräusche im Hintergrund, in Zusammenarbeit mit Sounddesigner Björn SC Deigner entstanden, begleiten die Töne der Frankfurter Bürger. Alle vier Minuten erklingen die Glocken vom Dom als Unterbrechung und erlauben dem Besucher, sich im Raum zu bewegen und die Station zu wechseln. Dem Besucher bietet sich ein sehr intimes Hörerlebnis und er ist gezwungen, sich nah neben die Lautsprecher zu setzen und den teils sehr emotionalen Worten zu lauschen. Bonnert erzählt von „sehr persönlichen und offenen“ Gesprächen und ergänzt: „Die Interviews geben einen Einblick in die Seele der Stadt.“
Langzeitprojekt seit 2009
Die aktuelle Ausstellung im Dommuseum ist Teil von Bonnerts Langzeitprojekt „Alte Stadt aus neuen Häusern“. In der ersten Phase standen das Technische Rathaus und dessen Abriss im Mittelpunkt. Die Künstlerin kam 2009 ganz zufällig auf die Idee, sich mit dem streitbaren Gebäude zu befassen. „Es ging eigentlich um etwas ganz anderes. Ich kam gerade von der Kunsthochschule in England zurück nach Frankfurt und war auf der Suche nach einem Atelier“, erzählt Bonnert. Durch einen Tipp wurde sie auf das Technische Rathaus aufmerksam und erfuhr, dass der Bau einer Altstadt weichen sollte: „Das Gebäude war cool. Ich fand es wirklich schade, dass es abgerissen werden sollte.“ Sie sei von dem Bau fasziniert gewesen, gerade weil es inmitten der Stadt so deplatziert wirkte. Mit dem Abriss sei ein Stück Lebensumfeld genommen worden. Die Pläne der Altstadt seien damals von vielen Menschen nur positiv aufgenommen worden, das Technische Rathaus schien für viele abkömmlich zu sein. Bonnert wollte der Debatte etwas entgegensetzten. Sie stellte sich die Frage: Wie geht eine Stadt mit der Erinnerung, mit seiner Geschichte um?
Nachruf auf das Technische Rathaus
„Ich wollte dem emotional begegnen, dem sonst nicht emotional begegnet wurde“, sagt die Künstlerin über ihre Intention. Sie installierte zwei Kameras am Dom und auf der Schirn, um die Veränderung der Baustelle festzuhalten, stündlich entsteht seitdem ein Foto. Ihr umfangreiches Material nutzte sie bereits für ein Daumenkino und einen kurzen Film, der das Verschwinden des Technischen Rathauses im Zeitraffer zeigt. Gleichzeitig begann sie, Menschen mit einer emotionalen Verbundenheit zum Technischen Rathaus zu suchen, um dem Gebäude einen Abschied zu geben. Von einem „Nachruf“ spricht Bonnert heute. Sie interviewte einen der Architekten des Rathauses, einen Kioskbesitzer, Menschen, die im Gebäude gearbeitet haben. Gegner und Verfechter der neuen Altstadt kamen zu Wort. Mehr als dreißig Frankfurter Bürger hat Bonnert seitdem interviewt, der Fragenkatalog hat sich in all den Jahren nicht verändert.
Jetzt, wo das Technische Rathaus abgerissen ist, liegt der Fokus von Bonnerts Arbeiten auf dem Wiederaufbau der Altstadt. Dass ihr künstlerisches Projekt aus zwei Phasen bestehen würde und erst mit der Fertigstellung des Dom-Römer-Areals enden soll, war der jungen Frau von Anfang an klar. Sie überlegt in Zukunft noch ein Radiofeature zum Thema zu erstellen.
Anfangs kritische Haltung zur Altstadt
Dabei hatte sich Bonnert mit dem Wiederaufbau der Altstadt sehr schwergetan. Sie stand dem Projekt kritisch gegenüber: „Ein Teil der Vergangenheit war ausgelöscht und Vergangenheit ist nicht wieder herstellbar.“ Sie hätte sich über andere Pläne in dem Dom-Römer-Areal gefreut. Statt Fachwerkhäusern hätte sie eine Freifläche, einen Park an der Stelle des Technischen Rathauses begrüßt – einen „Ort des Innenhaltens, des Erinnerns“. Erst der Freiraum hätte das Fehlen einer Altstadt bewusst gemacht. Doch mit der Zeit und durch ihre Interviews habe sie die Stadt und deren Bewohner besser verstanden: „Je mehr Menschen ich getroffen habe, die mit dem Projekt etwas verbunden haben, umso mehr habe ich gemerkt, wie berechtigt diese Sehnsucht ist, warum die Leute die Altstadt wollen.“
>> Sarah Bonnert: Vom Versuch, eine Altstadt zu bauen. Klangraum, 9.-25. November, Dommuseum, Domplatz 3, Di-Fr 10-17 Uhr, Sa+So 11-17 Uhr, www.dommuseum-frankfurt.de
Eine große Skizze in Schwarz-Weiß markiert die quadratische Ausstellungsfläche. Basierend auf einer historischen Karte der Frankfurter Altstadt vor deren Zerstörung dient die Zeichnung der Orientierung und gleichzeitig der Verortung. An vier Stationen sitzen die Besucher quasi in den Häusern der Altstadt und hören den Stimmen von Frankfurtern Bürgern zu, die aus den Lautsprechern dringen. Alle sprechen über ihre Beziehung zur neuen Altstadt, über ihre Erinnerungen an das Vergangene, über Hoffnungen und Erwartungen an das geplante Areal zwischen Dom und Römer. Ganz unterschiedliche Menschen kommen im „Klangraum“ zu Wort: Architekten, Wissenschaftler, der ehemalige Bürgermeister Olaf Cunitz.
Klänge statt Bilder
Da die gesamte Debatte um die Altstadt stark über Bilder legitimiert werde, habe sie sich bewusst entschieden, den Bildern durch ihr aktuelles Projekt Töne entgegenzusetzen. „Was steht hinter den Bildern, was sind die Ängste, Hoffnungen und Emotionen der Menschen, die sich die Altstadt wünschen?“ seien ihre Fragen gewesen. In den Tönen der Ausstellung geben emotionale und analytische Argumentationen die Antwort.
Jahrelang sammelte Bonnert Stimmen von Frankfurter Bürgern ein und befragte sie zur geplanten neuen Altstadt. Beim Hören des gesamten Interviewmaterials sei ihr dann die „Vielschichtigkeit des Gesagten“ bewusst geworden und es hätten sich die vier Bereiche herauskristallisiert, nach denen ihre Ausstellung aufgebaut ist: Utopie, Emotion, Historie und Wissenschaft.
Intimes Hörerlebnis
Immer zwei Stationen sind im Dommuseum parallel aktiv, „dadurch sind unterschiedliche Perspektiven gleichzeitig erfahrbar“, erklärt Bonnert ihr Konzept. Baustellen-Geräusche im Hintergrund, in Zusammenarbeit mit Sounddesigner Björn SC Deigner entstanden, begleiten die Töne der Frankfurter Bürger. Alle vier Minuten erklingen die Glocken vom Dom als Unterbrechung und erlauben dem Besucher, sich im Raum zu bewegen und die Station zu wechseln. Dem Besucher bietet sich ein sehr intimes Hörerlebnis und er ist gezwungen, sich nah neben die Lautsprecher zu setzen und den teils sehr emotionalen Worten zu lauschen. Bonnert erzählt von „sehr persönlichen und offenen“ Gesprächen und ergänzt: „Die Interviews geben einen Einblick in die Seele der Stadt.“
Langzeitprojekt seit 2009
Die aktuelle Ausstellung im Dommuseum ist Teil von Bonnerts Langzeitprojekt „Alte Stadt aus neuen Häusern“. In der ersten Phase standen das Technische Rathaus und dessen Abriss im Mittelpunkt. Die Künstlerin kam 2009 ganz zufällig auf die Idee, sich mit dem streitbaren Gebäude zu befassen. „Es ging eigentlich um etwas ganz anderes. Ich kam gerade von der Kunsthochschule in England zurück nach Frankfurt und war auf der Suche nach einem Atelier“, erzählt Bonnert. Durch einen Tipp wurde sie auf das Technische Rathaus aufmerksam und erfuhr, dass der Bau einer Altstadt weichen sollte: „Das Gebäude war cool. Ich fand es wirklich schade, dass es abgerissen werden sollte.“ Sie sei von dem Bau fasziniert gewesen, gerade weil es inmitten der Stadt so deplatziert wirkte. Mit dem Abriss sei ein Stück Lebensumfeld genommen worden. Die Pläne der Altstadt seien damals von vielen Menschen nur positiv aufgenommen worden, das Technische Rathaus schien für viele abkömmlich zu sein. Bonnert wollte der Debatte etwas entgegensetzten. Sie stellte sich die Frage: Wie geht eine Stadt mit der Erinnerung, mit seiner Geschichte um?
Nachruf auf das Technische Rathaus
„Ich wollte dem emotional begegnen, dem sonst nicht emotional begegnet wurde“, sagt die Künstlerin über ihre Intention. Sie installierte zwei Kameras am Dom und auf der Schirn, um die Veränderung der Baustelle festzuhalten, stündlich entsteht seitdem ein Foto. Ihr umfangreiches Material nutzte sie bereits für ein Daumenkino und einen kurzen Film, der das Verschwinden des Technischen Rathauses im Zeitraffer zeigt. Gleichzeitig begann sie, Menschen mit einer emotionalen Verbundenheit zum Technischen Rathaus zu suchen, um dem Gebäude einen Abschied zu geben. Von einem „Nachruf“ spricht Bonnert heute. Sie interviewte einen der Architekten des Rathauses, einen Kioskbesitzer, Menschen, die im Gebäude gearbeitet haben. Gegner und Verfechter der neuen Altstadt kamen zu Wort. Mehr als dreißig Frankfurter Bürger hat Bonnert seitdem interviewt, der Fragenkatalog hat sich in all den Jahren nicht verändert.
Jetzt, wo das Technische Rathaus abgerissen ist, liegt der Fokus von Bonnerts Arbeiten auf dem Wiederaufbau der Altstadt. Dass ihr künstlerisches Projekt aus zwei Phasen bestehen würde und erst mit der Fertigstellung des Dom-Römer-Areals enden soll, war der jungen Frau von Anfang an klar. Sie überlegt in Zukunft noch ein Radiofeature zum Thema zu erstellen.
Anfangs kritische Haltung zur Altstadt
Dabei hatte sich Bonnert mit dem Wiederaufbau der Altstadt sehr schwergetan. Sie stand dem Projekt kritisch gegenüber: „Ein Teil der Vergangenheit war ausgelöscht und Vergangenheit ist nicht wieder herstellbar.“ Sie hätte sich über andere Pläne in dem Dom-Römer-Areal gefreut. Statt Fachwerkhäusern hätte sie eine Freifläche, einen Park an der Stelle des Technischen Rathauses begrüßt – einen „Ort des Innenhaltens, des Erinnerns“. Erst der Freiraum hätte das Fehlen einer Altstadt bewusst gemacht. Doch mit der Zeit und durch ihre Interviews habe sie die Stadt und deren Bewohner besser verstanden: „Je mehr Menschen ich getroffen habe, die mit dem Projekt etwas verbunden haben, umso mehr habe ich gemerkt, wie berechtigt diese Sehnsucht ist, warum die Leute die Altstadt wollen.“
>> Sarah Bonnert: Vom Versuch, eine Altstadt zu bauen. Klangraum, 9.-25. November, Dommuseum, Domplatz 3, Di-Fr 10-17 Uhr, Sa+So 11-17 Uhr, www.dommuseum-frankfurt.de
11. November 2016, 11.42 Uhr
Nicole Nadine Seliger
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23. November 2024
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