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Strassenjungs-Abschiedskonzert

Musik ist Dopamin fürs Hirn

Adios Amigos! Die Strassenjungs geben nach 42 Jahren am Freitag in der Batschkapp ihr Abschiedskonzert. Live wird man sie nicht mehr sehen, Sänger Nils Selzer muss krankheitsbedingt passen. Im Studio macht er aber weiter.
In schöner Regelmäßigkeit haben die Strassenjungs immer ihre runden Jubiläen gefeiert, mal im Nachtleben, mal in der „Kapp“, mal im Musikclub Das Bett. Zwei Jahre nach dem 40. Geburtstag will es die Frankfurter Kultband bei einem weiteren Konzert in der Batschkapp krachen lassen. Außer der Reihe. Und es wird ein Abschiedskonzert. Mit der neuen Single „Atmen“ auf dem eigenen Youtube-Kanal hat Sänger Nils Selzer die Fans schon vorbereitet. „Die Luft wird mir jetzt früher knapp. Scheint mir ich mache früher schlapp“, singt er da über die Diagnose, die ihn jetzt zum Aufhören zwingt, was seine Konzertaktivitäten betrifft: Lungenfibrose. „Die letzten Gigs waren schon so, dass ich merkte, sie werden für mich immer anstrengender was die Luft betrifft“, erzählt Selzer (72). „Wir haben dann gesagt, dass es zu riskant ist, Konzerte auszumachen wenn man nicht weiß, wie es einem ein halbes Jahr später gesundheitlich geht.“ Dann lieber, so schwer es auch fällt, ein Ende ohne Schrecken, einen klaren Schnitt machen und noch mal ein fettes Ausrufezeichen setzen. „Keine Auftritte mehr, aber neue Songs schreiben und aufnehmen. Im Studio singen geht“, hält Selzer die Strassenjungs so weiter am Leben.

Damit beim „Adios Amigos!“ überschriebenen Abend keine Begräbnisstimmung aufkommt, hat sich das Quartett viele befreundete Musiker eingeladen. Die Traktor werden dabei sein, Loti Pohl von den Crackers und Jason Fretz von den Bornheim Bombs, der gerade sein Soloalbum „Endspurt“ veröffentlicht hat. „Und ich habe mich sehr gefreut, dass die U-Bahn Kontrollöre zugesagt haben. Das hätte ich nicht gedacht“, ist Selzer froh, „dass sie den Spaßfaktor miteinbringen und es kein zu trauriger Abgesang wird.“ Die Gäste spielen im fliegenden Wechsel mit den Strassenjungs deren Songs in nie gehörten Versionen. Gerne auch zur Überraschung der Urheber und natürlich auch der Fans. Wer sich nun wundert, dass mit den U-Bahn Kontrollören eine A-cappella-Band dabei ist, dem sei gesagt: Auch vermeintlicher Kleinkunst kann ein Anarcho-Charakter innewohnen. Mit Schubladendenken hat sich Selzer, der Punk-Zuordnung zum Trotz auch Beatmusiker und Rock’n’Roller nie aufgehalten. Selbst Low-Fi-Pop und Comedy blieben ihm nicht fremd. „Ich mach´ was mir Spaß macht, was ich gut finde, und das sind ganz verschiedene Sachen“, hat der Komponist und Texter auch immer jenen Fans gesagt, die seine Ausbrüche aus dem Erwartbaren monierten und auf die ewige Wiederholung von „Ich brauch meinen Suff wie der Spießer den Puff“ drängten.

Scrollt man durch die Biografie, findet man da den frühen Deal mit der Major-Plattenfirma CBS Schallplatten, die Gründung des eigenen Independent-Labels nach Auflösung des Vertrages, der Auftritt beim ersten „Rock gegen Rechts“-Open Air auf dem Rebstock, Songs für „Gorby“ und die Eintracht (da sang der damalige Kulttrainer Dragoslav „Stepi“ Stepanovic mit), Einladungen zum legendären WDR-TV-Format „Rockpalast“ und zum Burg Herzberg Festival. „Die kam sehr überraschend, weil wir da einen Fan am Herzberg hatten“, erinnert sich Selzer wie er intervenierte, das sei doch ein Hippie-Festival. „Er hat erwidert, das passt. Und es wurde sensationell. Die Leute sind ausgeflippt. Das hätte ich nicht gedacht.“ Die durchaus humorvolle Aufarbeitung der Bandkarriere gibt es auf DVD.

Es stellt sich natürlich die Frage nach der Einordnung der Strassenjungs in die deutsche Rockgeschichte im Umfeld der Toten Hosen, Udo Lindenberg, Rio Reiser, der Böhsen Onkelz oder Rammstein. Wie wichtig würde sich Selzer mit den Strassenjungs bei aller Bescheidenheit selbst nehmen? „Das ist eine gemeine Frage“, lacht er dennoch. „Wir waren immer eher ein Geheimtipp und außen vor von dem, was jeweils total angesagt war.“ Außer vielleicht kurz zur Zeit der Neuen Deutschen Welle, als sie da promot dazu sortiert wurden. Hat ihnen nur das nötige Schmiergeld gefehlt, um im Radio gespielt zu werden? „Keine Kohle, keine Einsätze“, mutmaßt Selzer. „Da haben viele Leute gar nicht mitgekriegt, dass es uns überhaupt gibt. Schade.“ Man könnte aber auch sagen: Glück im Unglück. So konnte man sich leichter selbst treu bleiben. „Ganz genau. Die Musik war mir auch immer am wichtigsten. „Sie bringt das Dopamin ins Hirn.“

>> Strassenjungs, Batschkapp, 6.9., 21 Uhr, Eintritt: 25,20 €
 
Fotogalerie:
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5. September 2019, 09.54 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
 
 
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