Notizen aus der Provinz: Ein Ausflug ins Mittelalter

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Jasmin Takim /

Szene 1 quer

Haben Sie schon mal so was erlebt? Männer mit Fellumhängen und Frauen in knöchellangen Staubfängern tummeln sich auf den Straßen und tun so, als sei die Erde eine Scheibe und Karl der Große amtierender Kanzler. So geschehen am Wochenende in meinem beschaulichen Heimatstädtchen am Rande des Taunus. Mittelalter-Märkte schießen seit Jahren wie Pilze aus dem Boden - plötzlich und ohne große Vorankündigung überrollen sie die Schlafstädte im Frankfurter Speckgürtel, wie einst die Pest oder der Dreißigjährige Krieg. Doch was zieht die Menschen hin zu den Mummenschanz-Veranstaltungen, die mit einem mittelalterlichen Markt wahrscheinlich so viel zu tun haben wie Käse-Ersatz mit Emmentaler? Ich will es endlich wissen.


Sarazenenritter und friesischer Fokko hochDas Spektakel der Mittelalter-Recken vom Oberurseler Verein „Ursellis Historica“ bleibt allen Klischees treu: Dudelsäcke und Flötengedudel erfüllen die Luft, bei den Fressbuden und Marktständen laben sich Gaukler, Schwertkämpfer und Burgfräulein jeden Alters am Honigmet, an der Kochstelle im Zeltlager rauchen die Tempelritter ihr Kippchen. Ein Freizeitcamp für Erwachsene.
An der Kasse empfängt mich Husam Ibn Rashid, ein mittelalterlicher arabischer Glaubenskrieger mit blondem Bart. Rund 2000 Euro hat Husam alias Carsten Hampel (Foto links) für seine Sarazenen-Rittertracht hingeblättert, inklusive Schwert, kratzigem Leinengewand und Lamellenrüstung. „Die Ausstattung ist teuer, da gehört schon viel Enthusiasmus dazu.“ Im wirklichen Leben ist der 34-Jährige Bankkaufmann und trägt Schlips und Sakko. Wie alle seine Kollegen von Ursellis Historica hat auch er ein mittelalterliches Alter Ego. „Jeder spielt hier eine Rolle, wie im Theater.“ Was ihn gerade an der düstersten aller Epochen so fasziniert? „Da haben die Uhren noch ganz anders getickt. Keine Handys und MP-3-Player, für mich ist das Entspannung pur.“

Szene 2

Die Träger der Harnisch-und-Helm-Couture sind an diesem Tag wahrlich nicht zu beneiden – bei gefühlten 40 Grad in der Sonne ist das Ritterleben eine schweißtreibende Sache. Auch Fokko Tom Lehmede alias Achim Lameyer laufen unter seiner pelzverbrämten Zipfelmütze die Schweißperlen über die Stirn. Doch die Mütze gehört einfach dazu zum Wikinger-Look, meint Fokko/Achim (Foto neben Carsten Hampel). Im Herbst hat der Condor-Vertriebsleiter den Mittelalter-Verein gemeinsam mit Gleichgesinnten gegründet, seit Monaten sind sie schon mit den Vorbereitungen für den Markt beschäftigt. 55 Händler, Kräuterhexen und andere Freaks hat er in den Taunus geholt, „die Szene ist groß, es sind sogar Leute aus Frankreich und Österreich gekommen.“ Kollegen und die Familie haben sich mittlerweile an seine Mittelalter-Macke gewöhnt. „Ich brauche diese gelegentlichen Zeitreisen als Ausgleich zum Alltag. Und mit Spott kann ich gut leben. Man muss halt ein bisschen bekloppt sein dafür.“

Szene 3


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