Ausmisten zum Frühjahr

Favorisieren Teilen Teilen

Petra Spahn /

spahn_fruejahr1

Warum Tabula rasa gar nicht so einfach ist
Man muss auch mal loslassen können. Sich trennen, wenn’s genug ist. Adieu sagen. Vielleicht möchten Sie ja mit mir zusammen dem Winter hinterherwinken. Schneeflöckchen und Streusalz – und tschüss! Ach, und nehmt doch bitte diese komischen multicolor gestreiften Schals mit, die sich halb Frankfurt um den Hals gehängt hat. Es ist höchste Zeit, Platz zu machen für den Frühling!
Bei mir beginnt die Winteraustreibung wie immer an meinem Kleiderschrank. Darin: eine Altkleidersammlung. Aufräumen? Ausmisten? „Bringst du mir mal ’nen Müllsack?“ rufe ich meinem Lebenspartner entschlossen zu. „Übertreib’s nicht!“ hänselt der, „mehr als ein Einkaufstütchen schaffst du eh nicht!“ Meine Inventur dauert einen dreiviertel Sonntag. Ich entdecke Kleidungsstücke, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie überhaupt besitze. Am Ende trenne ich mich schweren Herzens von drei Paar löchrigen Wollsocken, einer nicht mehr ganz blickdichten Strumpfhose und einem angeschleuderten Angorajäckchen aus dem vergangenen Jahrhundert. Laue Frühlingsgefühle bekomme ich bei der Opferung des Norwegerpullis, den ich vor acht Wintern das letzte Mal getragen habe. Der Platzgewinn für frische Frühjahrsmode bleibt aber so frustrierend wie verschwindend gering. Mein persönlicher Feng-Shui-Beauftragter ruft mir derweil streng zu: „Wenn du schon mal dabei bist, kannst du da vorne gleich weitermachen!“
Mein Lebenspartner motzt: „Hier steht viel zu viel Zeug rum!“ Er doziert über Energieflüsse. Von der Wirkung der Umgebung auf den Menschen. „Hier is’ alles verstopft. Da fließt nix!“ Er deutet auf die lila Kinosessel, die, zugegeben, etwas blöd im Raum stehen. Den hübschen Gartenstuhl und das Tischchen, die ich erst im Oktober vom Sperrmüll adoptiert habe – „Unnütz! Raus!“ Genauso die ewig leeren Blumentöpfe vom Balkon! Die Fensterbank im Bad müsste endlich von der Armada abgelaufener Sonnencremetuben befreit werden. Und außerdem müsse ich mich von meinem Staubsauger trennen. Tatsächlich haben das chronische Einschleppen von Streusalz und Splitt in diesem Winter dem 400-Watt-Wunder arg zugesetzt. Seit November hat er obendrein nur noch ein Rad und macht seither sehr unschöne Streifen aufs Parkett. „Fodd demit!“ fordert mein Gatte. „Wohin denn?“ frage ich verunsichert. „In den Keller?“

spahn_fruejahr2Warum nicht endlagern? Vielleicht kann man das Zeugs irgendwann noch mal gebrauchen. „Schon mal was von wegschmeißen gehört?“ zischt mir mein Liebster ins Ohr. Tabula rasa! Jetzt oder nie! Ich gerate zunehmend unter Druck. Er zeigt aus dem Fenster auf einen gigantischen Sperrmüllhaufen, der sich mal wieder vor unserem Nachbarhaus gebildet hat. Während ich mich noch frage, aus welchen Untiefen des Hauses dort diese Unmengen an Überfluss gezerrt werden, drückt mir mein Rausschmeißer den Gartenstuhl in die Arme: „Hier, dein Müll, stell ihn einfach dazu!“ Ich seufze und beginne schweren Herzens mit der Trennungsarbeit. Eine halbe Stunde später ist unsere Wohnung etwa siebenunddreißig Kilo leichter. Na ja, nicht ganz. Beim Verabschieden des Gartenstuhls habe ich einen kleinen verstaubten Feng-Shui-Brunnen gefunden und mit nach Hause genommen.

Vom Fenster aus betrachte ich meinen alten Staubsauger. War es die richtige Entscheidung? Immerhin habe ich noch zwei Staubsaugerbeutel der Größe A18. Ich säubere die Schieferplatten des Brunnens und fülle ihn mit Wasser. Ein beruhigendes, frühlingshaftes Plätschern fließt durch die neuen, halbwegs freien Räume unserer Wohnung. Ich fühle mich extrem aufgeräumt und atme tief durch. Es war höchste Zeit, Platz zu machen für den Frühling. Den Norwegerpulli bringe ich gleich morgen zur Altkleidertonne. Wirklich! Ach, und bitte: Wenn einer dafür Sorge tragen könnte, dass all die multicolor gestreiften Schals ebenfalls dort landen. Es sind nur noch einundsiebzig Tage bis zum meteorologischen Sommeranfang!

Erschienen im Journal Frankfurt, Ausgabe 07/2005. Fotos: Harald Schröder


Anzeige
Anzeige

Mehr Kultur-News

Anzeige
Anzeige
Anzeige

Kalender

Anzeige