Nur so geht’s, wenn Weihnachtsklassiker „verjazzt“ werden. Alles nur kein Swinging Christmas. Tango Transit führt als Trio den „Winterjazz“ in neue Sphären. Die Traditionals sind virtuos, grooven, atmen, haben Atmosphäre, Charakter und sind auf kitschfreie Weise feierlich.
Detlef Kinsler /
JOURNAL FRANKFURT: Vom Duo zum Trio und jetzt heißt es „Tango Transit spielt Engelrausch“. Eine logische Konsequenz aus eurer Zusammenarbeit im Basistrio, auch den Konzerten im letzten Jahr? Was haben die Interpretationen des ersten Albums hinzugewonnen und was bedeutete die Hinzunahme des Schlagzeugs für die Produktion der neuen CD?
Martin Wagner: Das war für mich absolut zwingend. Durch unsere intensive Zusammenarbeit bei Tango Transit habe ich sehr großen Gefallen an unserer Trio-Konstellation gefunden. Wir ergänzen uns extrem gut. Ich hatte schon in der Duo-Zeit einige Bearbeitungen gemacht bei denen mir erst jetzt - bei der Realisierung im Trio - klar geworden ist, dass das Schlagzeug da fast schon unbeabsichtigt eingeplant war, Andreas war also virtuell quasi schon vorher mit am Start.
Schon früh habt ihr euch auf den Begriff „Winterjazz“ verständigt. Auch Sting hat bekanntlich darauf verzichtet, einfach nur mit Bearbeitungen von X-Mas-Standards den ohnehin gesättigten Markt zu überschwemmen. Besseres Marketing und eine Frage des guten Geschmacks?
Wir gehen zunächst absolut vom künstlerischen Standpunkt aus und produzieren Inhalte, die uns wichtig erscheinen und die uns ein Anliegen sind. Erst entsteht etwas, dann kommt die Beschreibung. Und was drin ist, das soll dann auch außen drauf stehen. Der Begriff „Winterjazz“ war plötzlich einfach da, er ist warm und drückt das Kreative und Improvisatorische aus. Für die aktuelle Produktion haben wir allerdings noch einen anderen Slogan gewählt: „Fantastische WeihnachtsWinterMusik“ - das macht noch deutlicher dass wir nicht - wie man es häufig hört - Themen nehmen, rhythmisieren und eben darüber improvisieren dass es klingt wie bei irgendeinem Jazzstandard. Hier wollen wir rüberbringen, dass wir mit viel Fantasie eine Musik entwickelt haben, die auf vielen Ebenen wirkt und dadurch auch Zuhörer erreicht ,die sonst bei Jazz eher zurückschrecken.
Die Engel im Rausch, die auch mal mit dem Teufel flirten stand schon mal im JOURNAL. Traf das den Charakter, den ihr euren Interpretationen geben wolltet, sprich nicht nur Feierliches, Melancholisches, Beschauliches, gar Kitschiges abzuliefern?
Das ist einer der besten Sätze und trifft es 100%ig. Heute würde man eher sagen, sie machen Party mit dem Teufel. Da ist ein teuflischer Masterplan drin, die Musik dieser Jahreszeit zu entkleistern, ganz viel Witz und Ironie. Das klappt auch, es gibt Leute die sind davon wie besessen. Und wir spielen natürlich auch einfach wie die Teufel.
Welche Kriterien gab es für die Auswahl des Repertoires für die beiden Platten und wie wichtig war/ist es euch, auch eigene Kompositionen zum Thema beizutragen?
Kriterium ist immer die Idee zum Stück selbst. Wenn die Idee trägt, wird das Stück gut, ganz einfach. Natürlich muss man bei der Zusammenstellung eines Programms viele Dinge beachten, Abwechslung von schnell und langsam, laut und leise, im Klang, usw. Die meiste kompositorische Arbeit steckt übrigens in den Stücken, die es vorher schon gab. Bis man die zerpflückt und neu zusammengesetzt hat... Die einzige eigene Komposition „Tit For Tat“ ist eigentlich eher durch einen Zufall reingerutscht: Der Titel, übersetzt „Wie Du mir, so ich Dir“ spielt auf den gegenseitigen Schenkwahn oder gar Schenkzwang an. Musikalisch ist das eher ein Schlagabtausch, erst das Trommelsolo von Hanns auf dem Kontrabass, dann die Antwort auf den Drums von Andreas. Wenn der eine mir abgelaufen Schokolade schenkt ...
Klassik, Jazz und Folk als Eckpunkte eines weiten Feldes auf dem man sich bewegen kann... Was den Jazz betrifft, betont ihr immer gerne: bitte keine Swinging Christmas? Welche Grooves bevorzugt ihr?
Für mich ist das überhaupt kein Thema des konkreten musikalischen Stils, sondern eins des Grundansatzes. Swinging Christmas beschreibt ungefähr das was ich oben schon angedeutet habe: da wird ein Stück genommen, kurz mal ein Rhythmus gesucht, und dann kann man ziemlich schnell das Thema im James-Last Modus etwas answingen, dann etwas improvisieren und gut ist. Kurz, das Stück wird mal eben in den Jazz-Kontext rübergeholt. Wir gehen ganz anders ran: Die Stücke werden auf ihre Stimmung reduziert und dann quasi neu zusammengebaut. Wir spüren dem Stück deutlicher nach, kriechen rein und schieben das Endprodukt in die richtige Richtung, und batsch, klingt jedes Stück unverwechselbar. Wir denken z.B. oft in Bildern, in Stimmungen und genau die muss Musik rüberbringen. Zum Beispiel muss man das Schiff sehen das da geladen kommt, man muss die Kraft spüren die das Schiff beim Näherkommen mitbringt, diesen unglaublichen Impuls. Im Dornwald muss man sich fürchten, und der Zuhörer mit. Da kann man nicht einfach abswingen.
Dynamik ist euch unüberhörbar auch wichtig, sprich das Tempo wird gerne auch mal bei aller Feierlichkeit forciert... Was die Konzerte betrifft: was wollte ihr eurem Publikum für die Feiertage mit nach Hause geben?
Zwei Stunden purer Spaß und das Gefühl, dass es toll ist in ein Konzert zu gehen und frischer unverkrampfter Musik zu lauschen.
Auch wenn ihr musikalische Season's Greetings präsentiert: auf Platte und sicher mehr noch bei den Konzerte verhaltet ihr euch wie bei „normalen“ Jazzkonzerten: es wird improvisiert und auch Kontrabass und Schlagzeug erhalten ihren Raum was sicherlich auch vom Publikum goutiert wird?
Das liegt in der Natur der Sache: Abwechslung und Fantasie sind entscheidend, um die Zuhörer mit der Musik zu fesseln und ihnen etwas zu erzählen. Wir sind ein Trio mit drei Musikern, die etwas zu sagen haben, ein Trio, das mit drei Stimmen spricht. Und das kommt genau so rüber,
Was die Stimmungen betrifft, die die unterschiedlichen Songs evozieren: da wird auch deutlich, dass nicht nur im Schnee Weihnachten gefeiert wird...
Ich persönlich glaube, dass hier die Besonderheit des Akkordeons eine große Rolle spielt: es ist in sehr vielen, fast allen Kulturen der Welt verwurzelt und Mentalitäten finden ihren Ausdruck. Letztlich fließen sie parallel dazu auch im Jazz irgendwo zusammen, das ist die Musik, die den Platz dafür gibt, die Klammer. Mir ist auch wichtig, dass keine intellektuelle Musik entsteht, sondern eine ganz natürliche, die die Zuhörer auf eine Reise mitnimmt. Da klingen die Weihnachtsglöckchen schon mal karibisch.