Mit Pauken und Trompeten zur Gottesfurcht

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Es kommt einem vor, als stoße auch die Alte Oper manchmal an ihre räumlichen und akustischen Grenzen, so gewaltig und raumfüllend kann Musik sein. Wie das Et Exspecto Resurrectionem Mortuorum von Olivier Messiaen, eine Auftragsarbeit zur Erinnerung an die Toten der beiden Weltkriege, komponiert für 38 Musiker für Holz- und Blechbläser und Metallschlaginstrumente. Die 5 Sätze – untertitelt mit Bibelzitaten – präsentieren ein Untergangszenario mit anschließender Auferstehung, die als Bibelkommentar, quasi als katholisches Credo zu verstehen sind. Mystische, dämonische, aber auch schrille Töne wie Vogelschreie schaffen Crescendi, die anschwellen bis an die Schmerzgrenze, Paukenschläge (Tamtam), die einem durch Mark und Beine fahren, jenseits der konservativen Harmonielehre. Diese Musik fordert viel Raum – dafür wurde sie auch komponiert – und sie lässt keinen Zuhörer emotionslos. Am Dirigentenpult Simon Rattle, der mehrfach ausgezeichnete Sir, führt die Berliner Philharmoniker seit 2002. Er reduziert den Taktstock auf das eigentliche, die linke Hand setzt die erkennbaren Zeichen für das Orchester.

rattle_hochGrundsätzlich wirkt er eher bescheiden und zurückhaltend, kurze aber deutliche Gesten an entscheidenden Momenten. Das Et Expecto verlangt Führung, eine Art „göttliche Wegweisung“. Die Schluss-Crescendi werden mit weit ausgebreiteten Armen dirigiert. Ob er sich bewusst ist, welch Ambivalenz seine Gestik ausdrückt? Nach der Pause: volle Besetzung, rund 100 Stiftungs-Musiker verlangen ihren Platz auf der Bühne. Der Einstieg in des ersten Satz der 9. Sinfonie Brückners klingt wagnerisch, flirrende raumfüllende Klänge von enormer Wucht! Tiefe Töne aus Nibelheim? Eben dieser Richard Wagner nannte Bruckner „den bedeutensten Sinfoniker nach Beethoven“, die 9. Sinfonie d-moll trägt dazu bei, leider unvollendet. Wie Messiaen ist Brückner vom starken katholischen Glauben geprägt und überzeugt, sodass er bis in seine Kompositionen vordringt. Erneut kommen einem Gedanken an das „jüngste Gericht“. Gottes Allmächtigkeit ist unausweichlich. Wieder wirkt Simon Rattle anfangs bescheiden, kurzes Kopfnicken mit großer Wirkung, er dirigiert auswendig. Unsichtbare Fäden verbinden Musiker und Dirigent. Die Musiker zerfließen unter seinen Händen, man vergisst zu atmen, hält die Luft an. Er wirkt fast abwesend in der Musik versunken, genießend. Seine Musiker brauchen ihn eigentlich nicht, weil sie so gut sind. Nur sein Mund bewegt sich, er scheint mit den Musikern lautlos zu kommunizieren. Lange Sekunden Stille nach dem Schlussakkord, dann ist Simon Rattle wieder bei uns. Große anhaltende Beigeisterung beim Publikum der ausverkauften Alten Oper, fünf Vorhänge. Yes, Sir, You can!

Text: Tom Tizian, Fotos: Anne Meuer/Alte Oper Frankfurt


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