Überleben war Zufall

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Wie oft mag sie die Geschichte ihres Lebens bereits erzählt haben? Und doch - nichts an ihren Worten wirkt routiniert, auch nach bald 70 Jahren ist keine innere Distanz zum Geschehen zu spüren. Wenn Trude Simonsohn schildert, wie sie als tschechische Jüdin und Aktivistin in der zionistischen Jugendbewegung 1942 zunächst verhaftet und später nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert wurde, dann scheint sie für Momente dorthin zurückzukehren und alles noch einmal und mit ungebrochener Intensität zu durchleben. Und der Zuhörer, der gar nicht anders kann, als ihr auf dieser Reise zu folgen, erfährt mit Staunen und Erschrecken, dass Überleben damals Glück, Zufall, eine Würfellaune des Schicksals war, sich mitunter aber auch kleinen, unerwarteten Gesten der Menschlichkeit inmitten einer mitleidlosen Hölle verdankte.

Warum ihre Eltern, warum alle ihre Angehörigen und viele Freunde ermordet wurden, während sie - "mit welchem Recht?" - weiterleben durfte, diese quälende Frage hat sich Trude Simonsohn immer wieder gestellt, und bis heute sind Schuldgefühle die einzige Antwort darauf geblieben. Deshalb, "aus Verpflichtung den Toten gegenüber", müsse sie ihre Geschichte immer wieder erzählen, begründet sie ihr unermüdliches Engagement als Zeitzeugin und Aufklärerin. Vor allem das Gespräch mit jungen Menschen liegt ihr am Herzen, damit diese begreifen, dass Holocaust und Krieg damals nicht wie ein Verhängnis über Europa hereinbrachen. "Gott darf man das nicht in die Schuhe schieben. Das haben Menschen getan." Und immer seien es Einzelne gewesen, die sich entschieden haben, mitzumachen oder sich zu widersetzen. Den wenigen, die damals "Nein gesagt haben", gelte ihre ganze Wertschätzung, betont Trude Simonsohn.

In Theresienstadt, Hitlers angeblichem "Vorzeigelager", haben sich Berthold Simonsohn und die damals 21 Jahre alte Trude Gutmann kennen gelernt. Dort haben sie auch kurz vor ihrer Deportation nach Auschwitz geheiratet. Beide waren zuvor in der zionistischen Jugendbewegung aktiv gewesen, beide waren fest entschlossen, nach Palästina auszuwandern, falls sie das Konzentrationslager überleben sollten. Und in Theresienstadt fanden sie sich auch nach der Befreiung wieder, so als sei dieser Ort für sie, die sie ihre Familien, ihr Zuhause, ihre Wurzeln verloren hatten, als einziger Anhaltspunkt für ein Anknüpfen an ihr vormaliges Leben geblieben. Um nach Palästina emigrieren zu können, hätten sie sich in ein "Displaced Persons' Camp" begeben müssen, aber ein weiterer Aufenthalt im Lager? Niemals, entschied das Paar. Über Prag und die Schweiz gelangten die beiden stattdessen nach Deutschland. "Ich wäre meinem Mann überallhin gefolgt, sogar bis ans Ende der Welt", beteuert Trude Simonsohn.

Jetzt wurde daraus Hamburg, aber für die Jüdin aus dem nordmährischen Städtchen Olmütz, die "Deutschland bisher nur hinter Stacheldraht kennen gelernt" hatte, bedeutete das vielleicht sogar das größere Wagnis: "Hier habe ich erst begriffen, wie demokratisch und liberal ich in Tschechien erzogen worden war." Für ihren Mann hingegen, der 1912 in Bernburg an der Saale geboren wurde, war es Rückkehr und Neuanfang zugleich. Sofort widmete er sich dem Aufbau der jüdischen Gemeinden. 1955 wurde er als Leiter der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland nach Frankfurt berufen, wo er 1962 auch eine Professur für Sozialpädagogik und Jugendstrafrecht erhielt. Erst nach seinem Tod im Jahr 1978 begann Trude Simonsohn, sich stärker politisch und sozial zu engagieren, als Zeitzeugin, in der Jugendgerichtshilfe, als Jugendschöffin, im Überlebendenbeirat des Fritz-Bauer-Instituts und als Gemeindevorstand und Vorsitzende des Gemeinderates. Für ihr vielfältiges Engagement hat sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten.

Die "Arbeit mit jungen Menschen" sei das prägende Moment in ihrem Leben gewesen, sagt Trude Simonsohn im Rückblick. Der Kontakt mit Schülern und Heranwachsenden hat die fast 88-Jährige bis heute jung bleiben lassen. So findet sie die Diskussion mit den Jugendlichen im Anschluss an ihren Zeitzeugenbericht immer das Wichtigste und Spannendste an diesen Begegnungen. Ablehnung, Feindseligkeit, gar Antisemitismus habe sie auf diesen Veranstaltungen kaum einmal erlebt, versichert Trude Simonsohn. Dass sie selbst trotz allem, was man ihr angetan hat, frei von jedem Hass geblieben ist, scheint die jungen Menschen zu beeindrucken und ihr eine moralische Autorität zu verleihen, die aber nie einschüchternd oder bedrückend wirkt. Ihnen die Notwendigkeit eines aktiven gesellschaftspolitischen Handelns zu vermitteln - dieses Ziel treibt sie bis heute an.

Als Trude Simonsohn selbst jung war, war sie eine begeisterte Sportlerin. Medizin wollte sie damals studieren, und sie träumte davon, mit anderen Zionisten zusammen ein neues jüdisches Gemeinwesen in Palästina aufzubauen. Dass alles anders kam - auch damit hadert sie nicht: "Ich hatte mir soviel gewünscht, nichts davon hat sich erfüllt. Seitdem lasse ich das Schicksal laufen", sagt sie mit der für sie so typischen Lakonie. Bis heute bleibt ihr Blick auf die Vergangenheit klar, scharf und unverstellt, und doch schaut sie nie zurück in Bitterkeit und Zorn.

Text: Barbara Goldberg/PIA, Foto: Rüffer


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