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NSU 2.0: Drohschreiben-Affäre
Fünf nach Zwölf – Beuth gibt erste Antworten
In den vergangenen zwei Jahren gingen 69 Drohschreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“ an 27 Personen. Am Dienstag stellte sich Innenminister Peter Beuth (CDU) den Fragen des Landesparlaments. Doch viele Fragen bleiben weiterhin offen.
Es war keine große Überraschung, dass die Sondersitzung des hessischen Innenausschuss am Dienstag weder in Einigkeit der Parlamentsparteien endete, noch eine vollständige Aufklärung der knapp 60 Fragen brachte. Rund vier Stunden, bis in den späten Nachmittag hinein, hatte der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) die Fragen des Landesparlaments beantwortet – so gut es eben zum aktuellen Ermittlungsstand möglich war. SPD und Linke hatten im Vorhinein gemeinsam allein 37 Punkte abgesprochen, die sie an Beuth herantragen wollten. Auch die FDP plante Fragen, die nach mehr Transparenz, als bisher gegeben, verlangten: genaue Daten dazu, wann die Drohschreiben verschickt wurden und wann er erstmals davon erfahren hatte.
Nur die Grünen hielten sich bedeckt, was bei den Oppositionsparteien erwartungsgemäß zu Kritik führte. „Im Sinne des schwarz-grünen Koalitionsfriedens haben sich die Regierungs-Grünen wochenlang weggeduckt. Heute nun fordern sie wohlfeil einen ‚Neuanfang‘ bei der hessischen Polizei. Wenn es ein ‚Neuanfang‘ sein soll, den politischen Einfluss beim LKA zu stärken, haben die Grünen offenbar immer noch nicht verstanden, wo das Problem eigentlich liegt“, sagte Günter Rudolph, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion.
Der Name Beuth blieb bei der Regierungspartei indes weiterhin ein wenig beachteter Gegenstand. „Dass Staatsorgane Fehler zugeben, ist ein Kennzeichen für einen funktionierenden demokratischen Rechtsstaat“, sagte Eva Goldbach, innenpolitische Sprecherin der Grünen und legte den weiteren Schwerpunkt ihrer Stellungnahme auf die in den Drohbriefen vorkommende Frauenfeindlichkeit. Bei solchen Drohschreiben sei es typisch, dass sie sich gegen Frauen richteten, da Frauenfeindlichkeit in der Gedankenwelt von Rechtsextremisten ein verbindendes Element sei. Der Grünen-Abgeordnete Jürgen Frömmrich betonte den Erhalt der Integrität der Polizei. Der am vergangenen Freitag erschiene Maßnahmenkatalog zur Aufklärung der NSU 2.0-Affäre greife bereits einige Dinge auf, die aktuell in der Kritik stünden. „Man kann nicht die Unterstellung abringen, dass nicht mit Hochdruck an der Aufklärung gearbeitet wird“, so Frömmrich.
Diese Aussage führte seitens des Vizepräsidenten des Hessischen Landtags, Jörg-Uwe Hahn (FDP), zu einer scharfen Bemerkung: „Was für eine Rolle die Grüne-Fraktion gerade in dieser Sache spielt, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wenn nach zwei Jahren ein Maßnahmenkatalog erscheint, ist das das Gegenteil von Integrität.“ Rudolph entgegnete der Aussage Frömmrichs außerdem, dass der Druck der vergangenen Tage überhaupt erst dazu geführt habe, dass etwas passiere. Der Innenminister verteidigte, dass es sich bei der Polizei um eine lernende Organisation handele, bei der man fortlaufend verbessernde Maßnahmen vornehme.
Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung habe der Innenminister in der Sondersitzung zudem mitgeteilt, dass im Fall der Kabarettistin Idil Baydar bereits im Oktober 2019 bekannt gewesen sei, dass einer Morddrohung ein Abruf aus dem Polizeisystem vorausgegangen war. Erst im Juni 2020 sei jedoch eine Befragung der Beamten erfolgt. Auf die Frage, warum Befragungen verzögert erfolgten, habe Beuth keine Antwort geben können, mit der Begründung, dass er erst Anfang Juli von den Vorgängen erfahren habe. Jedoch habe er von den Drohschreiben an die Linken-Abgeordnete Janine Wissler bereits im Februar erfahren, gab Beuth an. Noch während der laufenden Plenarsitzung habe er Wissler damals darauf angesprochen.
Nach der Sitzung stellte sich ein Gefühl der Ernüchterung ein; kein Parteistandpunkt schien sich zugunsten Beuths oder der Polizei im Allgemeinen gedreht zu haben. „Leider ist vor allem eins deutlich geworden: dass noch immer viele Fragen offen sind. Neue Erkenntnisse haben wir heute kaum gewonnen“, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP, Stefan Müller, anschließend. Mit seiner schlechten Informationspolitik und seiner bislang chaotischen Vorgehensweise bei der Bewältigung der Affäre trage der Innenminister nicht dazu bei, das Vertrauen in eine konsequente Aufklärungsarbeit zu stärken. Es sei nicht „fünf vor zwölf“, sondern bereits fünf nach, betonte Rudolph zudem. „Beuth hat sich nur geäußert, wenn es einen Tag zuvor in den Medien stand. Das wirft für mich die Frage auf, ob er noch der richtige Mann ist.“
Die Erkenntnisse im Überblick
Laut den Erkenntnissen des Hessischen Landeskriminalamts wurden 69 Drohschreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“ versandt, die sich an 27 Personen, neun davon aus Hessen, und Institutionen in insgesamt acht Bundesländern richteten. Fünf der neun Personen aus Hessen würden bereits durch das Gefährdungsmanagement des Landeskriminalamts individuell betreut. Bei den vier weiteren Personen handele es sich um Mitglieder von hessischen Justiz- und Sicherheitsbehörden. Verschickt worden seien die Schreiben fast immer von einer gleichlautenden Absenderadresse und seien überwiegend per E-Mail versandt worden, aber auch per Fax, SMS sowie über Internetkontaktformulare.
Der Großteil der Daten, welche die Absender verwendeten, stammen laut den Ermittlungsbehörden aus öffentlich zugänglichen Quellen. Zudem hätten die Ermittlungen ergeben, dass in den Datensystemen der hessischen Polizei von drei unterschiedlichen Rechnern die Daten von drei betroffenen Adressatinnen abgefragt wurden. Daraus nähre sich der Verdacht, dass in diesen drei Fällen Informationen aus hessischen Polizeisystemen in Drohschreiben Verwendung gefunden haben. Bei der hessischen Polizei wolle man zudem die Betreuung Betroffener von Drohungen und Einschüchterungsversuchen ausbauen. Hessen strebe des Weiteren eine Bundesratsinitiative zur Strafverschärfung beim Straftatbestand „Bedrohung“ an. Das Disziplinarrecht werde dahingehend geprüft, inwiefern ein Sonderrecht in Bezug auf Waffenträger oder ein Entzug der „Zuverlässigkeit“ bei Polizistinnen und Polizisten bei bestimmten dienstlichen Vergehen möglich sei.
Nur die Grünen hielten sich bedeckt, was bei den Oppositionsparteien erwartungsgemäß zu Kritik führte. „Im Sinne des schwarz-grünen Koalitionsfriedens haben sich die Regierungs-Grünen wochenlang weggeduckt. Heute nun fordern sie wohlfeil einen ‚Neuanfang‘ bei der hessischen Polizei. Wenn es ein ‚Neuanfang‘ sein soll, den politischen Einfluss beim LKA zu stärken, haben die Grünen offenbar immer noch nicht verstanden, wo das Problem eigentlich liegt“, sagte Günter Rudolph, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion.
Der Name Beuth blieb bei der Regierungspartei indes weiterhin ein wenig beachteter Gegenstand. „Dass Staatsorgane Fehler zugeben, ist ein Kennzeichen für einen funktionierenden demokratischen Rechtsstaat“, sagte Eva Goldbach, innenpolitische Sprecherin der Grünen und legte den weiteren Schwerpunkt ihrer Stellungnahme auf die in den Drohbriefen vorkommende Frauenfeindlichkeit. Bei solchen Drohschreiben sei es typisch, dass sie sich gegen Frauen richteten, da Frauenfeindlichkeit in der Gedankenwelt von Rechtsextremisten ein verbindendes Element sei. Der Grünen-Abgeordnete Jürgen Frömmrich betonte den Erhalt der Integrität der Polizei. Der am vergangenen Freitag erschiene Maßnahmenkatalog zur Aufklärung der NSU 2.0-Affäre greife bereits einige Dinge auf, die aktuell in der Kritik stünden. „Man kann nicht die Unterstellung abringen, dass nicht mit Hochdruck an der Aufklärung gearbeitet wird“, so Frömmrich.
Diese Aussage führte seitens des Vizepräsidenten des Hessischen Landtags, Jörg-Uwe Hahn (FDP), zu einer scharfen Bemerkung: „Was für eine Rolle die Grüne-Fraktion gerade in dieser Sache spielt, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wenn nach zwei Jahren ein Maßnahmenkatalog erscheint, ist das das Gegenteil von Integrität.“ Rudolph entgegnete der Aussage Frömmrichs außerdem, dass der Druck der vergangenen Tage überhaupt erst dazu geführt habe, dass etwas passiere. Der Innenminister verteidigte, dass es sich bei der Polizei um eine lernende Organisation handele, bei der man fortlaufend verbessernde Maßnahmen vornehme.
Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung habe der Innenminister in der Sondersitzung zudem mitgeteilt, dass im Fall der Kabarettistin Idil Baydar bereits im Oktober 2019 bekannt gewesen sei, dass einer Morddrohung ein Abruf aus dem Polizeisystem vorausgegangen war. Erst im Juni 2020 sei jedoch eine Befragung der Beamten erfolgt. Auf die Frage, warum Befragungen verzögert erfolgten, habe Beuth keine Antwort geben können, mit der Begründung, dass er erst Anfang Juli von den Vorgängen erfahren habe. Jedoch habe er von den Drohschreiben an die Linken-Abgeordnete Janine Wissler bereits im Februar erfahren, gab Beuth an. Noch während der laufenden Plenarsitzung habe er Wissler damals darauf angesprochen.
Nach der Sitzung stellte sich ein Gefühl der Ernüchterung ein; kein Parteistandpunkt schien sich zugunsten Beuths oder der Polizei im Allgemeinen gedreht zu haben. „Leider ist vor allem eins deutlich geworden: dass noch immer viele Fragen offen sind. Neue Erkenntnisse haben wir heute kaum gewonnen“, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP, Stefan Müller, anschließend. Mit seiner schlechten Informationspolitik und seiner bislang chaotischen Vorgehensweise bei der Bewältigung der Affäre trage der Innenminister nicht dazu bei, das Vertrauen in eine konsequente Aufklärungsarbeit zu stärken. Es sei nicht „fünf vor zwölf“, sondern bereits fünf nach, betonte Rudolph zudem. „Beuth hat sich nur geäußert, wenn es einen Tag zuvor in den Medien stand. Das wirft für mich die Frage auf, ob er noch der richtige Mann ist.“
Die Erkenntnisse im Überblick
Laut den Erkenntnissen des Hessischen Landeskriminalamts wurden 69 Drohschreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“ versandt, die sich an 27 Personen, neun davon aus Hessen, und Institutionen in insgesamt acht Bundesländern richteten. Fünf der neun Personen aus Hessen würden bereits durch das Gefährdungsmanagement des Landeskriminalamts individuell betreut. Bei den vier weiteren Personen handele es sich um Mitglieder von hessischen Justiz- und Sicherheitsbehörden. Verschickt worden seien die Schreiben fast immer von einer gleichlautenden Absenderadresse und seien überwiegend per E-Mail versandt worden, aber auch per Fax, SMS sowie über Internetkontaktformulare.
Der Großteil der Daten, welche die Absender verwendeten, stammen laut den Ermittlungsbehörden aus öffentlich zugänglichen Quellen. Zudem hätten die Ermittlungen ergeben, dass in den Datensystemen der hessischen Polizei von drei unterschiedlichen Rechnern die Daten von drei betroffenen Adressatinnen abgefragt wurden. Daraus nähre sich der Verdacht, dass in diesen drei Fällen Informationen aus hessischen Polizeisystemen in Drohschreiben Verwendung gefunden haben. Bei der hessischen Polizei wolle man zudem die Betreuung Betroffener von Drohungen und Einschüchterungsversuchen ausbauen. Hessen strebe des Weiteren eine Bundesratsinitiative zur Strafverschärfung beim Straftatbestand „Bedrohung“ an. Das Disziplinarrecht werde dahingehend geprüft, inwiefern ein Sonderrecht in Bezug auf Waffenträger oder ein Entzug der „Zuverlässigkeit“ bei Polizistinnen und Polizisten bei bestimmten dienstlichen Vergehen möglich sei.
21. Juli 2020, 20.18 Uhr
Johanna Wendel
Johanna Wendel
Jahrgang 1993, Technikjournalismus-Studium an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, seit Januar 2019 beim Journal Frankfurt. Mehr von Johanna
Wendel >>
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