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Freude drinnen, Empörung draußen

Judith Butler mit Adorno-Preis geehrt

Die umstrittene Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises ist vollbracht. Die Philosophin Judith Butler wurde am Dienstag in der Paulskirche geehrt. Vor den Türen stand sich derweil eine Schar Demonstranten gegenüber.
Diejenigen, die sich gegen die Preisverleihung an die Philosophin Judith Butler aussprachen, waren deutlich in der Überzahl. Geschätzte 100 Demonstranten hatten sich vor der Paulskirche positioniert. Ihre Plakate drückten den Unmut aus, den sie in sich trugen: „Keine Ehre für Israelhass“, „Kein Adorno-Preis für Judith Butler“. Matthias Küntzel, Vorstandsmitglied der Wissenschaftlervereinigung Scholars for Peace in the Middle East, sieht in der Preisverleihung ein weiteres Zeichen dafür, dass Antisemitismus in Deutschland gerade wieder salonfähig zu werden droht. „Es fing an mit Günter Grass' Gedicht. Dann folgte die Beschneidungsdebatte und jetzt wird Judith Butler geehrt“, so Küntzel. Eine Frau, die gesagt habe, die Welt wäre eine bessere, wenn es einen jüdischen Staat Israel nicht gebe. Sacha Stawski, der den Israelkongress in Frankfurt ausgerichtet hatte, fand ein Wort für die Wahl des Kuratoriums: „Pfui!“ Und er verkündete, dass der nächste Kongress definitiv nicht in der Mainmetropole stattfinden werde (siehe untenstehendes Video).

Gleich Gegenüber der Anti-Butler-Demo hatte sich etwa ein Dutzend Fürsprecher versammelt, die immer wieder „Free Palestine!“ riefen und ihre „Thank you Judith“-Plakate in die Höhe reckten. Der Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ verbittet sich die Antisemitismusvorwürfe. Eine Kritik des israelischen Staates müsse – wie in Bezug auf andere Staaten auch – erlaubt sein. „Netanjahu halte ich für gefährlicher als Hamas und Hisbollah, was aber nicht bedeutet, dass ich diese unterstütze“, sagt ein Mitglied des Verbund der Verfolgten des Naziregimes. „Wir sind schlicht und einfach gegen Krieg!“ Auch deshalb demonstriere er für Judith Butler.

Im Inneren der Paulskirche ging es derweil gesitteter zu. Ganz voll war der ehrwürdige einstige Plenarsaal zwar nicht - was nicht einzig am Aufruf der Jüdischen Gemeinde Frankfurts oder des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Veranstaltung fernzubleiben, gelegen haben kann. Der Adorno-Preis, der alle drei Jahre am Geburtstag des Philosophen verliehen wird, ist nämlich eine etwas sperrige Veranstaltung. "Der Preis dient der Förderung und Anerkennung hervorragender Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film", wie es in der Ausschreibung heißt und ist mit 50.000 Euro dotiert. So kommt es, dass sich Judith Butler nun in einer bunten Riege findet, die vom ersten Preisträger Norbert Elias im Jahr 1977 bis zu Alexander Kluge im Jahr 2009 reicht. Auch Jean-Luc Godard, Jürgen Habermas und Jacques Derrida gehören zu den Preisträgern. Allesamt Männer und so vergisst Laudatorin Eva Geulen auch nicht, den Umstand zu feiern, dass die diesjährige Preisträgerin eine Frau ist. "Die 13. Preisträgerin", sagt sie und weiter: "Wem fällt da nicht die böse 13. Fee ein, die sich ungeladen nach den 12 guten, geladenen Feen zu Dornröschens Geburtsfest einstellt, um dort das zu tun, was böser Feen Amt ist: to raise trouble."

Mission accomplished möchte man hinzufügen, denn im Vorfeld der Preisverleihung wurde ja eben nicht über Butlers Werk im Bereich der Gender-Forschung gestritten, sondern über ihre Aussagen zu Israel. Auch Oberbürgermeister Peter Feldmann, der eingeladen hatte und auf der entsprechenden Karte auch als Laudator genannt wird, sagte aus etwas fadenscheinigen Gründen ab - schade, man hätte sich eine Aussage in der einen oder anderen Weise geradezu gewünscht. So ist es nun an Kulturdezernent Felix Semmelroth, die Gäste und die Preisträgerin zu begrüßen. Judth Butler selbst geht auf die Israel-Kritik in ihrer Rede wenn nur im Subtext ein. Sie hat sich schon vorher mehrfach geäußert, etwa in der Frankfurter Rundschau. Unter dem abgewandelten Adorno-Zitat "Kann man ein gutes Leben im schlechten führen" spricht sie über Unterdrückung und Freiheit, moralisches und unmoralisches Handeln bevor sie zum zentralen Begriff der Biopolitik kommt, jene Politik, "die das Leben organisierenden Mächte, auch jene Mächte, die Leben im Rahmen einer umfassenderen Bevölkerungspolitik durch staatliche und außerstaatliche Maßnahmen zur unterscheidenden Bewertung von Leben festlegen." Butler spannt den Bogen eines lebenswerten Lebens bis in die Zeit des Holocausts, in dem Menschen zu Nummern degradiert wurden. "Schon die bloße Nennung des Namens kann ein außerordentlicher Akt der Anerkennung sein, insbesondere für solche, die namenlos, zur bloßen Nummer geworden sind, oder gar nicht mehr angesprochen werden." Ein Leben ohne die anderen, wäre kein Leben - auch hier wird die Wirklichkeit konstruiert, ähnlich wie auch - so kurzgefasst die nachhaltigste These in Butlers Werk - Geschlechterbeziehungen konstruiert sind.

Vor den Türen geht es da gleichwohl frivoler zu. Ein Herr namens David Albrecht hat sich als Dr. Freud verkleidet, hält ein Schild mit den Worten hoch: "Diagnose: Zwangsneurose, akute Genderitis." Er verteilt Zettel, in denen er Butler vorwirft nicht neutral, also wissenschaftlich zu argumentieren. Ihr Feindbild sei der heterosexuelle Mann, ein neuer Mensch solle geschaffen werden - und wer hatte das schon mal vor? Genau, Hitler! Godwin’s law funktioniert also auch inmitten einer munteren Schar von Israel-Anhängern und Butler-Verachtern. Einen Buchtipp hat Dr. Freud auch noch. "Tomboy" von Thomas Meinecke, erschienen im Suhrkamp Verlag. Es geht darin um Geschlechterbeziehungen. Nun kommt die Pointe. Der Autor selbst sitzt, während draußen sein Buch Passanten anempfohlen wird, in der Paulskirche und erweist Judith Butler seinen Respekt. Und sogar in der Laudatio von Eva Geulen wird "Tomboy" erwähnt: "Wie viel Judith Butler bewegt hat", sagt sie, "könnte man an zahlreichen Beispielen illustrieren, darunter Kurioses wie Thomas Meineckes Roman 'Tomboy'."

Wenn sich, wie es scheint, Butler-Kritiker und Butler-Verehrer doch zumindest auf dieses eine Buch einigen können, dann ist das ein schöner Anfang. Ob der bis zur Lösung des Israel-Konflikts trägt, darf aber stark bezweifelt werden.

 
Fotogalerie: Adorno-Preis für Judith Butler
 
12. September 2012, 11.14 Uhr
ges/nil
 
 
 
 
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