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Interview mit Paula Rosolen
„Demokratie ist mehr als die Teilnahme an Wahlen, in erster Linie ist Demokratie Dialog“
Choreografin Paula Rosolen zeigt im MOMEM und im Kunstverein Familie Montez eine Open-Air-Adaption ihres Stücks 16 BIT. Im Interview spricht sie über die kulturelle Entwicklung der Stadt, die Rolle von Kunst für Demokratie und die gesellschaftliche Bedeutung des Techno.
JOURNAL FRANKFURT: Frau Rosolen, im Mai haben Sie Ihr Stück 16 BIT im Mousonturm uraufgeführt. Nun werden Sie mit Beat by Bit zu sehen sein. Was steckt hinter Beat by Bit und inwiefern unterscheidet es sich von 16 BIT?
Paula Rosolen: Das verbindende Thema bei 16 BIT und Beat by Bit ist Techno. 16 BIT zeigt die kulturelle Genese des Techno und dessen gesellschaftspolitische Tragweite. Die neue Open-Air-Adaption greift Szenen und Bewegungsmaterial der Originalproduktion auf, allerdings ist die Erfahrung für die Darsteller:innen und das Publikum völlig unterschiedlich. Bei Beat by Bit entfernen wir die ursprüngliche Frontalansicht und öffnen das Stück für unterschiedlichste Perspektiven. Dabei ist die Interaktion mit der Umgebung beim Kunstverein Montez und an der Hauptwache entscheidend: Wir verlassen den klassischen, dunklen Theatersaal und begeben uns inmitten die Passanten. Die Menschen können sich mit uns bewegen, herumlaufen, selbstständig neue Blickwinkel einnehmen. Niemand ist an einen Stuhl gefesselt und genauso passen auch wir uns flexibel an Umgebung und Publikum an. Auch die Kostüme werden andere, die Aufführung kürzer und das Stück insgesamt an die neue Open-Air-Situation angepasst sein.
Welche Rolle spielen die Orte, an denen Sie Beat by Bit zeigen?
Der Kunstverein Familie Montez liegt direkt an der Europäischen Zentralbank. Beat by Bits dort aufzuführen, ist in gewisser Weise ein Statement. Einerseits ist Frankfurt als die deutsche Finanz- und Bankenstadt bekannt. Andererseits war sie einer der wichtigsten Orte für die Entwicklung des Techno und konnte noch vor einigen Jahren eine sehr lebendige Clubszene vorweisen. Leider ist vieles davon aufgrund kulturpolitischer Entscheidungen verloren gegangen. Der Ort der zweiten Aufführung am MOMEM, mitten auf der Hauptwache in der Innenstadt, greift dies auf. Auch hier fanden sich früher zahlreiche Clubs und Kultureinrichtungen, wie das Omem – einer der bedeutendsten Technoclubs Deutschlands. Viele Gebäude in der Umgebung wurden abgerissen, manche neugebaut. Heute ist Frankfurt vor allem für sein Clubsterben bekannt, die Kultur rückt in den Hintergrund. Stattdessen pflegt und fördert die Stadt ihr Banken-Image. Wobei ich denke, dass sich das aktuell ändert. Ich habe den Eindruck, die Verantwortlichen haben verstanden, dass Kultur für das Branding und Image einer Stadt eine Bereicherung ist.
Wie ist die Idee und die Choreografie zu dem Stück entstanden?
Ich wollte eine Kombination von Bewegungen schaffen, in denen sich diejenigen, die ihre eigenen Erfahrungen mit Techno und der Tanzmusikkultur haben, wiederkennen. Die Choreografie ist entsprechend sehr spannungsgeladenen und dynamisch. In den Bewegungen zeigen sich die impliziten Regeln des Techno und seiner Subkulturen – ihre Ästhetik, ihr Minimalismus und die Beziehung zwischen Techno-Tanztraditionen und zeitgenössischem Tanz und Choreografie. Bei 16 BIT und Beats by Bit spielt der Song “Where are you?“ eine wichtige Rolle – eine gemeinsame Produktion von Sven Väth und dem Musikproduzenten-Duos Luca Anzilotti und Michael Münzig. Es ist besonders Sven Väths einzigartiger Tanz in dem Video zu “Where are you?“, der mich fasziniert und der mich über die Bedeutung dessen nachdenken lässt, was wir meist als selbstverständlich wahrnehmen – Ausdruck, Teilhabe, Freiheit.
Was genau fasziniert Sie denn an „Where are you?“ Warum haben Sie sich für diese Single entschieden?
Väth, Anzilotti und Münzig nahmen die Single gemeinsam 1986 auf, also in der ganz frühen Phase der elektronischen Musik. Alle drei legten als DJs im legendären Frankfurter Club Dorian Gray auf. Anzilotti und Münzig gründeten außerdem das Projekt 16 BIT, das wiederum nach der in den späten 1980er-Jahren aufkommenden und damals revolutionären Computer-Technologie benannt war. Anfang 2020, kurz bevor die Corona-Pandemie das gesamte kulturelle Leben zum Stillstand brachte, habe ich das Video zu dem Song wiederentdeckt und war sofort gefesselt. Für mich nimmt "Where Are You?" in der Geschichte des Techno eine wichtige Rolle ein. Der Song, seine Spontanität und Expressivität, legte praktisch einen der Grundsteine für die weitere Entwicklung der elektronischen Musik – auch über Frankfurt und Deutschland hinaus. Es war wirklich der Beginn von etwas vollkommen Neues.
Nachdem Sie sich 2018 der Punk-Bewegung gewidmet haben, steht nun eine weitere musikalische und gesellschaftliche Ära im Fokus. Warum fiel Ihre Wahl auf Techno?
Techno wird oft unterstellt, unpolitisch gewesen zu sein. Das sehe ich anders. Gerade in Deutschland, aber auch weltweit, hat Techno eine gesellschaftliche Bedeutung. Die Hochphase dieser Musikrichtung, etwa 1985 bis 1995, fiel mit zahlreichen einschneidenden Ereignissen zusammen: der kalte Krieg, Tschernobyl, der Mauerfall. Techno ist ein transnationales Phänomen und das Ergebnis eines kulturellen Austauschs. Auf Deutschland bezogen war Techno – um den ostdeutschen DJ Paul Van Dyk zu zitieren – der ‚soziale Klebstoff‘, der dazu beitrug, die Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschland nach dem Zusammenbruch der DDR wiederherzustellen. Die Wiedervereinigung fand auf dem Dancefloor statt, bevor sie in der Politik sichtbar wurde. In Detroit wiederum, einem der prägenden Orte für die Szene, war Techno ein neues Ausdrucksmittel in einer postindustriellen Stadt, die unter wirtschaftlicher Not und den damit einhergehenden sozialen Problemen litt. Techno versprach eine freie Entfaltung, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft und ohne die Angst vor Repressalien oder Ablehnung. Mit meiner Arbeit möchte ich einen Raum schaffen, in dem wirklich alle Menschen willkommen und sicher sind. In einer Demokratie muss Kunst das ermöglichen können. Nicht umsonst ist die Kunstfreiheit ein in unserer Verfassung verankertes Grundrecht.
Warum ist Ihrer Meinung nach die Kunst, speziell der Tanz, so wichtig für die Demokratie?
Demokratie ist weit mehr als die Teilnahme an Wahlen, in erster Linie ist Demokratie Dialog. Eine demokratische Gesellschaft lebt vom Austausch verschiedener Meinungen und Perspektiven – die Kunst kann das transportieren. Die Beteiligung an der Kunst erfordert die kollektive Teilhabe. Die Kunst wirft Ideen auf, welche die Gesellschaft als Ganzes widerspiegeln und dem Einzelnen eine Handreichung sein können, sich selbst zu definieren. Kunst ist etwas zutiefst Persönliches, Intimes und gleichzeitig eine Heimat des Kollektivs. Dem Tanz haftet oftmals das Stigma des Privilegs und der Exklusivität an. Das versuche ich in meiner Arbeit zu durchbrechen. Mit meinen Choreografien möchte ich den Zuschauenden Tanz durch Themen und Fragen näherbringen, die ihnen vertraut sind und mit denen sie sich identifizieren können. Auch deshalb fasziniert mich Techno: Wohl jeder von uns hat eine besondere Assoziation oder persönliche Erfahrung mit dieser Musik. Dieses kollektive Verstehen und Empfinden ist für mich eine wichtige Facette von Kunst und Demokratie.
Was fasziniert Sie am Tanz?
Tanz ist – zumindest aus meiner Sicht und Herangehensweise – komplex, herausfordernd und flüchtig. Das fasziniert mich. Er hat eine starke poetische Aufladung und bietet die Möglichkeit, Metaphern und diverse Informationsebenen zu schaffen. Das ist auch der rote Faden für alle anderen Elemente, die ein Werk ausmachen: Kostüme, Musik, Licht, Bühnenbild. Es ist immer eine Herausforderung, mit Tanz zu arbeiten. Hier geht es vielleicht mehr um ein allgemeines Publikum. Im Gegensatz zu einem Theaterstück, das bereits geschrieben ist oder oft von einem Text ausgeht. Beim Tanz kann es dagegen schnell kitschig werden, wenn er von einer Erzählung umhüllt ist. Es ist ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt. Die Herausforderung für mich und für jede meiner Arbeiten besteht darin, eine originelle Bewegungssprache in Bezug auf das von mir untersuchte Thema zu schaffen, die Zusammenarbeit mit den Tänzer:innen ist von grundlegender Bedeutung. Was mir wirklich gefällt, ist, dass das Team, insbesondere die Tänzer:innen, oft aus der ganzen Welt kommen, was den Arbeitsprozess sehr bereichert.
Geboren sind Sie in Argentinien und haben zunächst Tanz und Kunstgeschichte in Buenos Aires studiert. Nach Ihrem Umzug nach Europa im Jahr 2003 studierten Sie Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt und erhielt später Ihren Master in Choreografie an der Justus-Liebig-University in Gießen. Warum haben Sie sich dazu entschieden, in Deutschland zu studieren?
Das ist eine lange Geschichte, ich versuche, mich kurzzufassen: Ich wollte immer in Europa studieren und habe zwei Vortanzen absolviert. Eines an der Londoner Contemporary Dance School und eines in Frankfurt, wegen einer italienische Lehrerin, die ich beim Vortanzen in London kennengelernt hatte. Ich wurde an beiden Schulen zugelassen, musste aber feststellen, dass ich mir London schlicht nicht leisten konnte. So führte mich mein Weg nach Frankfurt. Für den Master standen Berlin und Gießen zur Auswahl, da hatte Hessen mir bereits viel Unterstützung und Interesse an meiner Arbeit entgegengebracht. Inzwischen arbeite ich seit elf Jahren mit dem Künstlerhaus Mousonturm und der Tanzplattform RheinMain zusammen. Das schätze ich sehr. Heute pendle ich zwischen Frankfurt und München.
Welche Projekte sind in der Zukunft geplant?
Wir werden mit 16 BIT auf Tournee gehen. Aktuell führen wir Gespräche mit diversen Theaterhäusern in Deutschland und im Ausland. Nicolas Roux/Otto Productions, der einige Künstler:innen vertritt, die ich sehr bewundere – wie La Ribot oder Mathilde Monnier – übernimmt die Distribution der Produktion. Man muss geduldig sein, es braucht Zeit, aber ich freue mich sehr darauf. Daneben sind noch einige weitere Projekte für dieses Jahr geplant. Unter anderem planen wir eine Wiederaufnahme von Aerobics! – A Ballet in 3 Acts. Das Stück wurde in der Vergangenheit bereits an zahlreichen renommierten Orten aufgeführt: Théâtre de la Ville Paris, deSingel, Theatrefestival Basel, Dance New Air Tokyo, Danse Elargie International Competition des Théâtre de la Ville und Musée de la Danse, BE Festival in Birmingham und die Deutsche Tanzplattform und noch einigen weiteren. Außerdem arbeiten wir ab August an einem Videoprojekt, auf das ich mich jetzt bereits sehr freue. Es wird also ein arbeitsreiches und kreatives Jahr.
>> Beats by Bits - eine Open-Air-Adaption von Paula Rosolen/Haptic Hides neuester Produktion 16 BIT
19.6.2022, 18 Uhr, Kunstverein Familie Montez
21.6.2022, 20 Uhr, MOMEM – Museum of Modern Electronic Music
Eintritt frei
Paula Rosolen: Das verbindende Thema bei 16 BIT und Beat by Bit ist Techno. 16 BIT zeigt die kulturelle Genese des Techno und dessen gesellschaftspolitische Tragweite. Die neue Open-Air-Adaption greift Szenen und Bewegungsmaterial der Originalproduktion auf, allerdings ist die Erfahrung für die Darsteller:innen und das Publikum völlig unterschiedlich. Bei Beat by Bit entfernen wir die ursprüngliche Frontalansicht und öffnen das Stück für unterschiedlichste Perspektiven. Dabei ist die Interaktion mit der Umgebung beim Kunstverein Montez und an der Hauptwache entscheidend: Wir verlassen den klassischen, dunklen Theatersaal und begeben uns inmitten die Passanten. Die Menschen können sich mit uns bewegen, herumlaufen, selbstständig neue Blickwinkel einnehmen. Niemand ist an einen Stuhl gefesselt und genauso passen auch wir uns flexibel an Umgebung und Publikum an. Auch die Kostüme werden andere, die Aufführung kürzer und das Stück insgesamt an die neue Open-Air-Situation angepasst sein.
Welche Rolle spielen die Orte, an denen Sie Beat by Bit zeigen?
Der Kunstverein Familie Montez liegt direkt an der Europäischen Zentralbank. Beat by Bits dort aufzuführen, ist in gewisser Weise ein Statement. Einerseits ist Frankfurt als die deutsche Finanz- und Bankenstadt bekannt. Andererseits war sie einer der wichtigsten Orte für die Entwicklung des Techno und konnte noch vor einigen Jahren eine sehr lebendige Clubszene vorweisen. Leider ist vieles davon aufgrund kulturpolitischer Entscheidungen verloren gegangen. Der Ort der zweiten Aufführung am MOMEM, mitten auf der Hauptwache in der Innenstadt, greift dies auf. Auch hier fanden sich früher zahlreiche Clubs und Kultureinrichtungen, wie das Omem – einer der bedeutendsten Technoclubs Deutschlands. Viele Gebäude in der Umgebung wurden abgerissen, manche neugebaut. Heute ist Frankfurt vor allem für sein Clubsterben bekannt, die Kultur rückt in den Hintergrund. Stattdessen pflegt und fördert die Stadt ihr Banken-Image. Wobei ich denke, dass sich das aktuell ändert. Ich habe den Eindruck, die Verantwortlichen haben verstanden, dass Kultur für das Branding und Image einer Stadt eine Bereicherung ist.
Wie ist die Idee und die Choreografie zu dem Stück entstanden?
Ich wollte eine Kombination von Bewegungen schaffen, in denen sich diejenigen, die ihre eigenen Erfahrungen mit Techno und der Tanzmusikkultur haben, wiederkennen. Die Choreografie ist entsprechend sehr spannungsgeladenen und dynamisch. In den Bewegungen zeigen sich die impliziten Regeln des Techno und seiner Subkulturen – ihre Ästhetik, ihr Minimalismus und die Beziehung zwischen Techno-Tanztraditionen und zeitgenössischem Tanz und Choreografie. Bei 16 BIT und Beats by Bit spielt der Song “Where are you?“ eine wichtige Rolle – eine gemeinsame Produktion von Sven Väth und dem Musikproduzenten-Duos Luca Anzilotti und Michael Münzig. Es ist besonders Sven Väths einzigartiger Tanz in dem Video zu “Where are you?“, der mich fasziniert und der mich über die Bedeutung dessen nachdenken lässt, was wir meist als selbstverständlich wahrnehmen – Ausdruck, Teilhabe, Freiheit.
Was genau fasziniert Sie denn an „Where are you?“ Warum haben Sie sich für diese Single entschieden?
Väth, Anzilotti und Münzig nahmen die Single gemeinsam 1986 auf, also in der ganz frühen Phase der elektronischen Musik. Alle drei legten als DJs im legendären Frankfurter Club Dorian Gray auf. Anzilotti und Münzig gründeten außerdem das Projekt 16 BIT, das wiederum nach der in den späten 1980er-Jahren aufkommenden und damals revolutionären Computer-Technologie benannt war. Anfang 2020, kurz bevor die Corona-Pandemie das gesamte kulturelle Leben zum Stillstand brachte, habe ich das Video zu dem Song wiederentdeckt und war sofort gefesselt. Für mich nimmt "Where Are You?" in der Geschichte des Techno eine wichtige Rolle ein. Der Song, seine Spontanität und Expressivität, legte praktisch einen der Grundsteine für die weitere Entwicklung der elektronischen Musik – auch über Frankfurt und Deutschland hinaus. Es war wirklich der Beginn von etwas vollkommen Neues.
Nachdem Sie sich 2018 der Punk-Bewegung gewidmet haben, steht nun eine weitere musikalische und gesellschaftliche Ära im Fokus. Warum fiel Ihre Wahl auf Techno?
Techno wird oft unterstellt, unpolitisch gewesen zu sein. Das sehe ich anders. Gerade in Deutschland, aber auch weltweit, hat Techno eine gesellschaftliche Bedeutung. Die Hochphase dieser Musikrichtung, etwa 1985 bis 1995, fiel mit zahlreichen einschneidenden Ereignissen zusammen: der kalte Krieg, Tschernobyl, der Mauerfall. Techno ist ein transnationales Phänomen und das Ergebnis eines kulturellen Austauschs. Auf Deutschland bezogen war Techno – um den ostdeutschen DJ Paul Van Dyk zu zitieren – der ‚soziale Klebstoff‘, der dazu beitrug, die Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschland nach dem Zusammenbruch der DDR wiederherzustellen. Die Wiedervereinigung fand auf dem Dancefloor statt, bevor sie in der Politik sichtbar wurde. In Detroit wiederum, einem der prägenden Orte für die Szene, war Techno ein neues Ausdrucksmittel in einer postindustriellen Stadt, die unter wirtschaftlicher Not und den damit einhergehenden sozialen Problemen litt. Techno versprach eine freie Entfaltung, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft und ohne die Angst vor Repressalien oder Ablehnung. Mit meiner Arbeit möchte ich einen Raum schaffen, in dem wirklich alle Menschen willkommen und sicher sind. In einer Demokratie muss Kunst das ermöglichen können. Nicht umsonst ist die Kunstfreiheit ein in unserer Verfassung verankertes Grundrecht.
Warum ist Ihrer Meinung nach die Kunst, speziell der Tanz, so wichtig für die Demokratie?
Demokratie ist weit mehr als die Teilnahme an Wahlen, in erster Linie ist Demokratie Dialog. Eine demokratische Gesellschaft lebt vom Austausch verschiedener Meinungen und Perspektiven – die Kunst kann das transportieren. Die Beteiligung an der Kunst erfordert die kollektive Teilhabe. Die Kunst wirft Ideen auf, welche die Gesellschaft als Ganzes widerspiegeln und dem Einzelnen eine Handreichung sein können, sich selbst zu definieren. Kunst ist etwas zutiefst Persönliches, Intimes und gleichzeitig eine Heimat des Kollektivs. Dem Tanz haftet oftmals das Stigma des Privilegs und der Exklusivität an. Das versuche ich in meiner Arbeit zu durchbrechen. Mit meinen Choreografien möchte ich den Zuschauenden Tanz durch Themen und Fragen näherbringen, die ihnen vertraut sind und mit denen sie sich identifizieren können. Auch deshalb fasziniert mich Techno: Wohl jeder von uns hat eine besondere Assoziation oder persönliche Erfahrung mit dieser Musik. Dieses kollektive Verstehen und Empfinden ist für mich eine wichtige Facette von Kunst und Demokratie.
Was fasziniert Sie am Tanz?
Tanz ist – zumindest aus meiner Sicht und Herangehensweise – komplex, herausfordernd und flüchtig. Das fasziniert mich. Er hat eine starke poetische Aufladung und bietet die Möglichkeit, Metaphern und diverse Informationsebenen zu schaffen. Das ist auch der rote Faden für alle anderen Elemente, die ein Werk ausmachen: Kostüme, Musik, Licht, Bühnenbild. Es ist immer eine Herausforderung, mit Tanz zu arbeiten. Hier geht es vielleicht mehr um ein allgemeines Publikum. Im Gegensatz zu einem Theaterstück, das bereits geschrieben ist oder oft von einem Text ausgeht. Beim Tanz kann es dagegen schnell kitschig werden, wenn er von einer Erzählung umhüllt ist. Es ist ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt. Die Herausforderung für mich und für jede meiner Arbeiten besteht darin, eine originelle Bewegungssprache in Bezug auf das von mir untersuchte Thema zu schaffen, die Zusammenarbeit mit den Tänzer:innen ist von grundlegender Bedeutung. Was mir wirklich gefällt, ist, dass das Team, insbesondere die Tänzer:innen, oft aus der ganzen Welt kommen, was den Arbeitsprozess sehr bereichert.
Geboren sind Sie in Argentinien und haben zunächst Tanz und Kunstgeschichte in Buenos Aires studiert. Nach Ihrem Umzug nach Europa im Jahr 2003 studierten Sie Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt und erhielt später Ihren Master in Choreografie an der Justus-Liebig-University in Gießen. Warum haben Sie sich dazu entschieden, in Deutschland zu studieren?
Das ist eine lange Geschichte, ich versuche, mich kurzzufassen: Ich wollte immer in Europa studieren und habe zwei Vortanzen absolviert. Eines an der Londoner Contemporary Dance School und eines in Frankfurt, wegen einer italienische Lehrerin, die ich beim Vortanzen in London kennengelernt hatte. Ich wurde an beiden Schulen zugelassen, musste aber feststellen, dass ich mir London schlicht nicht leisten konnte. So führte mich mein Weg nach Frankfurt. Für den Master standen Berlin und Gießen zur Auswahl, da hatte Hessen mir bereits viel Unterstützung und Interesse an meiner Arbeit entgegengebracht. Inzwischen arbeite ich seit elf Jahren mit dem Künstlerhaus Mousonturm und der Tanzplattform RheinMain zusammen. Das schätze ich sehr. Heute pendle ich zwischen Frankfurt und München.
Welche Projekte sind in der Zukunft geplant?
Wir werden mit 16 BIT auf Tournee gehen. Aktuell führen wir Gespräche mit diversen Theaterhäusern in Deutschland und im Ausland. Nicolas Roux/Otto Productions, der einige Künstler:innen vertritt, die ich sehr bewundere – wie La Ribot oder Mathilde Monnier – übernimmt die Distribution der Produktion. Man muss geduldig sein, es braucht Zeit, aber ich freue mich sehr darauf. Daneben sind noch einige weitere Projekte für dieses Jahr geplant. Unter anderem planen wir eine Wiederaufnahme von Aerobics! – A Ballet in 3 Acts. Das Stück wurde in der Vergangenheit bereits an zahlreichen renommierten Orten aufgeführt: Théâtre de la Ville Paris, deSingel, Theatrefestival Basel, Dance New Air Tokyo, Danse Elargie International Competition des Théâtre de la Ville und Musée de la Danse, BE Festival in Birmingham und die Deutsche Tanzplattform und noch einigen weiteren. Außerdem arbeiten wir ab August an einem Videoprojekt, auf das ich mich jetzt bereits sehr freue. Es wird also ein arbeitsreiches und kreatives Jahr.
>> Beats by Bits - eine Open-Air-Adaption von Paula Rosolen/Haptic Hides neuester Produktion 16 BIT
19.6.2022, 18 Uhr, Kunstverein Familie Montez
21.6.2022, 20 Uhr, MOMEM – Museum of Modern Electronic Music
Eintritt frei
17. Juni 2022, 12.29 Uhr
Elena Zompi
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