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Themenwoche in der Naxoshalle
Gegen das Vergessen ankämpfen
Am 25. September beginnt die „Themenwoche gegen das Vergessen“ in der Naxoshalle. Bis zum 1. Oktober erinnern das studioNAXOS und das Theater Willy Praml mit Theateraufführungen, Ausstellungen und Stadtführungen an die Verbrechen in der NS-Zeit.
Die Naxoshalle kann auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurückblicken: Um 1907 baute der jüdische Unternehmer Arthur Pfungst in Frankfurt die Naxos-Fabrik, in der er unterschiedliche Arten von Schleifmitteln herstellen ließ, bis er 1943 von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Von 1940 bis 1945 herrschte in der Industriefabrik Zwangsarbeit. Ihre endgültige Schließung erfolgte 1990, zehn Jahre später zog es schließlich das Theater Willy Praml in die Industriebrache.
Auf die Geschichte der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter sowie das Schicksal der Unternehmerfamilie wollen das studioNAXOS und das Theater Willy Praml vom 25. bis zum 1. Oktober in der „Themenwoche gegen das Vergessen“ aufmerksam machen. Dafür haben Kunstschaffende, Historikerinnen und Historiker sowie Aktivistinnen und Aktivisten Theateraufführungen, Ausstellungen und Stadtführungen entwickelt, welche die unterschiedlichen Schicksale ausführlich durchleuchten und künstlerisch verarbeiten.
„Sich immer wieder neu zu erinnern und sich immer wieder der Versuchung der Normalisierung zu widersetzen, ist die Aufgabe, die sich jeder Generation stellt“, so der Leiter des studioNAXOS, Jan Philip Stange. An der Geschichte der Naxoshalle lasse sich exemplarisch zeigen, wie Arisierung, Verschleppung, Zwangsarbeit und Mord während des Nationalsozialismus in der Mitte der Gesellschaft stattfanden. Gerade in Hessen, unweit des rassistischen Anschlags in Hanau und des Mordes an Walter Lübcke in Kassel, dürfe man deswegen nicht wegschauen, führt Stange aus. „Es ist dringend erforderlich, verstärkt die Perspektiven zu unterstützen, die eine kritische und auch selbstkritische Perspektive auf die deutsche Geschichte und deren Kontinuität werfen.“
P für Polnisch
Den überwiegend polnischen Frauen, die in der Naxoshalle Zwangsarbeit verrichten mussten, wird während der Themenwoche durch das Szenische Denkmal „P“ ein besonderes Andenken geschaffen. Die Kleidung der Frauen war mit einem „P“ versehen, um auf ihre Herkunft hinzuweisen und ihnen damit eine für Außenstehende unmissverständliche Abwertung zuzuteilen. Auf einer Laufkatze im oberen Bereich der Halle werden drei Tänzerinnen eine Choreographie aufführen; währenddessen lesen Frauen polnischer Herkunft die Regeln der Fabrikbetreiber für die Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter vor, welche die Zuschauerinnen und Zuschauer über Kopfhörer hören. „Oft ist vom beißenden Geruch und vom kontaminierten Boden die Rede. Viel beißender und kontaminierter ist die Geschichte vor Ort. Es ist gut, um die Geister zu wissen, die hier vor Ort sind und ihnen ab und zu das Feld zu überlassen“, erklärt dazu Michael Weber vom Theater Willy Praml.
Gezeigt werden in der Themenwoche zwei Theaterstücke: Die Produktion „Widerhall“ des Kollektivs Bornstein/Casagrande/Haagen/Schwesinger beschäftigt sich mit den Tonbandmitschnitten des Auschwitz-Prozesses, sowie Aussagen ehemaliger Prozessbeteiligter und deren Nachkommen. „Es geht dabei nicht nur um den Prozess selbst. Man hört die Pausen, die die Zeuginnen und Zeugen während ihren Aussagen machen oder Kinder, die auf dem nahegelegenen Schulhof spielen“, erzählt Marie Schwesinger, die bei dem Stück Regie führt.
Das Perfomancelabel Profikollektion führt in seiner Produktion „Gespenster der Arbeit“ mit Klang- und Lichtinstallationen durch unterschiedliche Orte der Naxoshalle, an denen sich die Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aufhielten. Man begreife die Orte dabei als Zeitzeugen, verrät Jan Deck von der Profikollektion. „In der Naxoshalle haben wir nach den Spuren von Zwangsarbeit gesucht und setzen sie in den Kontext von Industriearbeit und Kulturproduktion. Dabei geht es uns nicht darum, etwas nachzuspielen, sondern performativ danach zu suchen, was erzählt, vergessen, verdrängt wird.“ „Widerhall“ wird an vier Tagen jeweils immer um 19 Uhr aufgeführt, „Gespenster der Arbeit“ an sechs Abenden um jeweils 21 Uhr.
Ausstellung über die Frauenrechtlerin Marie Pfungs
Begleitet wird die Themenwoche zudem von einer Ausstellung, die sich in erster Linie mit Dokumenten von Tätern über die rund 700 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter auseinandersetzt. Jedoch konnte das Rechercheteam auch einen Fragebogen aus dem Jahr 2000 ausfindig machen, in dem der Zwangsarbeiter Vaclav Dánihel ausführlich Antworten zu den Arbeitsbedingungen und dem Leben generell in der Naxoshalle gibt.
Daneben wird auch das Leben von Marie Pfungst aufgegriffen und an ihrem Beispiel die Arisierung der Fabrik erläutert. Theaterchef Willy Praml ergänzt zu der Person Marie Pfungst, sie habe in der Fabrik als „Heilige Elisabeth der Industrie“ gegolten. Wenn sie mitbekam, dass es einem der Arbeiter oder Arbeiterinnen finanziell nicht gut ging, soll sie ihnen heimlich Goldmünzen zugesteckt haben. Auch die Frauenbewegung in Frankfurt habe sie vorangebracht und 1918 die Arthur-Pfungst-Stiftung gegründet, die bis heute junge Menschen bei der Finanzierung ihres Studiums unterstützt.
In einer neuen Dauerausstellung in einem stillgelegten Aufzug werden rekonstruierte Einzelschicksale vorgestellt. Bei der Recherche zur nationalsozialistischen Geschichte der Naxos-Halle sei das Team auf viele spannende Dokumente und Quellen gestoßen, aber auch auf unzählige Lücken und Fragen, so Luise Besier. „Wir haben heutzutage häufig den Anspruch absoluter Aufklärung, aber das geht nicht immer. Auch das ist eine wichtige Erkenntnis.“
Am 26. und 27. September findet jeweils von 14 bis 17 Uhr ein Symposium statt. Dabei soll es zum einen um Forschungsergebnisse zur NS-Historie in Frankfurt im Allgemeinen und am Beispiel der Naxoshalle im Besonderen gehen. Am 27. September wird es in einem offenen Gesprächsformat um Funktion als Mittel zur historischen Vermittlung gehen. Ebenfalls am Samstag und Sonntag findet jeweils um 11 Uhr ein rund zweistündiger Stadtrundgang von der AG Antifaschistischer Stadtrundgang des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) statt.
Mit „Die Rollbahn“ wird am 29. September ein Dokumentarfilm von 2003 gezeigt, der sich mit den 1700 jüdischen Mädchen und Frauen beschäftigt, die 1944 die erste betonierte Rollbahn am Frankfurter Flughafen bauen mussten und erst in den 90er Jahren begonnen wurde ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Anschließend wird ein Gespräch mit dem Filmmacher Malte Rauch und der Leiterin der Walldorf-Mörfelder Heimatmuseen Claudia Battistella stattfinden. Musikalisch begleiten die Themenwoche der Amsterdamer Gitarrist Raphael Vanoli am 25. September und der Komponist Richard Millig am 1. Oktober.
Das gesamte Programm und der Ablauf der Themenwoche ist hier zu finden.
Auf die Geschichte der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter sowie das Schicksal der Unternehmerfamilie wollen das studioNAXOS und das Theater Willy Praml vom 25. bis zum 1. Oktober in der „Themenwoche gegen das Vergessen“ aufmerksam machen. Dafür haben Kunstschaffende, Historikerinnen und Historiker sowie Aktivistinnen und Aktivisten Theateraufführungen, Ausstellungen und Stadtführungen entwickelt, welche die unterschiedlichen Schicksale ausführlich durchleuchten und künstlerisch verarbeiten.
„Sich immer wieder neu zu erinnern und sich immer wieder der Versuchung der Normalisierung zu widersetzen, ist die Aufgabe, die sich jeder Generation stellt“, so der Leiter des studioNAXOS, Jan Philip Stange. An der Geschichte der Naxoshalle lasse sich exemplarisch zeigen, wie Arisierung, Verschleppung, Zwangsarbeit und Mord während des Nationalsozialismus in der Mitte der Gesellschaft stattfanden. Gerade in Hessen, unweit des rassistischen Anschlags in Hanau und des Mordes an Walter Lübcke in Kassel, dürfe man deswegen nicht wegschauen, führt Stange aus. „Es ist dringend erforderlich, verstärkt die Perspektiven zu unterstützen, die eine kritische und auch selbstkritische Perspektive auf die deutsche Geschichte und deren Kontinuität werfen.“
P für Polnisch
Den überwiegend polnischen Frauen, die in der Naxoshalle Zwangsarbeit verrichten mussten, wird während der Themenwoche durch das Szenische Denkmal „P“ ein besonderes Andenken geschaffen. Die Kleidung der Frauen war mit einem „P“ versehen, um auf ihre Herkunft hinzuweisen und ihnen damit eine für Außenstehende unmissverständliche Abwertung zuzuteilen. Auf einer Laufkatze im oberen Bereich der Halle werden drei Tänzerinnen eine Choreographie aufführen; währenddessen lesen Frauen polnischer Herkunft die Regeln der Fabrikbetreiber für die Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter vor, welche die Zuschauerinnen und Zuschauer über Kopfhörer hören. „Oft ist vom beißenden Geruch und vom kontaminierten Boden die Rede. Viel beißender und kontaminierter ist die Geschichte vor Ort. Es ist gut, um die Geister zu wissen, die hier vor Ort sind und ihnen ab und zu das Feld zu überlassen“, erklärt dazu Michael Weber vom Theater Willy Praml.
Gezeigt werden in der Themenwoche zwei Theaterstücke: Die Produktion „Widerhall“ des Kollektivs Bornstein/Casagrande/Haagen/Schwesinger beschäftigt sich mit den Tonbandmitschnitten des Auschwitz-Prozesses, sowie Aussagen ehemaliger Prozessbeteiligter und deren Nachkommen. „Es geht dabei nicht nur um den Prozess selbst. Man hört die Pausen, die die Zeuginnen und Zeugen während ihren Aussagen machen oder Kinder, die auf dem nahegelegenen Schulhof spielen“, erzählt Marie Schwesinger, die bei dem Stück Regie führt.
Das Perfomancelabel Profikollektion führt in seiner Produktion „Gespenster der Arbeit“ mit Klang- und Lichtinstallationen durch unterschiedliche Orte der Naxoshalle, an denen sich die Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aufhielten. Man begreife die Orte dabei als Zeitzeugen, verrät Jan Deck von der Profikollektion. „In der Naxoshalle haben wir nach den Spuren von Zwangsarbeit gesucht und setzen sie in den Kontext von Industriearbeit und Kulturproduktion. Dabei geht es uns nicht darum, etwas nachzuspielen, sondern performativ danach zu suchen, was erzählt, vergessen, verdrängt wird.“ „Widerhall“ wird an vier Tagen jeweils immer um 19 Uhr aufgeführt, „Gespenster der Arbeit“ an sechs Abenden um jeweils 21 Uhr.
Ausstellung über die Frauenrechtlerin Marie Pfungs
Begleitet wird die Themenwoche zudem von einer Ausstellung, die sich in erster Linie mit Dokumenten von Tätern über die rund 700 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter auseinandersetzt. Jedoch konnte das Rechercheteam auch einen Fragebogen aus dem Jahr 2000 ausfindig machen, in dem der Zwangsarbeiter Vaclav Dánihel ausführlich Antworten zu den Arbeitsbedingungen und dem Leben generell in der Naxoshalle gibt.
Daneben wird auch das Leben von Marie Pfungst aufgegriffen und an ihrem Beispiel die Arisierung der Fabrik erläutert. Theaterchef Willy Praml ergänzt zu der Person Marie Pfungst, sie habe in der Fabrik als „Heilige Elisabeth der Industrie“ gegolten. Wenn sie mitbekam, dass es einem der Arbeiter oder Arbeiterinnen finanziell nicht gut ging, soll sie ihnen heimlich Goldmünzen zugesteckt haben. Auch die Frauenbewegung in Frankfurt habe sie vorangebracht und 1918 die Arthur-Pfungst-Stiftung gegründet, die bis heute junge Menschen bei der Finanzierung ihres Studiums unterstützt.
In einer neuen Dauerausstellung in einem stillgelegten Aufzug werden rekonstruierte Einzelschicksale vorgestellt. Bei der Recherche zur nationalsozialistischen Geschichte der Naxos-Halle sei das Team auf viele spannende Dokumente und Quellen gestoßen, aber auch auf unzählige Lücken und Fragen, so Luise Besier. „Wir haben heutzutage häufig den Anspruch absoluter Aufklärung, aber das geht nicht immer. Auch das ist eine wichtige Erkenntnis.“
Am 26. und 27. September findet jeweils von 14 bis 17 Uhr ein Symposium statt. Dabei soll es zum einen um Forschungsergebnisse zur NS-Historie in Frankfurt im Allgemeinen und am Beispiel der Naxoshalle im Besonderen gehen. Am 27. September wird es in einem offenen Gesprächsformat um Funktion als Mittel zur historischen Vermittlung gehen. Ebenfalls am Samstag und Sonntag findet jeweils um 11 Uhr ein rund zweistündiger Stadtrundgang von der AG Antifaschistischer Stadtrundgang des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) statt.
Mit „Die Rollbahn“ wird am 29. September ein Dokumentarfilm von 2003 gezeigt, der sich mit den 1700 jüdischen Mädchen und Frauen beschäftigt, die 1944 die erste betonierte Rollbahn am Frankfurter Flughafen bauen mussten und erst in den 90er Jahren begonnen wurde ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Anschließend wird ein Gespräch mit dem Filmmacher Malte Rauch und der Leiterin der Walldorf-Mörfelder Heimatmuseen Claudia Battistella stattfinden. Musikalisch begleiten die Themenwoche der Amsterdamer Gitarrist Raphael Vanoli am 25. September und der Komponist Richard Millig am 1. Oktober.
Das gesamte Programm und der Ablauf der Themenwoche ist hier zu finden.
16. September 2020, 13.05 Uhr
Johanna Wendel
Johanna Wendel
Jahrgang 1993, Technikjournalismus-Studium an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, seit Januar 2019 beim Journal Frankfurt. Mehr von Johanna
Wendel >>
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