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11 Lehren aus der Kaiserpassagen-Aufregung
Galerie sagt Heroin-Performance ab – und jetzt?
Unter dem Titel "Im Windschatten des Niedergangs" sollte am Wochenende mit einer Performance auf die Gentrifizierung im Bahnhofsviertel aufmerksam gemacht werden. Jetzt die Absage. Schade, aber eigentlich auch völlig egal.
Die Galerie Kaiser P. war in den letzten Tagen zum Zentrum medialer Aufmerksamkeit geworden. Die Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule hatte eine Heroin-Performance angekündigt, was natürlich sogleich die Phantasie der Öffentlichkeit anregte. Nun die Absage. In einer Mitteilung der Galerie heißt es: "Leider sehen wir uns infolge der überhitzten medialen Berichterstattung und des daraus entstandenen Drucks durch die Frankfurter Stadtpolitik und der Eigentümerin der Kaiserpassage gezwungen, die für das Wochenende geplante Kunstperformance 'Im Windschatten des Niedergangs' der 'Frankfurter Hauptschule' abzusagen." Und weiter: "Wir bedauern das sehr und sehen die Freiheit der Kunst in Frage gestellt."
Insbesondere Äußerungen von Vertretern der Stadt Frankfurt hätten das finanzielle Risiko für die Veranstaltung zu hoch werden lassen. Zuletzt hatte das Kulturamt der Stadt seine Förderung für die Performance zurückgezogen – Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) sprach von Überlegungen, die Aufführung zu verbieten, was sich jedoch als rechtlich schwierig erwies. Nun, das alles ist aber gar nicht der Punkt. Wir haben jedenfalls in den vergangenen Tagen einige Dinge gelernt:
1. Heroin-Performance = maximale Aufmerksamkeit.
2. Das TAB-Projekt, gefördert von Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), hat so seine Gegner. Auch die Galerie Kaiser P schreibt: "Fest steht, dass nicht erst seit der Initiative TAB die Kaiserpassage ein Ort für Ausstellungen, Konzerte und Kunstaktionen ist, und zwar durchweg ehrenamtlich." Unter anderem gegen TAB wollten sich die Frankfurter Hauptschüler mit ihrer Performance wenden – wiesen zum Beispiel noch einmal auf den Fall der Galerie "Jenifer Nails" hin, die während einer Urlaubszeit quasi entsorgt und durch ein TAB-Projekt ersetzt wurde. Angeblich ein Versehen – was seltsam anmutet, wo doch die Urlaubszeit der Galeristin im Schaufenster annonciert war, wie Insider berichten. Was uns zu Punkt 3 führt.
3. Wenige Wochen nach dem Start des TAB-Projektes, dessen Nukleus in der Kaiserpassage liegt, kündigt der Besitzer der Immobilie an, diese neu zu konzeptionieren. Gut, lassen wir jetzt mal so stehen. Auch weil die Pläne in der Tat noch nicht konkretisiert wurden.
4. Ja, das Bahnhofsviertel wird gentrifiziert. Das ist auch nichts Neues angesichts von Wohnungen, die auf über 10.000 Euro den Quadratmeter kommen. Doch so wirklich diskutiert wurde das Ganze noch nicht. Ebensowenig übrigens wie die Tatsache, ob nicht jede künstlerische Intervention, ob nun von TAB-Schirmherr Daniel Wirtz oder von der Galerie Kaiser P oder anderen, den Hype ums Viertel erhöht – und damit mittelfristig auch die Mieten. Im Gespräch sagte ein Vertreter der Hauptschule: "Wir sind uns der Ambivalenz durchaus bewusst – denn auch wir tragen mit unserer Ankündigung unseren Teil zur Gentrifizierung bei."
5. "Der Kampf geht weiter", posteten die Hauptschüler nach der Absage der Performance auf ihrem Facebook-Account und kündigten Details an. Danach löschten sie den Eintrag wieder. Ach, wird das spannend, Kinder!
6. Die Galerie Kaiser P schreibt in ihrer Absage außerdem: "Weiterhin bedauern wir, dass die zahlreichen Kunstaktionen der vergangenen Jahre, zuletzt im Oktober die Inszenierung 'Agonie und Extase des Steve Jobs' in der Regie von Mina Reinhardt Hassenzahl, medial nicht im Mindesten die Aufmerksamkeit erfahren haben, welche die Ankündigung der Performance nun erfahren hat." Wirklich seltsam. Zur Lösung dieser Frage, verweisen wir auf Punkt 1 unserer Auflistung.
7. Nun mag man bedauernswert finden, das Medien so funktionieren, doch sei an dieser Stelle angemerkt, das Menschen nun mal so funktionieren. Die Idee, sich einen Schuss zu setzen, mag traurigerweise nichts besonderes sein im Bahnhofsviertel, es aber auf einer Bühne zu versuchen oder nachzuahmen oder solcherart Umtriebe zumindest anzukündigen, sorgt für ausverkaufte Vorstellungen und allenthalben Empörung.
8. Brauchen wir noch eine Performance? Sie hat schon stattgefunden und wir alle waren beteiligt. Die Künstler der Hauptschule natürlich mit ihren Pressemitteilungen, ihrem Bestreben nach Anonymität und bewusst im Vagen gehaltenen Ankündigungen. Die Medien mit ihren erwartbaren Reaktionen, Nachfragen und Recherchen. Die TAB-Freunde mit ihren Verteidigungsreden, man wolle niemanden vertreiben. Die Künstler, die schon lange vor TAB Kunst im Bahnhofsviertel machten. Der Ordnungsdezernent, der sagt, TAB wäre mal eine andere Form, gewisse Ruhe in bestimmte Bereiche des Viertels zu bringen. Muss man denn immer gleich die Polizei schicken – geht es nicht auch über die Kunst?
9. Nun, sagen wir so: Den Dealer wird ein kostenloses Konzert von Daniel Wirtz genauso in seinen Geschäften stören wie eine Heroin-Performance, zu der insgesamt 180 Besucher Einlass bekommen hätten. Und wenn die Kulturveranstaltung vorbei ist, dann kehren sie eben zurück in die Kaiserpassage. Mittelfristig könnte ein regerer Besucherverkehr der teilweise recht zwielichtigen Passage aber durchaus helfen – und die hat eben noch mehr zu bieten als Galerien. Großartige Geschäfte etwa, vollgestellt mit Waren aus aller Herren Länder. Gehen Sie mal hin!
10. Schließlich und das ist wahrscheinlich die größte Lehre für uns: Mal abseits der Künstler, der Dealer, der Ladenbesitzer und Hauseigentümer, abseits der steigenden Mieten und der ganzen Aufregung um eine Performance: Wie ergeht es den Drogensüchtigen im Bahnhofsviertel? Es lohnt sich sicherlich, dieser Frage in den kommenden Wochen mal wieder nachzugehen. Und dann gibt es da noch das Projekt "Bahnhofsviertel 2025", das wir in der Print-Ausgabe unseres Stadtteil-Magazins vorstellten – dort sollen alle, und zwar wirklich alle Beteiligten im Viertel an einen Tisch gebracht werden und eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft des Viertels entwickeln. Warum gegeneinander, wenn es auch miteinander geht?
11. Bahnhofsviertler aller Länder, vereinigt Euch!
PS: Die Künstler wollen trotzdem am Freitag spritzen, um 19 Uhr in der Kaiserpassage.
Insbesondere Äußerungen von Vertretern der Stadt Frankfurt hätten das finanzielle Risiko für die Veranstaltung zu hoch werden lassen. Zuletzt hatte das Kulturamt der Stadt seine Förderung für die Performance zurückgezogen – Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) sprach von Überlegungen, die Aufführung zu verbieten, was sich jedoch als rechtlich schwierig erwies. Nun, das alles ist aber gar nicht der Punkt. Wir haben jedenfalls in den vergangenen Tagen einige Dinge gelernt:
1. Heroin-Performance = maximale Aufmerksamkeit.
2. Das TAB-Projekt, gefördert von Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), hat so seine Gegner. Auch die Galerie Kaiser P schreibt: "Fest steht, dass nicht erst seit der Initiative TAB die Kaiserpassage ein Ort für Ausstellungen, Konzerte und Kunstaktionen ist, und zwar durchweg ehrenamtlich." Unter anderem gegen TAB wollten sich die Frankfurter Hauptschüler mit ihrer Performance wenden – wiesen zum Beispiel noch einmal auf den Fall der Galerie "Jenifer Nails" hin, die während einer Urlaubszeit quasi entsorgt und durch ein TAB-Projekt ersetzt wurde. Angeblich ein Versehen – was seltsam anmutet, wo doch die Urlaubszeit der Galeristin im Schaufenster annonciert war, wie Insider berichten. Was uns zu Punkt 3 führt.
3. Wenige Wochen nach dem Start des TAB-Projektes, dessen Nukleus in der Kaiserpassage liegt, kündigt der Besitzer der Immobilie an, diese neu zu konzeptionieren. Gut, lassen wir jetzt mal so stehen. Auch weil die Pläne in der Tat noch nicht konkretisiert wurden.
4. Ja, das Bahnhofsviertel wird gentrifiziert. Das ist auch nichts Neues angesichts von Wohnungen, die auf über 10.000 Euro den Quadratmeter kommen. Doch so wirklich diskutiert wurde das Ganze noch nicht. Ebensowenig übrigens wie die Tatsache, ob nicht jede künstlerische Intervention, ob nun von TAB-Schirmherr Daniel Wirtz oder von der Galerie Kaiser P oder anderen, den Hype ums Viertel erhöht – und damit mittelfristig auch die Mieten. Im Gespräch sagte ein Vertreter der Hauptschule: "Wir sind uns der Ambivalenz durchaus bewusst – denn auch wir tragen mit unserer Ankündigung unseren Teil zur Gentrifizierung bei."
5. "Der Kampf geht weiter", posteten die Hauptschüler nach der Absage der Performance auf ihrem Facebook-Account und kündigten Details an. Danach löschten sie den Eintrag wieder. Ach, wird das spannend, Kinder!
6. Die Galerie Kaiser P schreibt in ihrer Absage außerdem: "Weiterhin bedauern wir, dass die zahlreichen Kunstaktionen der vergangenen Jahre, zuletzt im Oktober die Inszenierung 'Agonie und Extase des Steve Jobs' in der Regie von Mina Reinhardt Hassenzahl, medial nicht im Mindesten die Aufmerksamkeit erfahren haben, welche die Ankündigung der Performance nun erfahren hat." Wirklich seltsam. Zur Lösung dieser Frage, verweisen wir auf Punkt 1 unserer Auflistung.
7. Nun mag man bedauernswert finden, das Medien so funktionieren, doch sei an dieser Stelle angemerkt, das Menschen nun mal so funktionieren. Die Idee, sich einen Schuss zu setzen, mag traurigerweise nichts besonderes sein im Bahnhofsviertel, es aber auf einer Bühne zu versuchen oder nachzuahmen oder solcherart Umtriebe zumindest anzukündigen, sorgt für ausverkaufte Vorstellungen und allenthalben Empörung.
8. Brauchen wir noch eine Performance? Sie hat schon stattgefunden und wir alle waren beteiligt. Die Künstler der Hauptschule natürlich mit ihren Pressemitteilungen, ihrem Bestreben nach Anonymität und bewusst im Vagen gehaltenen Ankündigungen. Die Medien mit ihren erwartbaren Reaktionen, Nachfragen und Recherchen. Die TAB-Freunde mit ihren Verteidigungsreden, man wolle niemanden vertreiben. Die Künstler, die schon lange vor TAB Kunst im Bahnhofsviertel machten. Der Ordnungsdezernent, der sagt, TAB wäre mal eine andere Form, gewisse Ruhe in bestimmte Bereiche des Viertels zu bringen. Muss man denn immer gleich die Polizei schicken – geht es nicht auch über die Kunst?
9. Nun, sagen wir so: Den Dealer wird ein kostenloses Konzert von Daniel Wirtz genauso in seinen Geschäften stören wie eine Heroin-Performance, zu der insgesamt 180 Besucher Einlass bekommen hätten. Und wenn die Kulturveranstaltung vorbei ist, dann kehren sie eben zurück in die Kaiserpassage. Mittelfristig könnte ein regerer Besucherverkehr der teilweise recht zwielichtigen Passage aber durchaus helfen – und die hat eben noch mehr zu bieten als Galerien. Großartige Geschäfte etwa, vollgestellt mit Waren aus aller Herren Länder. Gehen Sie mal hin!
10. Schließlich und das ist wahrscheinlich die größte Lehre für uns: Mal abseits der Künstler, der Dealer, der Ladenbesitzer und Hauseigentümer, abseits der steigenden Mieten und der ganzen Aufregung um eine Performance: Wie ergeht es den Drogensüchtigen im Bahnhofsviertel? Es lohnt sich sicherlich, dieser Frage in den kommenden Wochen mal wieder nachzugehen. Und dann gibt es da noch das Projekt "Bahnhofsviertel 2025", das wir in der Print-Ausgabe unseres Stadtteil-Magazins vorstellten – dort sollen alle, und zwar wirklich alle Beteiligten im Viertel an einen Tisch gebracht werden und eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft des Viertels entwickeln. Warum gegeneinander, wenn es auch miteinander geht?
11. Bahnhofsviertler aller Länder, vereinigt Euch!
PS: Die Künstler wollen trotzdem am Freitag spritzen, um 19 Uhr in der Kaiserpassage.
13. November 2015, 06.45 Uhr
Nils Bremer
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24. November 2024
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