Initiative Stolpersteine

Erinnern und Aufarbeiten

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Lange Zeit war das Budge-Heim in der Hansaallee das einzige Altenheim, in dem jüdische und christliche Menschen zusammenlebten. Mit dem Holocaust wurden jüdische Bewohnerinnen und Bewohner deportiert und ermordet. Eine Stolperschwelle soll nun an ihr Schicksal erinnern.

Laura Oehl /

Im Mai 1930 eröffnete in der Hansaallee 146a das erste Altenheim der heutigen Henry und Emma Budge-Stiftung in Frankfurt. Anders als in anderen Heimen, lebten dort Menschen jüdischen und christlichen Glaubens zusammen. Mehr als 250 Menschen lebten in dem Gebäudekomplex im Frankfurter Westend, schon neun Jahre später wurden die letzten jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner vertrieben. Das Heim wurde „arisiert“, 23 Menschen wurden durch die Nationalsozialisten in Konzentrationslager deportiert und ermordet oder in den Suizid getrieben.

Auch heute ist in dem Gebäudekomplex wieder ein Altenheim. Von außen erinnert auf den ersten Blick kaum etwas an seine Vergangenheit. Um jedoch genau diese Erinnerung zu bewahren, ist seit Mittwoch eine goldene Stolperschwelle in den Bürgersteig vor dem Eingang eingelassen. Angeregt von der Initiative Stolpersteine Frankfurt und unterstützt durch die Ortsbeiräte 2 und 9, hat Künstler Gunter Demnig die etwa 75 Zentimeter lange Schwelle am Mittwochmorgen in der Hansaallee verlegt. Gleich daneben liegt ein Stolperstein, in Erinnerung an die 1942 deportierte und ermordete Bewohnerin Elise Hofmann, den Demnig schon 2019 in den Bürgersteig eingesetzt hatte – genauso wie mittlerweile rund 1800 Stolpersteine in der ganzen Stadt.

Anders als die Stolpersteine, auf denen der Name und das Schicksal einer einzelnen Person zu lesen ist, erinnert die Stolperschwelle an Gebäude oder Institutionen, aus denen viele Menschen verfolgt oder deportiert wurden und erklärt diese Verfolgungsgeschichte. „Diese 23 Menschen hatten keine würdige Bestattung“, sagte der Rabbiner der Budge-Stiftung, Andrew Steiman, bevor er ein Gebet zur Einweihung der Stolperschwelle sprach. „Mit diesem Gebet soll ihnen ein bisschen Würde zurückgegeben werden.“ Schon seit 2011 wird den 23 Bewohnerinnen und Bewohnern des Heims in der Hansaallee auch in Form einer Stehle vor dem heutigen interreligiösen und interkulturellen Pflegeheim der Budge-Stiftung in Seckbach gedacht; lange Zeit stand dort auch einmal der Name „N.N.“. Erst neun Jahre nach Einweihung der Gedenkstätte konnte der Name der fehlenden Bewohnerin Lina Sommer dort integriert werden. Mithilfe von Sommers Urenkelin Dagmar Hoffmann hatte man herausgefunden, wer die unbekannte Person war.

Auch zur Verlegung der Stolperschwelle in der Hansaallee am Donnerstag war Dagmar Hoffmann anwesend. Mehr als 40 ihrer Verwandten kamen in den Konzentrationslagern während des Holocaust ums Leben, erzählt sie. Von ihrer Großmutter habe sie viel darüber erzählt bekommen, ihre Urgroßmutter habe sie aber erst spät gefunden. Die Stolperschwelle im Westend sei nun eine schöne Ergänzung zu der Stehle in Seckbach. Die Schicksale des Holocaust spielen in Hoffmanns Leben eine große Rolle, sagt sie. Statt Schuldgefühlen wünsche sie sich von der Gesellschaft vor allem, dass die Ereignisse während und auch die Schicksale der Jüdinnen und Juden nach dem Holocaust richtig aufgearbeitet würden – besonders in Zeiten, in denen der Antisemitismus in Deutschland wieder deutlich lauter geworden sei.

Einen Teil zur Aufarbeitung kann vielleicht auch die neue Stolperschwelle in der Hansaallee beitragen. Denn auch Erinnerung gehört zur Aufarbeitung dazu. „Erinnerung ist immer etwas zukunftsgerichtetes“, sagte Rabbiner Andrew Steiman. „Mit dieser Schwelle wollen wir an all die erinnern, die hier gelebt haben und gewaltsam verschleppt wurden.“

Laura Oehl
Laura Oehl
Jahrgang 1994, Studium der Musikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, Journalismus-Master an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, seit Dezember 2020 beim JOURNAL FRANKFURT.
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