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Hans Haacke
Ein Künstler für die Demokratie
Haacke gilt als einer der wichtigsten Vertreter der politischen Konzeptkunst. Vor 20 Jahren war seine letzte Retrospektive in Europa zu sehen, jetzt gibt es eine in Frankfurt. Sein Werk ist aktueller denn je.
„Wir sind alle das Volk.“ Dieser Satz übersetzt in zwölf Sprachen ist auf dem Plakat des Künstlers Hans Haacke zu lesen. Seine Plakate sind seit 2003 als Interventionen im öffentlichen Raum weltweit gezeigt worden, jeweils ortsspezifisch angepasst. So etwa bei der documenta 14, die 2017 in Athen und Kassel stattfand. Fünf große Banner waren zwischen die Säulen des Fridericianums auf dem Kassler Friedrichsplatz gespannt.
Ein unmissverständliches Statement. „Wir sind das Volk“ – dieser Satz verweist auf die mittlerweile weltbekannte politische Parole, die 1989 während den friedlichen Montagsdemonstrationen in der DDR gerufen wurde, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Dies führte zum Sturz des DDR-Regimes und zur Wiedervereinigung. Seit einiger Zeit wird der Ausruf von rechtspopulistischen Kreisen gekapert, Stichwort: PEGIDA-Bewegung, die diesen bei Demonstrationen ihrerseits verwenden.
„Wir (Alle) sind das Volk“ – Verbundenheit mit jenen, die Xenophobie, Rassismus und religiösen Anfeindungen ausgesetzt sind
„Als ich 2003 zur Teilnahme an einem Wettbewerb eingeladen wurde, der mit einer dauerhaften Installation in Leipzig an diese Ereignisse erinnern sollte, war die ursprünglich emanzipatorische Parole von xenophoben Gruppen bei Demonstrationen gegen Neuankömmlinge und Geflüchtete vereinnahmt worden. Ich schlug daher vor, ein inklusives „Wir (Alle) sind das Volk“ auf die Wände der Leipziger Nikolaikirche zu projizieren, wo sich 1989 die Demonstrierenden versammelt hatten. (Die Jury entschied sich für den Vorschlag eines anderen Künstlers.)
Drei Jahre zuvor hatte der Bundestag einen thematisch verwandten Vorschlag von mir mit knapper Mehrheit angenommen. In Anlehnung an die Widmung „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ über dem Portal des Reichstagsgebäudes wurde meine Widmung „DER BEVÖLKERUNG“ als Dauerinstallation in einem der beiden Innenhöfe des Reichstagsgebäudes installiert. Mehr als 300 Bundestagsabgeordnete haben auf meine Einladung hin jeweils 50 Kilogramm Erde aus ihrem Wahlkreis für die Widmung an alle in Deutschland lebenden Menschen beigesteuert.
Die in die Erde eingebetteten Samen sind aufgegangen. Eine lebendige Mischvegetation ist um „DIE BEVÖLKERUNG“ herum gewachsen. Wir (Alle) sind das Volk drückt nachdrücklich unsere Verbundenheit mit den Verzweifelten Migrant*innen und Geflüchteten aus, die derzeit in vielen Ländern der Welt massiver Xenophobie, Rassismus und religiösen Anfeindungen ausgesetzt sind.“ (Hans Haacke, 2017, aus: Katalog zur Ausstellung)
DER BEVÖLKERUNG, 2000, Blick auf die Installation DER BEVÖLKERUNG im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes in Berlin, 2008, C-Print auf Aluminium, 232 × 178 cm, Courtesy: der Künstler und Sfeir-Semler Gallery, Beirut / Hamburg © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Hans Haacke gilt als Hauptvertreter der politischen Konzeptkunst
Haacke, Jahrgang 1936 in Köln geboren, studierte von 1956 bis 1960 an der Staatlichen Werkakademie in Kassel. Er gilt als Hauptvertreter der politischen Konzeptkunst. „Haackes
Erfahrungen als Aufsicht und beim Aufbau der documenta 2 im Jahr 1959 waren entscheidend für sein Verständnis der Spielregeln, die das Feld der Kunst beherrschen. Zufällig mitgehörte Gespräche zwischen Kuratoren beispielsweise überzeugten ihn davon, seinen Lebensunterhalt niemals vom Verkauf seiner Kunstwerke abhängig zu machen“, schreibt Alexander Alberro im documenta 14 daybook.
1965 zog Haacke nach mehreren Auslandsaufenthalten nach New York, wo er als Professor an der Cooper Union lehrte und seitdem dort lebt. Seine Arbeiten wurden oft kontrovers diskutiert und dies führte teilweise dazu, dass der Künstler von Ausstellungen ausgeschlossen wurde. 1993 bespielte er gemeinsam mit Nam June Paik den Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig. Er riss den Fußboden des Baus mit der nationalsozialistischen Architektur auf und nannte diese Intervention „Germania“. Dafür bekam Haacke den Golden Löwen.
2019 wurde er vom Kunstmagazin Monopol zur wichtigsten Kunst-Persönlichkeit des Jahres gekürt. Seine Werke sind hochaktuell (siehe: „Wir (Alle) sind das Volk“), denn Haacke gilt als konsequenter Verteidiger demokratischer Prinzipien. Bekanntermaßen steht die Demokratie unter Druck. Nur acht Prozent der Menschen leben weltweit in einer vollständigen Demokratie. „Seiner Ansicht nach ist dieser Kampf ebenso politisch wie ästhetisch, und zentrale Werte der Demokratie stehen auf dem Spiel.“ (Alberro) Die letzte Retrospektive zum Œuvre Haackes in Europa war vor 20 Jahren zu sehen – jetzt ist die genau richtige Zeit, Haackes Arbeiten erneut zu zeigen.
Hans Haacke, Wir (Alle) Sind das Volk, 2003/2020, 100,3 × 69,9 cm, Courtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Info
Ihr persönlicher Haacke: exklusiv im JOURNAL
Der November-Ausgabe liegt ein Plakat Hans Haackes „Wir (Alle) sind das Volk“ bei. Diese besondere Aktion wurde möglich durch eine Kooperation zwischen der Stiftung Polytechnischen Gesellschaft, der Schirn Kunsthalle und dem JOURNAL FRANKFURT.
Ein unmissverständliches Statement. „Wir sind das Volk“ – dieser Satz verweist auf die mittlerweile weltbekannte politische Parole, die 1989 während den friedlichen Montagsdemonstrationen in der DDR gerufen wurde, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Dies führte zum Sturz des DDR-Regimes und zur Wiedervereinigung. Seit einiger Zeit wird der Ausruf von rechtspopulistischen Kreisen gekapert, Stichwort: PEGIDA-Bewegung, die diesen bei Demonstrationen ihrerseits verwenden.
„Als ich 2003 zur Teilnahme an einem Wettbewerb eingeladen wurde, der mit einer dauerhaften Installation in Leipzig an diese Ereignisse erinnern sollte, war die ursprünglich emanzipatorische Parole von xenophoben Gruppen bei Demonstrationen gegen Neuankömmlinge und Geflüchtete vereinnahmt worden. Ich schlug daher vor, ein inklusives „Wir (Alle) sind das Volk“ auf die Wände der Leipziger Nikolaikirche zu projizieren, wo sich 1989 die Demonstrierenden versammelt hatten. (Die Jury entschied sich für den Vorschlag eines anderen Künstlers.)
Drei Jahre zuvor hatte der Bundestag einen thematisch verwandten Vorschlag von mir mit knapper Mehrheit angenommen. In Anlehnung an die Widmung „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ über dem Portal des Reichstagsgebäudes wurde meine Widmung „DER BEVÖLKERUNG“ als Dauerinstallation in einem der beiden Innenhöfe des Reichstagsgebäudes installiert. Mehr als 300 Bundestagsabgeordnete haben auf meine Einladung hin jeweils 50 Kilogramm Erde aus ihrem Wahlkreis für die Widmung an alle in Deutschland lebenden Menschen beigesteuert.
Die in die Erde eingebetteten Samen sind aufgegangen. Eine lebendige Mischvegetation ist um „DIE BEVÖLKERUNG“ herum gewachsen. Wir (Alle) sind das Volk drückt nachdrücklich unsere Verbundenheit mit den Verzweifelten Migrant*innen und Geflüchteten aus, die derzeit in vielen Ländern der Welt massiver Xenophobie, Rassismus und religiösen Anfeindungen ausgesetzt sind.“ (Hans Haacke, 2017, aus: Katalog zur Ausstellung)
DER BEVÖLKERUNG, 2000, Blick auf die Installation DER BEVÖLKERUNG im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes in Berlin, 2008, C-Print auf Aluminium, 232 × 178 cm, Courtesy: der Künstler und Sfeir-Semler Gallery, Beirut / Hamburg © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Haacke, Jahrgang 1936 in Köln geboren, studierte von 1956 bis 1960 an der Staatlichen Werkakademie in Kassel. Er gilt als Hauptvertreter der politischen Konzeptkunst. „Haackes
Erfahrungen als Aufsicht und beim Aufbau der documenta 2 im Jahr 1959 waren entscheidend für sein Verständnis der Spielregeln, die das Feld der Kunst beherrschen. Zufällig mitgehörte Gespräche zwischen Kuratoren beispielsweise überzeugten ihn davon, seinen Lebensunterhalt niemals vom Verkauf seiner Kunstwerke abhängig zu machen“, schreibt Alexander Alberro im documenta 14 daybook.
1965 zog Haacke nach mehreren Auslandsaufenthalten nach New York, wo er als Professor an der Cooper Union lehrte und seitdem dort lebt. Seine Arbeiten wurden oft kontrovers diskutiert und dies führte teilweise dazu, dass der Künstler von Ausstellungen ausgeschlossen wurde. 1993 bespielte er gemeinsam mit Nam June Paik den Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig. Er riss den Fußboden des Baus mit der nationalsozialistischen Architektur auf und nannte diese Intervention „Germania“. Dafür bekam Haacke den Golden Löwen.
2019 wurde er vom Kunstmagazin Monopol zur wichtigsten Kunst-Persönlichkeit des Jahres gekürt. Seine Werke sind hochaktuell (siehe: „Wir (Alle) sind das Volk“), denn Haacke gilt als konsequenter Verteidiger demokratischer Prinzipien. Bekanntermaßen steht die Demokratie unter Druck. Nur acht Prozent der Menschen leben weltweit in einer vollständigen Demokratie. „Seiner Ansicht nach ist dieser Kampf ebenso politisch wie ästhetisch, und zentrale Werte der Demokratie stehen auf dem Spiel.“ (Alberro) Die letzte Retrospektive zum Œuvre Haackes in Europa war vor 20 Jahren zu sehen – jetzt ist die genau richtige Zeit, Haackes Arbeiten erneut zu zeigen.
Hans Haacke, Wir (Alle) Sind das Volk, 2003/2020, 100,3 × 69,9 cm, Courtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Ihr persönlicher Haacke: exklusiv im JOURNAL
Der November-Ausgabe liegt ein Plakat Hans Haackes „Wir (Alle) sind das Volk“ bei. Diese besondere Aktion wurde möglich durch eine Kooperation zwischen der Stiftung Polytechnischen Gesellschaft, der Schirn Kunsthalle und dem JOURNAL FRANKFURT.
7. November 2024, 16.44 Uhr
Jasmin Schülke
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. Mehr von Jasmin
Schülke >>
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