Ein Jahr wie im Schlaf

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Petra Spahn /

spahn0107Es ist zum Schreien! Es ist fünf vor Weihnachten, und ich schleife mal wieder total hinterher. Dabei hatte ich doch zwei, drei tolle Geschenkideen. Im Mai. Oder war’s März? Ich kann mich nicht erinnern. Hätte ich wie jeder normale Mensch im Frühjahr meine Weihnachtsgeschenke gekauft, würde ich mich jetzt besser fühlen. Weihnachtlicher sowieso.

Die letzten zehn Tage im Jahr sind bei mir immer das gelebte schlechte Gewissen. Was hätte ich nicht alles vorher erledigen können. Ja, müssen! War nicht gerade noch Fasching? Oder Ostern? Sssst – vorbei! Und auf dem Weg durch die Zeit ist mir irgendwie allerlei dazwischengekommen. „Was issen jetzt mit deiner Steuer?“ – die genervte Frage meines männlichen Kontrollausschusses bohrt wie auf einen freiliegenden Backenzahnnerv. Steuer 2005 – ein Akt, mit dem ich es eigentlich an mindestens der Hälfte aller fünfzig zurückliegenden Wochenenden aufnehmen wollte. Ehrlich! Trotzdem macht mir die andere Hälfte der gemeinsamen Steuererklärung den obligatorischen Jahresendzeit-Vorwurf: „Du kriegst echt nix gebacken!“

spahn0107_2Okay – mein Jahresrückblick 2006 fällt ernüchternd aus. Die Kellerausmistung wollte ich nach 2004 und 2005 diesmal wirklich angehen! Auch der überquellende Karton mit dem Zeug für Ebay steht schon ziemlich lange unter meinem Bett. Und irgendwie habe ich es auch dieses Jahr wieder verpeilt, den Kostenplan zur Krönung meines wurzelbehandelten Zahns zur Krankenkasse zu bringen! Echt am Herzen lag mir die Mega-Idee für meinen ersten Roman – na ja, aber ich hatte nie Ruhe für so was! Gartenhütte streichen, Flur renovieren, Fugen im Bad auffrischen: alles Sachen, die einem ständig dazwischenkommen konnten. Ja, konnten. Aber selbst die mussten ja aus triftigen Gründen aufgeschoben werden. Sicher, die Verlängerung des Anwohnerparkausweises wäre dringend gewesen. Und bei der Gelegenheit hätte ich auch irgendwann mal gucken müssen, wie lange die Kiste überhaupt noch TÜV hat – nur so ungefähr. Ach, und am Zeugnis vom Arbeitgeber aus dem vergangenen Jahrtausend war ich im Sommer wirklich noch nah dran. Habe ich am Ende anno 2006 schlicht verschlafen?

„Prokrastination!“, flüstert mein Lebenspartner besorgt. „Aufschieberitis! Alles bis zum Gehtnichtmehr verdrängen! Du hast ein Problem!“ Aufschieberitis? „Ich glaub, DU hast’n Duppen!“, wehre ich mich. Ganz klar: Hier verwechselt einer Gelassenheit mit Drückebergerei. Der Mensch muss Prioritäten setzen! Doch ausgerechnet er, sonst sehr mediterran-männlich, mimt hier die deutsche Zicke. Genüsslich deutet er auf den Ablage-Mount Everest meines Schreibtischs und schüttelt den Kopf. Klar, was soll ich Verständnis erwarten von einem, der seine tägliche Post umgehend geordnet abheftet? Sicher wäre aus ihm eine tolle Vorstandssekretärin geworden. Wahrscheinlich erinnert er mich auch deshalb: „Wolltest DU nicht deine Freunde zu unserer Silvesterfeier einladen? Und wolltest DU nicht das Essen organisieren?“ Ääh, Silvester. Auch das noch! Ich grübele. „Klar! Mach ich morgen! Direkt!“

Ich atme durch. Was soll die ganze Aufregung? Schließlich sind noch immer ein paar Tage Zeit. Genügend sogar, um nebenbei noch andere Dinge zu erledigen. Vielleicht sogar die Steuer 2005. Im Prinzip könnte ich 2006 gleich mitmachen. Auf die alten Tage des Jahres fühle ich mich plötzlich voll motiviert und entwerfe mal schnell einen Zeitplan. „Ich mach das alles locker zwischen den Jahren!“, flöte ich. „Klar!“, sagt er. „Wahrscheinlich zwischen 2008 und 2015!“, trompetet er. Es reicht! Hier müssen deutlich Prioritäten gesetzt werden! Ich werfe ihm meinen Hausschlappen hinterher und beschließe: Das Jahr war anstrengend genug! Ich finde, für den „Miss Well-organized Award“ ist 2007 immer noch genügend Zeit. Oder? Es liegen ganze 365 Tage vor uns. Gehen wir es doch einfach langsam an!

Erschienen im Journal Frankfurt, Ausgabe 1/2007; Fotos: Harald Schröder


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