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100 Jahre Bauhaus und das Neue Frankfurt (1/2)
Ein klarer, nüchterner und funktionaler Stil als Ideal
Das Jahr 2019 steht in Deutschland im Zeichen des Bauhaus-Jubiläums. Auch am Main kehrte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Moderne ein - in Form des Neuen Frankfurt. Im ersten Teil des Textes geht es unter anderem um neue Standards und Frankfurter Normen.
Das Bauhaus feiert in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Die Kunstschule, die Walter Gropius 1919 in Weimar gründete, hat Geschichte geschrieben. Sie kehrte sich ab vom Bombast der Gründerzeit und der verspielten Romantik des Jugendstils. Und erhob stattdessen einen klaren, nüchternen und funktionalen Stil zu ihrem Ideal. Später verbreitete sich der avantgardistische Kunstgedanke in die ganze Welt. Vergessen geht dabei aber meist, dass fast zur gleichen Zeit auch in Frankfurt am Main die Moderne anbrach. Lieferte das Bauhaus den theoretischen Ansatz für diesen neuen Stil, setzte ihn das Neue Frankfurt praktisch – und ebenso pragmatisch – um. Bis heute prägen die Errungenschaften des Neuen Frankfurt das Stadtbild. Neben den Siedlungen, die unter anderem in Bornheim, Praunheim und Niederrad errichtet wurden – um nur einige wenige aufzuzählen – entstanden auch zahlreiche Einzelgebäude, so zum Beispiel die Großmarkthalle, das Zollamt und der Psychiatriecampus des Universitätsklinikums. Gleich mehrere Ausstellungen würdigen darum in diesem Jahr die Macher von einst. Im vergangenen Herbst eröffnete zudem das Forum Neues Frankfurt in der Römerstadt; eine Kooperation der Stadt Frankfurt und der Ernst-May-Gesellschaft zur Förderung der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit dem historischen Großstadtprojekt. Frankfurt möchte, dass sein Stadtplanungsprogramm fast 100 Jahre nach Beginn die gleiche verdiente Aufmerksamkeit zuteilwird, die das Bauhaus schon lange genießt.
1925 wies Ludwig Landmann, ehemaliger Wirtschaftsdezernent und ab 1924 Oberbürgermeister in Frankfurt, dem Stadtrat und Architekten Ernst May das Siedlungsamt zu. Unter Mays Leitung und mit Martin Elsaesser als Baudirektor des Städtischen Hochbauamts ließ das Frankfurter Baudezernat zwischen 1925 und 1930 rund 20 Siedlungen mit 12 000 Wohnungen hochziehen – eine enorme Leistung. „Man wollte eine sozialliberale Gesellschaft ermöglichen, in der sich die öffentliche Hand um die Menschen kümmert“, erklärt Klaus Klemp, Professor für Designtheorie und Designgeschichte an der HfG Offenbach, Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft und Co-Kurator der aktuellen Ausstellung „Moderne am Main“ im Museum Angewandte Kunst.
Die Herausforderungen, denen sich Ernst May und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in den 1920er-Jahren gegenübersahen, kennt Mike Josef noch heute. Der Vorsitzende der Frankfurter SPD ist seit bald drei Jahren Stadtplanungsdezernent. Auch heute ist Wohnraum ein knappes, teures Gut in der Main-Metropole, die Stadt wächst stetig. „Die größte Errungenschaft des Neuen Frankfurt ist sicherlich, dass tatsächlich bezahlbarer Wohnraum für die Menschen der Mittelschicht geschaffen wurde. Anders als beim Bauhaus, das die Fragen nach Städtebau und Stadtplanung vor allem theoretisch erörtert hat, dafür aber prägend im Design war“, sagt Josef. „Dank des Neuen Frankfurt wurden innerhalb kürzester Zeit 12 000 neue Wohnungen in gut erschlossenen neuen Siedlungen und eine funktionierende Infrastruktur geschaffen.“
Foto: Deutsches Architekturmuseum, Nachlass Walter Körte, Inv.-Nr. des Konvoluts: 768-019-001
Heute, so sagt Mike Josef, seien die zu bewältigenden Aufgaben ähnlich. Die Menschen in den Ballungsräumen Frankfurt und Rhein-Main benötigen ebenso eine funktionierende Infrastruktur. Wohnungen müssen vor allem für das mittlere und untere Preissegment geschaffen werden – dabei mangelt es jedoch an Grund und Boden. Dass diese Problematik schon Ludwig Landmann und Ernst May umtrieb, hat den Stadtplanungsdezernenten dann doch überrascht: „Ich bin lange davon ausgegangen, dass zu Ernst Mays Zeiten ausreichend Grundstücke vorhanden waren. Tatsächlich gab es aber auch damals schon die Diskussion um zu hohe Grundstückspreise, die bei rund 5,50 Reichsmark lagen. Da Grund und Boden aber essentiell sind, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, hat man diesen kurzerhand enteignet –
zu einem Festpreis von 3,50 Reichsmark nach dem Frankfurter „Lex Adickes“ umgelegt. Und die Baukosten der Baugenossenschaften und Baugesellschaften wurden zur Hälfte durch die Hauszinssteuer auf die Einnahmen aus älteren Wohngebäuden subventioniert.“ Zu diesem Mittel kann Josef heute zwar nicht greifen, dennoch zeigt er sich fasziniert von der Entschlusskraft, mit der seine Vorgänger ihre Zukunftsideen umgesetzt haben.
Neue Standards und Frankfurter Normen
Mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg brach die Wirtschaftskrise über Deutschland herein. Unzählige Menschen strömten vom Land in die Städte – in der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu finden. Als Ludwig Landmann im November 1924 das Amt des Frankfurter Oberbürgermeisters antrat, war für ihn klar, dass etwas gegen die entstandene Wohnungsnot getan werden müsse. Dem sozialen Gedanken wurde große Bedeutung beigemessen in der Weimarer Republik. Landmann veranlasste die Umsetzung eines großangelegten Wohnbauprojekts in den noch unbebauten Außengebieten der Stadt. Der neu gebaute Raum sollte vor allem auch eine ganz neue Art von Raum sein. „Er wusste, dass Veränderungen der Umwelt die Menschen prägen“, erklärt Klemp. Landmann war der Stratege hinter dem Neuen Frankfurt: Es sollte im Kern eine wirtschaftliche, kulturelle und räumliche Neugestaltung sein.
Professor Klaus Klemp, Foto: Harald Schröder
Um so schnell und günstig wie möglich bauen zu können, wurden Standards geschaffen: die Frankfurter Normen. Die Häuser wurden einem Baukastenprinzip entsprechend in weiten Teilen aus Betonplatten erstellt. Nicht nur beim Wohnungsbau, auch für Möbel, Design und den städtischen Raum gab es Vorgaben – so etwa für Parkbänke, Telefone, Lampen. Die Stadt ging sogar so weit, Grabsteine zu standardisieren. Friedhöfe sollten von historistischem Kitsch befreit werden und ein einheitliches Bild abgeben. Der Wiener Möbeldesigner und Architekt Franz Schuster trug entscheidend zum Neuen Frankfurt bei. Seine Möbelentwürfe prägten eine „Ästhetik des Gebrauchs“: Die Wohnung sollte seiner Meinung nach ein Ort zum Wohnen und Ausruhen sein, kein „Tummelplatz der Eitelkeiten“. Dem Neuen Frankfurt entsprechend war der Gedanke dahinter ein sozialer: günstig in der Herstellung, praktisch und ästhetisch. Schuster wusste, was sich die Arbeiter leisten konnten – und was nicht. Die von ihm entworfenen Stühle, Tische oder Schränke konnten auf Abzahlung bei der Stadt Frankfurt erworben werden.
Auch der Wirtschaftsstandort Frankfurt wurde durch das Großbauprojekt gestärkt: Noch während des Ersten Weltkriegs hatte Ludwig Landmann die Idee einer internationalen Messe verfolgt. Im Oktober 1919 öffnete sie während zweier Wochen das erste Mal ihre Pforten, man war vom Erfolg überrascht: Statt der erwarteten 800 Aussteller hatten sich rund 3000 angemeldet. „Die Völker sind mehr denn je aufeinander angewiesen, keins kann sich von dem anderen abschließen“, hieß es 1919 in der Frankfurter Meßzeitung. Ziel der Messe war es, deutsche Exportprodukte zu fördern und sich wieder international auszurichten. Sie bedeutete auch eine klare Absage an das nationalistische Denken, das während des Weltkriegs geherrscht hatte und noch immer weit verbreitet war. „Die Gründung der Messe war der ideelle Start des Neuen Frankfurt“, sagt Klaus Klemp. Otto Ernst Sutter, ein wichtiger Berater von Oberbürgermeister Ludwig Landmann, entwickelte als Geschäftsführer der Messe- und Ausstellungsgesellschaft eine moderne Form des Marketings. Der Gestaltung maß er große Bedeutung zu – ein Vorbote des Neuen Frankfurt.
Der neue Mensch
Eine Hauptrolle spielten lebens- und gesellschaftsreformerische Bemühungen, wie Jan Gerchow, Direktor des Historischen Museums, erklärt: „Beispielsweise sollte die Rolle der Frau in der Familie und der Gesellschaft durch Wohnformen verändert werden. 1919 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt, das spielte natürlich auch beim Neuen Frankfurt eine Rolle. Die Ernst-May-Siedlungen folgten dem Programm ,Gestaltung formt Gesellschaft‘. Es ging um eine umfassende Lebensreform, um einen ‚Neuen Menschen‘ im ‚Neuen Frankfurt‘.“ Dazu gehörte auch die Küche der Zukunft, damit die Frau noch Zeit für andere Dinge außer dem Haushalt habe und sich damit ihre Rolle in der Gesellschaft verändern könne. Eine aufstrebende Wiener Architektin, bekannt für ihre Entwürfe im sozialen Wohnungsbau, sollte die Lösung bringen: Margarete Schütte-Lihotzky konzipierte die Frankfurter Küche – die Mutter aller Einbauküchen. Im Ernst-May-Haus in der Römerstadt ist eine solche im Original zu besichtigen. Sie ersetzte die bis dahin übliche Wohnküche: Ein großer Raum, in dem gekocht wurde und sich die ganze Familie versammelte. Die neue Einbauküche, die in allen neuen Wohnungen Standard war, trennte Küchengerüche vom Essbereich. Schütte-Lihotzky orientierte sich beim Entwurf an einer Speisewagen-Küche und am amerikanischen Taylorismus – sie sollte so funktional und effizient wie möglich sein.
Auch die Werbung im öffentlichen Raum wollte man regulieren: So sollten etwa nur noch die schnörkellosen Groteskschriften verwendet werden. So auch die noch heute verwendete Futura, die 1925 vom Typografen Paul Renner entworfen worden war (und die teilweise auch im JOURNAL FRANKFURT verwendet wird). Dagegen liefen die Unternehmer jedoch Sturm. Heftig kritisiert wurde von konservativer Seite auch der geometrische Frankfurter Adler als neues Stadtwappen, den der Grafiker Hans Leistikow als Leiter des grafischen Büros entwarf. „Der klare, funktionale, geradlinige Stil sollte auch auf die Haltung der Leute ausstrahlen und sie zu modernen Menschen machen“, sagt Klaus Klemp dazu. Dahinter stand also auch durchaus der Gedanke, die Frankfurterinnen und Frankfurter für die neue Zeit zu erziehen. Die Vision des Neuen Frankfurt war aber in erster Linie eine soziale: Wie konnte man erreichen, dass so viele Menschen wie möglich anständig wohnen konnten? Wie konnte die Stadt preiswert modernisiert werden?
Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe 03/2019 des JOURNAL FRANKFURT. Online folgt der zweite Teil morgen, am 3. Mai.
1925 wies Ludwig Landmann, ehemaliger Wirtschaftsdezernent und ab 1924 Oberbürgermeister in Frankfurt, dem Stadtrat und Architekten Ernst May das Siedlungsamt zu. Unter Mays Leitung und mit Martin Elsaesser als Baudirektor des Städtischen Hochbauamts ließ das Frankfurter Baudezernat zwischen 1925 und 1930 rund 20 Siedlungen mit 12 000 Wohnungen hochziehen – eine enorme Leistung. „Man wollte eine sozialliberale Gesellschaft ermöglichen, in der sich die öffentliche Hand um die Menschen kümmert“, erklärt Klaus Klemp, Professor für Designtheorie und Designgeschichte an der HfG Offenbach, Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft und Co-Kurator der aktuellen Ausstellung „Moderne am Main“ im Museum Angewandte Kunst.
Die Herausforderungen, denen sich Ernst May und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in den 1920er-Jahren gegenübersahen, kennt Mike Josef noch heute. Der Vorsitzende der Frankfurter SPD ist seit bald drei Jahren Stadtplanungsdezernent. Auch heute ist Wohnraum ein knappes, teures Gut in der Main-Metropole, die Stadt wächst stetig. „Die größte Errungenschaft des Neuen Frankfurt ist sicherlich, dass tatsächlich bezahlbarer Wohnraum für die Menschen der Mittelschicht geschaffen wurde. Anders als beim Bauhaus, das die Fragen nach Städtebau und Stadtplanung vor allem theoretisch erörtert hat, dafür aber prägend im Design war“, sagt Josef. „Dank des Neuen Frankfurt wurden innerhalb kürzester Zeit 12 000 neue Wohnungen in gut erschlossenen neuen Siedlungen und eine funktionierende Infrastruktur geschaffen.“
Foto: Deutsches Architekturmuseum, Nachlass Walter Körte, Inv.-Nr. des Konvoluts: 768-019-001
Heute, so sagt Mike Josef, seien die zu bewältigenden Aufgaben ähnlich. Die Menschen in den Ballungsräumen Frankfurt und Rhein-Main benötigen ebenso eine funktionierende Infrastruktur. Wohnungen müssen vor allem für das mittlere und untere Preissegment geschaffen werden – dabei mangelt es jedoch an Grund und Boden. Dass diese Problematik schon Ludwig Landmann und Ernst May umtrieb, hat den Stadtplanungsdezernenten dann doch überrascht: „Ich bin lange davon ausgegangen, dass zu Ernst Mays Zeiten ausreichend Grundstücke vorhanden waren. Tatsächlich gab es aber auch damals schon die Diskussion um zu hohe Grundstückspreise, die bei rund 5,50 Reichsmark lagen. Da Grund und Boden aber essentiell sind, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, hat man diesen kurzerhand enteignet –
zu einem Festpreis von 3,50 Reichsmark nach dem Frankfurter „Lex Adickes“ umgelegt. Und die Baukosten der Baugenossenschaften und Baugesellschaften wurden zur Hälfte durch die Hauszinssteuer auf die Einnahmen aus älteren Wohngebäuden subventioniert.“ Zu diesem Mittel kann Josef heute zwar nicht greifen, dennoch zeigt er sich fasziniert von der Entschlusskraft, mit der seine Vorgänger ihre Zukunftsideen umgesetzt haben.
Neue Standards und Frankfurter Normen
Mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg brach die Wirtschaftskrise über Deutschland herein. Unzählige Menschen strömten vom Land in die Städte – in der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu finden. Als Ludwig Landmann im November 1924 das Amt des Frankfurter Oberbürgermeisters antrat, war für ihn klar, dass etwas gegen die entstandene Wohnungsnot getan werden müsse. Dem sozialen Gedanken wurde große Bedeutung beigemessen in der Weimarer Republik. Landmann veranlasste die Umsetzung eines großangelegten Wohnbauprojekts in den noch unbebauten Außengebieten der Stadt. Der neu gebaute Raum sollte vor allem auch eine ganz neue Art von Raum sein. „Er wusste, dass Veränderungen der Umwelt die Menschen prägen“, erklärt Klemp. Landmann war der Stratege hinter dem Neuen Frankfurt: Es sollte im Kern eine wirtschaftliche, kulturelle und räumliche Neugestaltung sein.
Professor Klaus Klemp, Foto: Harald Schröder
Um so schnell und günstig wie möglich bauen zu können, wurden Standards geschaffen: die Frankfurter Normen. Die Häuser wurden einem Baukastenprinzip entsprechend in weiten Teilen aus Betonplatten erstellt. Nicht nur beim Wohnungsbau, auch für Möbel, Design und den städtischen Raum gab es Vorgaben – so etwa für Parkbänke, Telefone, Lampen. Die Stadt ging sogar so weit, Grabsteine zu standardisieren. Friedhöfe sollten von historistischem Kitsch befreit werden und ein einheitliches Bild abgeben. Der Wiener Möbeldesigner und Architekt Franz Schuster trug entscheidend zum Neuen Frankfurt bei. Seine Möbelentwürfe prägten eine „Ästhetik des Gebrauchs“: Die Wohnung sollte seiner Meinung nach ein Ort zum Wohnen und Ausruhen sein, kein „Tummelplatz der Eitelkeiten“. Dem Neuen Frankfurt entsprechend war der Gedanke dahinter ein sozialer: günstig in der Herstellung, praktisch und ästhetisch. Schuster wusste, was sich die Arbeiter leisten konnten – und was nicht. Die von ihm entworfenen Stühle, Tische oder Schränke konnten auf Abzahlung bei der Stadt Frankfurt erworben werden.
Auch der Wirtschaftsstandort Frankfurt wurde durch das Großbauprojekt gestärkt: Noch während des Ersten Weltkriegs hatte Ludwig Landmann die Idee einer internationalen Messe verfolgt. Im Oktober 1919 öffnete sie während zweier Wochen das erste Mal ihre Pforten, man war vom Erfolg überrascht: Statt der erwarteten 800 Aussteller hatten sich rund 3000 angemeldet. „Die Völker sind mehr denn je aufeinander angewiesen, keins kann sich von dem anderen abschließen“, hieß es 1919 in der Frankfurter Meßzeitung. Ziel der Messe war es, deutsche Exportprodukte zu fördern und sich wieder international auszurichten. Sie bedeutete auch eine klare Absage an das nationalistische Denken, das während des Weltkriegs geherrscht hatte und noch immer weit verbreitet war. „Die Gründung der Messe war der ideelle Start des Neuen Frankfurt“, sagt Klaus Klemp. Otto Ernst Sutter, ein wichtiger Berater von Oberbürgermeister Ludwig Landmann, entwickelte als Geschäftsführer der Messe- und Ausstellungsgesellschaft eine moderne Form des Marketings. Der Gestaltung maß er große Bedeutung zu – ein Vorbote des Neuen Frankfurt.
Der neue Mensch
Eine Hauptrolle spielten lebens- und gesellschaftsreformerische Bemühungen, wie Jan Gerchow, Direktor des Historischen Museums, erklärt: „Beispielsweise sollte die Rolle der Frau in der Familie und der Gesellschaft durch Wohnformen verändert werden. 1919 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt, das spielte natürlich auch beim Neuen Frankfurt eine Rolle. Die Ernst-May-Siedlungen folgten dem Programm ,Gestaltung formt Gesellschaft‘. Es ging um eine umfassende Lebensreform, um einen ‚Neuen Menschen‘ im ‚Neuen Frankfurt‘.“ Dazu gehörte auch die Küche der Zukunft, damit die Frau noch Zeit für andere Dinge außer dem Haushalt habe und sich damit ihre Rolle in der Gesellschaft verändern könne. Eine aufstrebende Wiener Architektin, bekannt für ihre Entwürfe im sozialen Wohnungsbau, sollte die Lösung bringen: Margarete Schütte-Lihotzky konzipierte die Frankfurter Küche – die Mutter aller Einbauküchen. Im Ernst-May-Haus in der Römerstadt ist eine solche im Original zu besichtigen. Sie ersetzte die bis dahin übliche Wohnküche: Ein großer Raum, in dem gekocht wurde und sich die ganze Familie versammelte. Die neue Einbauküche, die in allen neuen Wohnungen Standard war, trennte Küchengerüche vom Essbereich. Schütte-Lihotzky orientierte sich beim Entwurf an einer Speisewagen-Küche und am amerikanischen Taylorismus – sie sollte so funktional und effizient wie möglich sein.
Auch die Werbung im öffentlichen Raum wollte man regulieren: So sollten etwa nur noch die schnörkellosen Groteskschriften verwendet werden. So auch die noch heute verwendete Futura, die 1925 vom Typografen Paul Renner entworfen worden war (und die teilweise auch im JOURNAL FRANKFURT verwendet wird). Dagegen liefen die Unternehmer jedoch Sturm. Heftig kritisiert wurde von konservativer Seite auch der geometrische Frankfurter Adler als neues Stadtwappen, den der Grafiker Hans Leistikow als Leiter des grafischen Büros entwarf. „Der klare, funktionale, geradlinige Stil sollte auch auf die Haltung der Leute ausstrahlen und sie zu modernen Menschen machen“, sagt Klaus Klemp dazu. Dahinter stand also auch durchaus der Gedanke, die Frankfurterinnen und Frankfurter für die neue Zeit zu erziehen. Die Vision des Neuen Frankfurt war aber in erster Linie eine soziale: Wie konnte man erreichen, dass so viele Menschen wie möglich anständig wohnen konnten? Wie konnte die Stadt preiswert modernisiert werden?
Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe 03/2019 des JOURNAL FRANKFURT. Online folgt der zweite Teil morgen, am 3. Mai.
2. Mai 2019, 12.03 Uhr
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