Trauer um Anja Kraft

Life Is A Damn Good Thing

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„Das zweite Leben der Anja K.“ hieß die Geschichte in JOURNAL-Ausgabe 4/2014, die wir hier anlässlich ihres Todes im Oktober noch einmal ins Netz stellen. Darin wirbt sie auch für die Organspende.

Detlef Kinsler /

Es fing 2007 mit einer Lungenentzündung an, von der sich Anja Kraft ein Jahr lang nicht erholte. „Ich war ständig kurzatmig, bekam keine Luft mehr und in den Ferien im Allgäu hat mich jede alte Oma mit 30 Kilo Übergewicht am Berg überholt. Dabei bin ich mein Leben lang gewandert.“ Ein Arztbesuch brachte die ernüchternde Diagnose: Idiopathische Lungenfibrose. Das Organ vernarbt dabei immer mehr. „Du fängst an zu googeln: statistische Lebenserwartung zwei bis drei Jahre, einzige Lösung Transplantation, zack“, ging es ihr da noch relativ gut. Ein Jahr später kamen die Schmerzen und der modifizierte Befund: Systemische Sklerodermie, eine seltene Autoimmunkrankheit. Eine Odyssee begann mit regelmäßigen Konsultationen bei Pneumologen und Rheumatologen. Die Beschwerden konnten auf dem Level gehalten werden, dass Anja mit Sauerstoff „gerade noch so um die Ecken kam.“ Kein Arzt forcierte die OP. „Auf diesen Weg musst du dich selber machen“, musste sie erkennen, um schließlich als transplantabel anerkannt zu werden.

Über Jahre lebte Anja Kraft in einer Art Paralleluniversum, die Wartezeit mit dem Kampf gegen Behörden, Krankenkasse und Versorgungsamt, daneben der Versuch, trotzdem normal weiterzuleben. Oft hörte sie, in dieser Situation würde ich nicht mehr arbeiten gehen. „Da steckt für mich eine Haltung dahinter, dass man das Leben, das man hat, so gar nicht führen will“, kommentiert sie. Für sie keine Option. Sie blieb der Batschkapp als Buchhalterin erhalten, als Bassistin, die in den Neunzigern mit der Frauen-Punk-Band The Slags CDs für Sony Music aufnahm, spielte sie weiter bei den Terrible Noises. Wer sie da gesehen hat, mag sich gewundert haben über die Schläuche in ihrer Nase. „Zum Schluss stand ein 20-Liter-Tank hinter mir, so groß wie R2-D2“, kann sie der Situation im Nachhinein noch Komik abgewinnen. Daheim versauern kam für sie nicht in Frage. „Die Jungs und meine beiden Islandpferde haben mich mitgeschleppt durch die ganze harte Zeit.“

Ehemann, Kinder und Familie waren die „Hauptlastenträger“, sie standen mit viel Energie und Zuspruch immer an Anjas Seite. Der BDO (Bundesverband der Organtransplantierten) gab neben dieser emotionalen die professionelle Hilfestellung. Trotz dieser wichtigen Nähe brauchte Anja auch Distanz zu allen, um sich die Frage stellen zu können: Für wen mache ich das eigentlich? „Ich konnte mich nicht freimachen von dem, was der Rest der Welt gerne hätte. Natürlich wollen die Kinder, dass ihre Mutter erhalten bleibt. Natürlich will der Mann, dass seine Frau am Leben bleibt. Ich war dabei völlig verloren gegangen.“ Auch das Team an der MH in Hannover nahm die Patientin in die Pflicht. „Sie treiben dich an die Wand, kriegen die Patienten aber so dahin, dass ihnen bewusst ist, dass sie mit diesem Organ, das ein rar gesätes Geschenk ist, auch verantwortlich umgehen müssen.“ 15 Monate nachdem Anja Kraft für die Transplantation gelistet wurde, bekam sie im Dezember 2012 ihre neue Lunge.

„Jeder dachte jetzt ist alles durfte, aber plötzlich brach alles zusammen.“ Anja fiel in ein tiefes Loch. „Der Ehemann war da, die Kinder waren da, am Arbeitsplatz gab es keinen Stress, ich hatte die Band, trotzdem war alles grau.“ Jahrelang hatte sie ihr Überlebenswunsch angetrieben. Der wurde zum Lebensinhalt. Jetzt musste ihr jemand die Gebrauchsanweisung an die Hand geben, wie man nicht nur körperlich wieder auf die Füße kommt. Die Tagesklinik in Langen gab die richtigen Impulse, heute kann Anja Kraft voller Überzeugung sagen: Mir geht es gut, ich fühle mich wohl. Genau das wollte sie auf ihrer Feier zum 1. Geburtstag wissen lassen und Werbung machen für die Organspende. „Nicht mit dem Zeigefinger und nicht hinter mir auf der Bühne mit einem mörderdramatischen Videoaufruf“, betont sie. Über die aktuelle Organspenden-Skandal-Berichterstattung ärgert sie sich. „Das wird niemanden motivieren, sich einen Organspendeausweis in die Tasche zu stecken. Das ist eine Katastrophe.“ Mit Positivbeispielen arbeiten heißt ihre Alternative, Tenor: Hier ist ein Leben verlängert worden. „Ich habe es empfangen und ich möchte etwas dafür tun, damit andere auch diese Möglichkeit bekommen und nicht so viele ausgesiebt werden müssen weil es einfach zu wenig Spenderorgane gibt.“

> Stiftung Fürs Leben – Infotelefon Organspende 0800/9040400

Detlef Kinsler
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt.
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