Dokufilm über Frankfurt

Hart aber herzlich

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Vier Medienfrauen, drei Straßenjungs und ein neuer lokaler Filmverleih stecken hinter der aufregenden, tragischen, informativen Frankfurt-Doku „Tokat – Das Leben schlägt zurück“. Das JOURNAL FRANKFURT verlost Karten für die Premiere.

Andreas Dosch /

Sie hießen „Lamina“, „Club 77“ oder „Turkish Powerboys“, und sie trieben Anfang der 1990er-Jahre in Frankfurt am Main ihr Unwesen: Jugendbanden, gewaltbereite Cliquen. Circa 500 Frankfurter Jugendliche sollen zu ihnen gehört haben, wie es ein Nachrichtensprecher zu Beginn des neuen Dokumentarfilms „Tokat – Das Leben schlägt zurück“ mitteilt. Der Begriff „Tokat“ kommt aus dem Türkischen, bedeutet übersetzt „Backpfeife“, was eher harmlos klingt, wenn man weiß, dass er in besagten Gangs als Synonym für die nicht eben friedfertige Aktion des „Jemanden Abziehens“ benutzt wurde. Und abgezogen wurden viele, selbst untereinander. Vor allem, wenn Drogen im Spiel waren. „Tokat – Das Leben schlägt zurück“ ist das Kinodebüt zweier junger Frankfurter Filmemacherinnen, Andrea Stevens und Cornelia Schendel, die sich hier mit drei ehemaligen harten Frankfurter Jungs beschäftigen: Kerem, Hakan und Dönmetz stammen alle aus dem gleichen anatolischen Dorf, kamen in den Nachwendejahren als Teenager nach Deutschland, landeten in der großen hessischen Stadt am Main, schlossen sich besagten Banden an und waren bald im lokalen Drogenmilieu zwischen Bahnhof, Taunusanlage, Konsti (und darüber hinaus) aktiv: „Wir dealten in jedem Viertel.“

Die beiden Regisseurinnen verkehrten zu diesen Zeiten zwar nicht in solchen Kreisen, aber: „In den 90er Jahren waren wir Teenager, sind in Frankfurt und Offenbach aufgewachsen und hatten wie fast jeder von Jackendiebstählen, Drogen und Prügeleien gehört. Berichte über die Jugendkriminalität, wachsende Bandenaktivitäten und die Erinnerungen an unsere Jugend haben uns zu dem Film inspiriert. Wir fragten uns, was aus den Jungs und Mädchen von damals geworden ist. Es war uns wichtig, einen differenzierten Film über Jugendbanden zu machen, ohne diese oder deren Mythos zu glorifizieren.“ Die Protagonisten sollten sich also erinnern und von früher erzählen. Persönlich eher instabil, wurden sie bald selbst zu ihren besten Kunden. Persönliche Vorliebe: Kokssteine: „Wir waren nur am Dealen und am Ziehen.“ Nicht selten, dass sie in einer Nacht 10 000 DM durchbrachten. Die späte Erkenntnis, 20 Jahre danach: „Wir waren Idioten, unser halbes Leben ist weg“. Aber jetzt, so heißt es, habe man es „endlich kapiert“. Jetzt ist das Trio gezeichnet, zwei wurden in die Türkei abgeschoben, einer kuriert die körperlichen Folgen seiner kriminellen Suchtvergangenheit als gebrochener Frührentner weiterhin in Frankfurt aus.

„Mist braucht doch jeder“
„Tokat“ ist nur bedingt ein Film über Drogenverbrecher mit Migrationshintergrund. Sondern auch das Zeitporträt einer Stadt, wie sie es heute nicht mehr gibt. „Und vor allem geht es darum, wie die Fehler, die man in der Jugend macht, das ganze weitere Leben beeinflussen“, sagt Julia Irene Peters, der wir es zu verdanken haben, dass die spannende Dokumentation überhaupt in deutsche Kinos gelangt. Sie initiierte mit ihrer Kollegin Jutta Feit vor ziemlich genau einem Jahr den JIP-Filmverleih – mit Sitz in Frankfurt. Ursprünglich gegründet, um dem gemeinsam inszenierten Chor-Dokumentarfilm „Sing It Loud – Luthers Erben in Tansania“ einen vermarktungstechnischen Anschub zu geben, ist „Tokat“ nach der kürzlich gestarteten Doku „Citizen Animal“, ebenfalls von einem Frankfurter Regisseur, Oliver Kyr, bereits das dritte Verleihprojekt von JIP. Weitere, nicht nur regionaler Natur, sollen demnächst folgen. „‘Sing It Loud‘ war unsere Visitenkarte“, resümiert Peters. „Jetzt müssen wir schauen, dass wir auch ein paar größere Projekte an Land ziehen, um auf dem Markt Erfolg zu haben“. Und der ist schwer umkämpft, wie sie aus eigener Erfahrung weiß. Um eine Produktion wie „Tokat“, die beiden Verleiherinnen sehr am Herzen liegt, an den Start zu bringen, ist – gerade als im Alleingang agierendes Zwei-Frauen-Team – jede Menge Arbeit erforderlich. Während die Regisseurinnen Stevens und Schendel auf eine bundesweite Tour durch die Arthouse-Kinos geschickt werden, um nach den jeweiligen Vorführungen Publikumsgespräche zu führen, sitzen Peters und Feit zu Hause an den Telefonen und praktizieren das, was sie neudeutsch „Impact-Distribution“ nennen: die Analyse, an welches Zielpublikum der jeweilige Film herangetragen werden soll, wen er interessieren könnte.

Bei „Sing It Loud“ waren das beispielsweise „sämtliche Chöre von der großen Stadt bis zum kleinen Verein“, außerdem „alle denkbaren evangelischen Institutionen“, so Peters. Im Falle von „Tokat“ rief man nun eine enge Zusammenarbeit mit dem Jugendsozialwerk Internationaler Bund ins Leben und nahm auch selbst regional und über die Landesgrenzen hinaus Kontakte mit Schulen, Jugendzentren oder Jugendvereinen auf, um auf den Film und seine – durchaus universelle – Thematik aufmerksam zu machen. „Wir wollen auch ein bisschen weg von diesem Migrationshintergrund-Ding. Klar, da achtet man zuerst drauf. Aber genauso kann es auch einem Deutschen passieren, dass er am Rande der Gesellschaft landet“, sagt JIP-Chefin Peters: „Wenn in ‚Tokat‘ diese Typen vom Scheitern in ihrer Jugend erzählen, dann ist das nicht nur interessant und irgendwie berührend. Man denkt auch daran, dass man selbst als junger Mensch manchmal Mist gebaut und Fehler gemacht hat. Ich glaube, keiner ist da ganz unschuldig.“

Das JOURNAL FRANKFURT verlost 5x2 Karten für die Premiere von "Tokat – Das Leben schlägt zurück" am Donnerstag, 13. September, im Cinema.

>> „Tokat – Das Leben schlägt zurück“, Kinostart am 13.9.


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