Mein Freundeskreis ist geteilter Meinung, als ich erzähle, dass ich Karten für das Konzert von Anne Clark habe. Manche zeigen Begeisterung, andere reagieren eher indifferent – am erstaunlichsten finde ich aber die Reaktion vieler, die ahnungslos fragen: „Wer ist Anne Clark?“ Die Ikone des düsteren Sprechgesangs aus den Achtzigern scheint selbst bei meinen Altersgenossen ziemlich in Vergessenheit geraten zu sein, obwohl einige der damaligen Hits heute noch auf den Tanzflächen von Indie-Discos und bei Gothic-Partys laufen. Allerdings muss auch ich vorab erst einmal im Internet nachsehen, was Clark an neuem Material zu bieten hat. Ein Album aus dem vergangenen Jahr soll vermutlich die Basis ihrer aktuellen Tour werden. Was darauf zu hören ist, klingt wie ein Querschnitt ihres Schaffens der letzten zwei Jahrzehnte – nichts Aufregendes also, aber eine gute Grundlage für ein ausgewogenes Konzert.
Als ich an der Batschkapp eintreffe, steht einen kleiner, schwarzer Tourbus vorm Elfer. Da keine Vorgruppe spielt, muss das Anne Clarks Vehikel sein. In den Achtzigern fuhr sie noch mit ganz anderen Kalibern vor. Das ist wohl der Preis eines Comebacks ... Auch das Publikum in der Schlange vorm Batschkapp-Eingang lässt darauf schließen, dass Clark mit ihrer neuen Platte kaum junge Zuhörer erreicht. Die meisten der Wartenden sind deutlich über Dreißig und fühlen sich hier wie in früheren Zeiten, als die „Kapp“ noch ihr zweites Wohnzimmer war. Sogar der obligatorische Brezelmann läuft klingelnd herum. Dass inzwischen nur noch draußen geraucht werden darf und das Bier in Coca-Cola-Plastikbechern ausgeschenkt wird, bemängelt niemand. Nur der Geruch nach dem Schweiß vieler Menschen in der aufgeheizten Halle lässt mich den alten Zigarettenqualm zurückwünschen.
Wenn ein fremder Ellbogen die Kamerahand erwischt ...
Die Bühne füllt sich; ein Schlagzeuger, ein Geiger, ein Gitarrist und zwei Keyboarder nehmen ihre Plätze ein, dann tritt Anne Clark völlig unspektakulär hinzu. Ihr wird noch relativ verhalten applaudiert, zumal sofort langsame Musik erschallt. Bei den ersten Liedern will keine rechte Atmosphäre entstehen. Die Töne plätschern vor sich hin, Clarks Stimme ist nicht darauf ausgelegt, die Songs allein zu tragen. Doch dann kommt Schwung in die Sache. Der Schlagzeuger legt einen Zahn zu, der Gitarrist schrammelt drauf los, Anne Clark wird lauter. Bei „Wallies“, einem ihrer alten Hits, horcht das Publikum sichtbar auf. Plötzlich wackeln die Hüften, wippen die Füße, zucken die Schultern. Die Blondine vor mir wirft ihr langes Haar herum und schwenkt die Arme von rechts nach links. Ich muss einen Satz beiseite machen, weil mein Nachbar beim Tanzen einen vollen Becher umstößt. Als direkt im Anschluss der Achtziger-Knaller „Sleeper in Metropolis“ gespielt wird, sind endgültig alle hellwach – und der Applaus nimmt andere Dimensionen an.
Clark spricht noch ein paar Songs, bevor sie für eine Weile von der Bühne verschwindet, um dem Kollegen, der zuvor an einem der Keyboards stand, das Feld zu überlassen. Dieser singt ein Lied mit erschreckend hoher Stimme, die an Heintje erinnert, und versetzt das Publikum bereits mit dem nächsten Song wiederum in Erstaunen. Was da nach Prodigy klingt, ist lediglich ein Schlagzeug im Hintergrund, gepaart mit Tönen, die aus den tiefsten Tiefen seiner Kehle zu stammen scheinen. Ich bekomme eine Gänsehaut ... Beeindruckend! Durch die Bässe angeheizt, jubelt die Menge Anne Clark zu, die auf ihren Platz zurückkehrt. Diesmal bewegt sie sich sogar ein wenig von ihrem Stand-Mikro fort. Mittlerweile ist die Luft drückend stickig, der Geruch nach vielen Körpern beinahe unerträglich geworden. Clark lässt sich dadurch nicht beirren und spricht einige neue Songs, unter anderem das hypnotische „Full Moon“ vom aktuellen Album. Zwei Zugaben später endet ein anfangs zäher, dann mitreißender Abend. Mehr hatte ich mir nicht erhoffen können, da die Band sämtliche großen, alten Hits gespielt und erfrischend mit einigen Neuheiten garniert hat.