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Städelschul-Rektor im Gespräch

Nikolaus Hirsch: "Es wurde eine Grenze überschritten"

Durch die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst stößt die Städelschule an ihre finanziellen Grenzen. Nikolaus Hirsch, Rektor der Kunstakademie, sieht die Stadt in der Pflicht, mit 100.000 Euro einzuspringen.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Hirsch, Sie beschwerten sich einmal, dass die Stadt von der Städelschule fordere, sich stärker zu öffnen. Hören Sie diese Forderung derzeit wieder vermehrt?
Nikolaus Hirsch: Nein, es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass die Städelschule für Frankfurt im Bereich der Bildenden Kunst wirklich Großes leistet und wir einer der Leuchttürme des Kulturlebens in der Stadt sind, mit einer lokalen und globalen Ausstrahlung.

Haben Sie ein Beispiel?
Das zeigte sich jüngst bei der documenta, die wohl noch immer das weltweit wichtigste Kunstereignis ist. Da waren wir mit insgesamt 10 Absolventen, ehemaligen und aktuellen Professoren der Städelschule sehr präsent. Dies macht klar, welch erfolgreiche und vor allem auch nachhaltige Arbeit wir hier machen. Vieles von dem, was wir als Ort der Lehre leisten, ist nicht sofort sichtbar, sondern manchmal erst einige Jahre später. Die documenta ist ein gutes Beispiel für den generationenübergreifenden, nachhaltigen Einfluss der Städelschule. Die Vertreter reichen von emeritierten Professoren wie Thomas Bayrle bis zu Jeronimo Voss, einem Absolventen von 2010, der eine spektakuläre Arbeit im Planetarium der Orangerie ausstellt hat. Es ist doch erstaunlich, dass ein Künstler, der vor nicht mal zwei Jahren die Städelschule absolviert hat, jetzt schon mit einer solch großen Arbeit auf der documenta vertreten ist. Das zeigt meiner Meinung nach die hohe Qualität unserer Ausbildung und den künstlerischen Kontext, den wir geschaffen haben.

Den Prestigegewinn in der Kunstszene kann man sicherlich nicht negieren. Rein monetär gesehen ist die Städelschule aber doch ein Verlustgeschäft.
An Kultur kann man nicht mit einer linearen Rechnung herangehen. Kultur funktioniert nicht wie ein Produkt, das Sie im Supermarkt kaufen und einem linearen Ökonomiemodell folgt. Kultur ist ein indirekter, weicher Faktor.

Der hochsubventioniert ist!
Natürlich wird die Kultur subventioniert, aber man muss berücksichtigen, dass die Gemeinschaft einer Stadt mehr ist als ein Rechenexempel. Wir können eine Stadt nicht nur auf die profitablen Faktoren herunterbrechen. Ansonsten fallen sehr viele Bevölkerungsbereiche heraus. Ich habe in der Altenhilfe meinen Zivildienst geleistet. Auch die ist hoch subventioniert. Ein alter Mensch rechnet sich nicht. Aber ich weigere mich, Menschen ausschließlich nach ihrem Kostenfaktor zu beurteilen. Wir müssen die Stadtgesellschaft als etwas Größeres begreifen und dazu gehört für mich ganz zwingend auch Kunst und Kultur. Insbesondere die Kunst von morgen, eine lebendige Gegenwartskunst, die bei uns entsteht und die in den Galerien und Museen der Stadt sichtbar wird, wie derzeit die Ausstellung von Max Brand oder im Herbst die Absolventenausstellung im Museum für Moderne Kunst. Insofern gibt es einen sehr direkten Output in die Öffentlichkeit der Stadtgesellschaft. Die Städelschule ist eine öffentliche Institution, getragen von der öffentlichen Hand, und sie nimmt diese Aufgabe in hervorragender Weise an.

Aber die Stadt muss sehr wohl rechnen und für einen ausgeglichenen Haushalt sorgen und der Städelschule fallen durch die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst etwa 100.000 Euro Zusatzkosten jährlich an. Der Fehlbetrag muss ausgeglichen werden. Durch die Stadt?
Ja, das ist meine Auffassung. Ich appelliere nachdrücklich daran, dass die Stadt sieht, was wir hier leisten und dass es eine Verpflichtung ist, Institutionen wie die Städelschule in der Stadt zu haben. Wir sind nicht irgendeine Institution, sondern eine der weltbesten Kunstakademien und seit fast 200 Jahren hier ansässig. Eine solche lokale und globale Tradition sollte man nicht einfach aufs Spiel setzen. Aber genau das passiert derzeit, wenn aufgrund der von der Stadt nicht getragenen Tariferhöhung die Nachfolge für die Malereiprofessur von Christa Näher in Frage gestellt wird. Wir können diese Professur nach der derzeitigen städtischen Budgetplanung nicht neu besetzen. Das ist für eine Kunstakademie ein Horrorszenario.

Aber Sie haben die Stelle neu ausgeschrieben?
Ja, die Ausschreibung läuft. Es sind großartige Künstler im Gespräch. Aber die Besetzung hängt davon ab, ob die Stadt uns die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt. Die Blamage des Nichtbesetzens würde ich der Städelschule gerne ersparen.

Und wenn die Stadt die Finanzierung an Auflagen knüpfen würde? Etwa, dass sie einen Teil durch Drittmittel einwerben?
Wir arbeiten bereits in hohem Maße mit privaten Förderern zusammen. Alle Ausstellungen im Portikus werden zu 100 Prozent aus Drittmitteln bezahlt. Freie Projekte an der Schule, die Frankfurter Positionen zusammen mit der BHF-Bank, Gastprofessuren: Das ist alles drittmittelfinaniziert. Diese Kooperationen mit den gerade in Frankfurt sehr engagierten privaten Förderern wollen wir auch unbedingt ausbauen. Anders verhält es sich aber doch mit der Substanz der Schule. Da haben wir als Kollegium eine klare Linie festgelegt: Die Gewährleistung der Grundaufgaben der Städelschule, also auch der festen Professuren, ist eine Aufgabe der öffentlichen Hand.

Wie sieht es mit der Verpflichtung des Landes aus? Kulturdezernent Felix Semmelroth schimpfte jüngst, dass Hessen sich finanziell aus der Verantwortung stehle.
Das ist eine Diskussion, die schon seit mehr als einem halben Jahrhundert läuft und in ein vermintes juristisches Gelände führt. Die Einbindung des Landes ist eine langfristige Aufgabe, die ich als meine strategische Aufgabe als Städelschule-Rektor ansehe, die aber zur Lösung der aktuellen, dramatischen Probleme nicht beitragen wird. Die Malerei-Professur muss im April 2013 neu besetzt werden. So schnell wird es keine Einigung mit dem Land geben. Die aktuellen budgetären Fragen sind von der Stadt Frankfurt zu beantworten.

Haben die finanziellen Diskussionen, die derzeit das Außenbild der Städelschule prägen, die Studierendenschaft schon erreicht?
Im Vordergrund steht nach wie vor die unglaubliche Kreativität und die zahlreichen Projekte der Städelschule. Aber klar, die Finanzdiskussion ist bei den Studierenden angekommen, da sie diejenigen sind, die die Auswirkungen als erste zu spüren bekommen.

Fragen die Studierenden nach, was mit der Malereiklasse passiert?
Natürlich! Die Studenten spüren, dass die Infrastruktur in den vergangenen Jahren an Qualität eingebüßt hat, weil Sparmaßnahmen die Infrastruktur und den Mittelbau belastet haben. Nun beginnen diese Maßnahmen auch die Professuren in Mitleidenschaft zu ziehen oder wie im Fall der Malereiprofessur gleich eine ganze Klasse in Frage zu stellen. Wir Professoren erwarten uns eine deutlichere Unterstützung der Stadt. Tobias Rehberger als Prorektor, Douglas Gordon und andere werden für ihre Ausstellungen in Frankfurt gefeiert und alle sind glücklich und stolz, dass diese weltweit anerkannten Künstler hier in Frankfurt tätig sind, gleichzeitig werden diese Professoren aber auch mit Problemen wie den skandalös unterfinanzierten Klassenbudgets hängengelassen.

Herr Rehberger im speziellen hat zudem das Problem, ein neues Atelier in der Stadt zu finden. Das trägt doch sicherlich nicht zu einem Gefühl der Unterstützung bei?
Für uns alle gilt, dass uns zwar immer viel Sympathie entgegen gebracht wird, aber manchmal die konkrete Unterstützung fehlt. Das trifft auch Tobias Rehberger, obwohl ich hoffe, dass hier eine Lösung gefunden werden wird. Aber im Fall von Tomás Saraceno, der sicherlich in die Riege der wichtigen und prominenten Künstler in Frankfurt gehört, ist es schon zu spät: er ist nach Berlin abgewandert, da er hier kein neues Atelier gefunden hat. Das betrifft uns, weil er als Absolvent der Städelschule den Namen der Schule in die Biennalen der Welt getragen hat. Es betrifft aber vor allem die Stadt Frankfurt: es ist eine Schande, dass sie einen der wenigen international relevanten Künstler der Stadt nicht halten konnte. Die Beschaffung eines Ateliers hat einfach zu lange gedauert. Das hätte man verhindern können.

Aber Ihr Vertrag läuft doch noch ein paar Jahre …
Ja, und ich bin sehr gerne hier, identifiziere mich sehr stark mit der Städelschule und auch der Stadt Frankfurt. Ich bin hoffnungsfroh, gleichzeitig wird es einem aber nicht immer einfach gemacht. Das Thema Malerei-Professur ist das deutlichste Zeichen. Die Probleme betreffen aber den gesamten Alltag der Städelschule: Ausstattung von Werkstätten, Möglichkeiten Kunst machen zu können. Es überwiegt dennoch die Lust und die Freude hier kreativ tätig zu sein, weil wir künstlerisch relevante Projekte realisieren. Die De-facto-Budgetkürzungen gehen allerdings an die Substanz, weil eine Grenze überschritten wurde, die das Arbeiten zusehends schwierig macht. Und wenn solche Grenzen überschritten sind, wenn Institutionen kaputt gespart werden, sollte die Stadt etwas unternehmen, um die Grundlagen schaffen, damit wir hier auch in Zukunft erfolgreich arbeiten können.

Wie Tobias Rehberger und das Kulturdezernat der Stadt die Situation an der Städelschule einschätzen, lesen Sie im neuen, heute erschienenen, JOURNAL FRANKFURT.
 
Fotogalerie:
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14. August 2012, 11.16 Uhr
Interview: Gerald Schäfer
 
 
 
 
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