Herr M. wird mit Handschellen in den Gerichtssaal geführt und spricht kein Deutsch. Sollte man jedenfalls denken, denn er hat eine Dolmetscherin neben sich sitzen. Herr M. ist polnischer Staatsbürger, ein sehr kleiner Mann von 30 Jahren, der zur Zeit in der JVA Weiterstadt untergebracht ist. Im Zuschauerraum sitzt eine junge Frau, mit der er Zeichen austauscht; die Mutter seines neun Monate alten Kindes, wie sich später herausstellt. Die Staatsanwaltschaft wirft Herrn M. vor, in einer Kneipe in Bad Soden zwei Gästen ihre Geldbörsen und ihre Mobiltelefone gestohlen zu haben. Zu dem Vorwurf will Herr M. sich nicht äußern; also befragt das Gericht einen der beiden Geschädigten. Herr K. ist ein großer, stabiler Typ im Anzug und mit breiten Schultern. Er habe nach einer Geschäftsreise mit einem Freund am Tisch gesessen. Nach dem Bezahlen hätten die Portemonnaies und die Handys auf dem Tisch gelegen; sein Bekannter sei noch einmal zur Toi-lette gegangen. Plötzlich sei vom Nebentisch ein junger Mann aufgestanden, habe ihm einen Stoß vor die Brust versetzt, sich die Wertgegenstände geschnappt und weggelaufen. Herr K. hatte noch die Verfolgung aufgenommen, vergeblich. „Hätte ich meine Laufschuhe angehabt, hätte ich ihn erwischt“, sagt er. Insgesamt sind 2200 Euro abhanden gekommen. Monate später hat Herr K. den Angeklagten bei einer Gegenüberstellung einwandfrei identifiziert. Der Anwalt von Herrn M. stellt merkwürdige Fragen und wirkt insgesamt ein wenig desorientiert. Er spricht von einer Kellnerin, die er gerne noch als Zeugin hören würde; der Richter verliest die Vorstrafe des Angeklagten: Diebstahl. Plötzlich kann Herr M. auch Deutsch sprechen: „Nix Bad Soden“, ruft er erregt. Der Richter deutet an, dass es besser für Herrn M. wäre, auch weiterhin den Mund zu halten. Die Kellnerin-Zeugin allerdings will auch er gerne hören. Denn schließlich ist nicht sicher, ob Herr M. überhaupt in besagter Kneipe war. Also wird der Prozess vertagt. Für Herrn M. heißt das: Zurück nach Weiterstadt.Christoph Schröder