„Hatte Patti Smith (www.myspace.com/pattismith) eigentlich noch einen Hit außer ,Because The Night´?“, fragte mich mein Chefredakteur bevor ich die Redaktion Richtung Jahrhunderthalle verließ. „Nicht wirklich“, konnte ich da guten Gewissens antworten. Der 1978 mit Bruce Springsteen geschriebene Song war ihre kommerziell einzig erfolgreiche Single. Aber die Wichtigkeit von Patti Smith lässt sich sicher nicht in solchen Kategorien messen. Die Frau ist eher ein Gesamtkunstwerk. Ihre ersten vier Alben „Horses“, „Radio Ethiopia“, „Easter“ und „Wave“, bereits zwischen 1975 und 1979 erschienen, waren, sind und bleiben Meilensteine der Rock-Geschichte und begründeten ihren anhaltenden Ruf und Ruhm als „Hohepriesterin des Punk“, Ikone der Frauenbewegung und Poetin mit großen Vorbildern wie Baudelaire, Rimbaud oder William Blake. Entsprechend bunt gemischt war – abhängig davon, wer sich wie dem Phänomen Smith nähert(e) – dann auch das Publikum beim ausverkauften, einzigen Deutschland-Konzert in der Frankfurter Jahrhunderthalle.
Unserem Autor diente das Ticket nicht nur zum Einlass, sondern auch als Notizzettel im Dunkel des Konzertsaals
Die gut 2.000 Tickets waren schnell verkauft, mehr hätten gut und gerne verkauft werden können. Die Fans waren übrigens keineswegs alle 50 + – auch Zwanzigjährige sah man in gespannter Erwartung zu ihren Plätzen pilgern. Nicht weniger konträr gestaltete sich dann der künstlerische Vortrag auf der Bühne in den nächsten gut 1 ½ Stunden. Da gab es einen Rest von Post-Punk-Appeal, wenn die inzwischen 62-jährige Sängerin ihre Band immer wieder antrieb, das Tempo zu forcieren, dabei in ihren stilvollen Clochard-Klamotten wie einst im legendären CBGB´s links und rechts – Verzeihung – neben sich rotzte. Andere Momente hatten den Charakter einer Lesung zu Musik mit einer sehr in sich gekehrt wirkenden Künstlerin. Dann wieder ließen Passagen Assoziation zu „sacred music“ zu – ein Hauch von Pow Wow kam mitunter auf. Patti Smith als moderne Schamanin?
Die grandiose Version des Jimi Hendrix-Klassikers „Are You Experienced?“ passte in dieses eine der vielen Bilder des Abends: Sie begann als Meditation und entwickelte sich zu einer Trance-haften Improvisation wobei Smith’s Klarinette eher wie eine Zurna aus dem marokkanischen Rif klang. The Drums And Pipes of Jajouka hatten schon den verstorbenen Rolling Stone Brian Jones fasziniert.
Ihren Song „Blakean“ leitete sie mit einer Moderation über Goethe ein, erzählte von Goethes Geburtshaus in Frankfurt, wusste, dass es im Krieg restlos zerstört, aber wieder aufgebaut wurde, auch um Goethes Geist zu erhalten. Ob sie das Goethehaus vorm Soundcheck besucht hatte, wusste keiner der Veranstalter, ist aber denkbar. Denn Patti Smith sucht immer kulturelle Städte auf, wollte bei ihrem letzten Berlin-Besuch das Grab von Brecht sehen, packte davor ihre Klarinette auf, um spontan zu spielen, was Friedhofspesonal auf den Plan rief, die sie aber gewähren ließen als sie entdeckten, wer da spielte. Vorm Schlagzeug entdeckte man eine libanesische Fahne, einen Song widmete Patti Smith den palästinensischen Kindern, eine auf die Bühne gereichte tibetische Flagge wurde gerne kurzzeitig als Umhang benutzt – die Friedensbotschaften einer Frau, die in „Rock ‘n’ Roll Nigger“ provozierend „Jimi Hendrix was a nigger. Jesus Christ and Grandma, too.“ sang, deren Losung nach ihrem Comeback dann – vielleicht ein wenig naiv in vieler Ohren – „People Have The Power“ lautete und die ihrem Publikum an diesem Abend auch predigte, das nie aus dem Blick zu verlieren. Ok, radikal klingt anders, aber ihre Revolution light ist dann immer noch glaubwürdiger als das ganze Gutmenschen-Gehabe der Kollegen Sting und Bono, die vielleicht das globale Weltgeschehen politisch besser durchblicken als Patti Smith, dabei aber immer auch selbstgefällig und mediengeil wirken.
Hände schüttelnd, glücklich lächelnd und winkend verließ Patti Smith schließlich die Bühne, gab ihrem seligen Publikum das Gefühl, dass sie ihren Traum lebt. Mit allen Widersprüchen, die längst aber auch ihre Authentizität ausmachen.