Schon beim ersten Akkord auf dem Flügel hörte man den Unterschied. Keine Frage: Die Band aus Erstsemestern unter der Leitung von Kontrabassist Vitold Rek hatte sich achtbar geschlagen, vor allem auch mit einem interessanten Jazz-Arrangement auf Basis einer Debussy-Komposition der Sängerin überrascht. Aber Yuriy Sych, selbst erst in den Anfangzwanzigern, ist da schon ein anderes Kaliber als der polnische Kollege. Er hat seinen Stil gefunden, als Komponist und Interpret, hat zudem längst Tiefe und Leichtigkeit im Ausdruck und besticht durch eine unglaubliche Virtuosität. Seinen kongenialen Mitstreitern fällt es leicht, die Emotionalität im Umgang mit dem Instrument (oder soll ich gar schreiben die Liebe zu ihrem „Partner“?) auch optisch sichtbar zu machen. Martin Standke streichelt oft genug seine Felle mit den Besen, tupft die Becken an. Und Kontrabassist Tim(othy) Roth kann seine „Oma“ (so ein Spitzname für das Instrument) gar umarmen. Was aber macht Sych? Na, er droht mitunter bei seinem Spiel unter dem Flügel zu rutschen und sucht auf diese Weise Körperkontakt.
Die HfMDK in Frankfurt feierte diese Woche ihr zweitägiges Jazzfest 2009 und das Contrast Quartet war ein früher Höhepunkt im Programm der Hochschule. Eigentlich sollte an diesem Abend – für den etatmäßigen Saxophonisten Benjamin Steil, der anderweitig auf Tournee ist – Heinz-Dieter Sauerborn von der hr Big Band als Gast mitspielen. Nach einer verheißungsvollen Probe musste er dann doch passen: der grassierende Grippevirus. Also trat das Quartett als Trio auf und Sych, längst selbstbewusst in seinen Ansagen und an den Aufgaben der letzten Monate, inklusive Auftritt als Gast von Christof Lauer beim Deutschen Jazzfestival, gewachsen, erklärte das wie folgt: „Auch als Trio sind wir ein Quartett, denn wir zählen nicht nach Bandmitgliedern, sondern nach Stimmen“, überraschte er sein Publikum. „Die erste Stimme ist ganz klar das Schlagzeug“, grinste er in Richtung Standke. „Die zweite der Kontrabass – ohne den geht gar nichts. Die dritte ist das Klavier und die viertes das Fender Rhodes Piano.“ Denn der junge Ukrainer spielt akustisch und elektrisch, auch mal beides gleichzeitig, so wie es seine Phantasie und seine Kompositionen verlangen.
Die jungen Jazzmusiker spielen mit viel Dynamik, können zart und leise spielen in wahrlich lyrischen Passagen und dann Gas geben und der Power einer Rockband lospreschen, dabei aber immer differenziert spielen. Kleine Ahnung, ob sie die wichtigsten Jazzstile verinnerlicht haben. Die Tatsache, dass sie mit dem „Passion Dance“ eine Komposition vom McCoy Tyner im Programm haben, zeigt aber, dass sie eher stilprägenden Erneuerern verpflichtet fühlen. Dass Sych auch in der Klassik zuhause ist, hört man ohnedies. Und Standkes variantenreiches Schlagzeugspiel greift beispielsweise auch auf Drum’n’Bass-ähnliche Patterns zurück. All das geht mit einer unglaubliches Selbstverständlichkeit zusammen und selbst komplexeste Kompositionen wirken nie konstruiert, sondern äußerst souverän. „The Sixth Sense“ heißt ein Stück auf dem gerade frisch aus dem Presswerk gekommenen Album „Second Wave“ (flexaton). Den sechsten Sinn scheinen die Jungs zu haben. Und sie spiele n sich damit reif für die erste Liga deutscher, ja europäischer Jazzer. Längst hat Sych auch die Eindrücke seines letzten Besuches in der Heimat verarbeitet und sich von ukrainischen Volkslieder inspirieren lassen. Aufgrund des nur kurzen Auftritts beim Festival kam das nicht mehr zu Gehör in der HfMDK, aber ganz sicher beim nächsten Auftritt in Frankfurt am 3.3. im Jazzkeller und dann am 12.3. in der Brotfabrik in Hausen.