Man muss die Feste feiern – und nicht fallen

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Andreas Dosch /

herr_p6Herr P. fährt Bahn

Herr P. war im Stress. „Allez, allez!“, rief er dem ICE-Schaffner zu, um seinem Verlangen deutlich Ausdruck zu verleihen. In Paris angekommen, eilte er zum geselligen „Rendezvous unterm Eiffelturm“, bestellte einen halben Liter Rotwein, machte ein Foto, kaufte einem afrikanischen Händler einen Strohhut ab und fuhr anschließend zurück. Leider musste der Schnellzug kurz vor der deutschen Grenze wegen eines Selbstmordattentäters auf offener Strecke eine ungeplante Rast einlegen, sodass Herr P. den Anschluss nach Kassel nur mit Mühe erreichte.
In der nordhessischen Metropole war die documenta-Eröffnung bereits in vollem Gange. Herr P. warf einen kurzen Blick auf den Bergpark, knabberte eine „aale Kunstbratwurst“, machte sich bei den Wasserspielen frisch und spurtete zum Bahnhof Wilhelmshöhe. Mit dem ersten Frühmorgenzug erreichte er das Erdbeerfest in Erbach, trank ein Glas Bowle, bewunderte die Aussicht – doch keine Müdigkeit vorgeschützt, weiter zum Johannismarkt nach Lorsch!
Der alkoholfreie Wein, den er dort am Hartz-IV-Stand bekam, schmeckte fürchterlich, also nichts wie hin zum Limburger Altstadtfest. Unter dem Dom, ein Guinness an den Lippen, nickte Herr P. kurz ein, träumte von Rippchenwettessen und Grüne-Soße-Catchen, bis ihn das Kirchengeläut aus seiner Lethargie riss.
Der Terminkalender war eng, das Langener Ebbelwoifest wartete bereits. Als Herr P. schnaufend in die S-Bahn stieg, sprach ihn ein neugieriger Tabloid-Reporter von der Seite an: „Sind Sie der Event-Hopper?“ „Der was?“, murmelte Herr P. und wurde aufgeklärt, dass sich seine Rekordmission, innerhalb weniger Tage so viele Fes-tivitäten wie möglich wahrzunehmen, mittlerweile herumgesprochen hatte. In Langen wartete bereits die „Hessenschau“.
Herr P. teilte sich einen Äppler mit Constanze Angermann, und als er mit letzter Kraft den Bergsträßer Weinmarkt in Heppenheim erreichte, stand schon der Bürgermeister am Bahnsteig Spalier. Den Riesling im Sturztrunk, die Urkunde unterm Arm, trat Herr P. schließlich den Heimweg an, taumelte über den mit Buden bestückten Opernplatz und brach auf dem Berger Straßenfest zusammen.
Als er im Krankenwagen erwachte, beugte sich eine attraktive Not-arzthelferin über ihn. „Sie müssen etwas langsam machen, in Ihrem Alter“, hauchte sie. Herr P. seufzte, murmelte etwas von „Parade der Kulturen“ und machte erschöpft die Augen zu.

Erschienen im Journal Frankfurt, Ausgabe 13/2007; Illustration: Stephan Rürup


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